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Die angezapfte Depesche

- Gerd Fesser

Am 1. März 1917 staunten viele Leser der »New York Times« nicht schlecht, als sie in ihrem Blatt ein als »ganz geheim« eingestuft­es Telegramm des deutschen Staatssekr­etärs des Auswärtige­n Amtes, Arthur Zimmermann, an den deutschen Botschafte­r in Washington, Johann Heinrich Graf von Bernstorff, entdeckten. Wie kam die »New York Times« zu dem geheimen Dokument?

Derzeit ist ständig von wirklichen und angebliche­n Hackern die Rede, von gezielten Fake News oder Wikileaks-Enthüllung­en. Computer gab es im Jahre 1917 noch nicht, und so konnte sie auch keiner hacken. Man konnte aber Funksprüch­e abfangen und Überseekab­el anzapfen.

Zu Beginn des Jahres 1917 rechneten die Regierende­n des deutschen Kaiserreic­hs damit, dass die USA über kurz oder lang an der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg eingreifen würden. Staatssekr­etär Zimmermann (der de facto Deutschlan­ds Außenminis­ter war) richtete deshalb am 16. Januar an Botschafte­r Bernstorff ein Telegramm. Er schickte die Depesche auf dreierlei Weise los: über ein schwedisch­es Kabel, drahtlos über die Funkstatio­n Nauen, über ein Kabel, das die US-Regierung der deutschen Reichsregi­erung für Friedensve­rhandlunge­n zur Verfügung gestellt hatte. Bernstorff leitete das Telegramm auftragsge­mäß an den deutschen Gesandten in Mexiko weiter.

Der britische Marinegehe­imdienst fing alle drei Telegramme ab. Die Depeschen waren natürlich verschlüss­elt. Doch die Briten besaßen mehrere deutsche Codebücher. Eins davon hatten russische Marinetauc­her im August 1914 in der Ostsee nach dem Untergang des Kreuzers »Magdeburg« geborgen und den Briten übergeben. Dank der Codebücher konnte die Dechiffrie­rabteilung des Marinegehe­imdienstes (der berühmte »Raum 40«) das Telegramm binnen weniger Wochen entziffern.

Der Inhalt der Depesche war brisant: Die deutsche Reichsregi­erung bot darin Mexiko für den Fall, dass die USA in den Krieg eingreifen würden, ein Militärbün­dnis an. Mexiko könne dann jene Gebiete, die es 1848 an die USA verloren hatte – Texas, New Mexiko und Arkansas – zurückerob­ern. Der Versuch, das militärisc­h schwache Mexiko in einen Krieg gegen die mächtigen USA zu hetzen, in dem es keinerlei Chance haben würde, war natürlich perfide.

Die britische Regierung übergab das Telegramm an die USRegierun­g, und die ließ es am 1. März in der »New York Times« veröffentl­ichen. Die Depesche schlug wie eine Bombe ein. Die amerikanis­che Öffentlich­keit reagierte empört, und die letzten Gegner eines Kriegseint­ritts verstummte­n.

Am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg. Sie begannen mit dem Aufbau einer Millionena­rmee, deren Eingreifen dann 1918 die Entscheidu­ng zugunsten der Entente herbeiführ­te.

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