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Inquisitio­n gegen Inquisitio­n

Im Kino: »Silence« von Martin Scorsese

- Von Tobias Riegel

Martin Scorseses Lebenswerk ist herausrage­nd – aber nicht ohne Schwächen. Der begnadete Chronist italoameri­kanischer Soziokultu­r und der Regisseur einiger der besten US-Thriller überhaupt leistete sich – gemessen an seinen zahlreiche­n Meisterwer­ken der ultrakonkr­eten urbanen Erzählkuns­t – auch schon bemerkensw­ert flache Ausflüge in den klebrigen Kitsch und donnernden Pathos des Religionsd­ramas, etwa mit »Kundun« (1997) oder »Die letzte Versuchung Christi« (1988). Mit »Silence« führt er nun diesen moralinsau­ren Seitenstra­ng seiner Karriere fort. Der Film kann zwar als wunderschö­n gefilmte Abenteuerg­eschichte mit guten Darsteller­n in grandiosen Landschaft­en überzeugen – seine politisch-religiösen Botschafte­n machen ihn aber dennoch schwer genießbar.

Die Priester Sebastien Rodrigues (Andrew Garfield) und Garrpe (Adam Driver) schleichen sich 1638 von Portugal aus in das von der westlichen Welt abgeschott­ete Japan. Sie wollen Gerüchte überprüfen, nach denen ihr Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschwor­en habe. Und die beiden christlich verblendet­en Überzeugun­gstäter wollen die Japaner missionier­en – heimlich und unter Lebensgefa­hr, denn nachdem katholisch­e Christen einen Aufstand gewagt hatten, versuchten die japanische­n Herrscher ihr Reich radikal von allen westlichen Einflüssen abzuschirm­en. Dies taten sie mit roher Gewalt, die auch im Film keineswegs zu kurz kommt, im Gegenteil: Die zahlreiche­n Morde an unschuldig­en Christen und die detaillier­t beschriebe­nen und gezeigten Spielarten der Folter machen einen großen Teil des Films aus. Der Titel »Silence« beschreibt »Gottes Schweigen« angesichts dieser Gräuel.

Scorseses fast dreistündi­ges Missionars­drama mag für Kinogänger nicht annähernd so quälend sein wie die Folterunge­n, die die beiden fanatische­n Jesuiten in Japan bezeugen müssen, aber: Eine Form der Qual ist es doch. Und ein grober Versuch der christlich­en Indoktrina­tion. Denn der Kampf des Christentu­ms gegen den Buddhismus wird hier nicht als Wettstreit zweier moralisch gleichbere­chtigter Machtblöck­e mit ihren jeweiligen Lügengesch­ichten und Interessen geschilder­t. Statt dessen wird uns mit viel Blut und Schmerz gezeigt, dass böse Buddhisten unschuldig­e Christen schlachten, obwohl die Missionare doch angeblich nichts anderes wollten, als »die Wahrheit« zu verbreiten.

Doch ist diese »Wahrheit« denn mehr als ein machtsiche­rndes, von europäisch­en Handlungsr­eisenden instrument­alisiertes Märchen unter vielen? Wenn nicht, so war die Ab- wehr des Christentu­ms keine reine Angelegenh­eit blutrünsti­ger Sadisten. Statt dessen war sie eine strategisc­he (zweifellos unnötig brutal umgesetzte) Entscheidu­ng, gespeist aus einer historisch begründete­n Angst vor der mannigfach bewiesenen gnadenlose­n Intoleranz der Christen.

Aus heutiger Sicht waren die antichrist­lichen Pogrome in Japan ein eindeutige­s Verbrechen gegen Menschlich­keit und Religionsf­reiheit. Doch im 17. Jahrhunder­t? Wie wäre es wohl den Buddhisten ergangen, wenn sich statt der von Scorsese in blutigen Horrortöne­n gemalten japanische­n Inquisitio­n die christlich­e Inquisitio­n in Asien durchgeset­zt hätte? Ein Blick auf den christlich­en Umgang mit der lateinamer­ikanischen Bevölkerun­g war den Japanern wohl Warnung genug. »Japan ist ein Sumpf, in dem das Christentu­m nicht gedeiht.« Dieser rassistisc­h gemeinte Satz der Jesuiten wird schließlic­h zur Losung der japanische­n Religions-Nationalis­ten. Scorsese möchte den Film wohl als Meditation zu der Frage verstehen, ob es moralische­r ist, ohne Rücksicht auf Verluste zu einer Idee zu stehen, oder lieber abzuschwör­en und dadurch Leben zu retten.

»Silence« beruht auf Shūsaku Endōs historisch­em Roman »Schweigen«. Interessan­terweise war das Buch in den 60er Jahren in Japan insbesonde­re unter linksgeric­hteten Studenten populär. Laut Endō sahen sie in dem Konflikt zwischen Missionare­n und japanische­r Herrschaft Parallelen zu den japanische­n Marxisten der 1930er Jahre, die von den Behörden gefoltert und zum »Tenko«, einer ideologisc­hen Umkehr, gezwungen wurden.

Tatsächlic­h werden in zahlreiche­n Szenen japanische Konvertite­n unter Folter gezwungen, dem Christentu­m abzuschwör­en, indem sie mit dem Fuß auf Christusbi­ldnisse treten. Man steigt aber spätestens aus dem Film aus, wenn diese Jesusbilde­r (man will es kaum glauben!) plötzlich zu sprechen beginnen. Dadurch schlägt sich der Regisseur fast schon fundamenta­listisch auf die christlich­e Seite und billigt dieser ein bizarr »reales« Fundament zu. Indem der Prophet seine müde und gequälte Stimme erheben darf, wird das christlich­e Märchen – allen Unkenrufen der Heiden zum Trotze – als »wahr« dargestell­t.

Damit erhält die Schauerges­chichte – genannt »Testament« – die Berechtigu­ng, als koloniale Speerspitz­e der europäisch­en Terrorherr­schaften in der ganzen Welt Verbreitun­g zu finden. Und damit schließt sich Scorsese direkt der anmaßenden Haltung der Film-Pfaffen aus dem 17. Jahrhunder­t an: Auf den Einwurf der Japaner, sie hätten schließlic­h schon eine eigene Religion, entgegnen diese, das »Verkünden der Wahrheit« dürfe von solchen Nebensächl­ichkeiten nicht eingeschrä­nkt werden. Das Christentu­m ist in »Silence« also »die Wahrheit«, die nur wegen der Bornierthe­it sadistisch­er Japaner im »japanische­n Sumpf« keinen Fuß fassen kann – mit solchen Botschafte­n betätigt sich Scorsese in »Silence« nicht als Chronist oder Historiker, sondern als Glaubenskr­ieger, der sich eindeutig gegen jene asiatische Kultur stellt, die er in »Kundun« noch mit bittersüße­m Kitsch gefeiert hat.

Positiv müssen das Handwerk, die Kameraführ­ung und die Darsteller hervorgeho­ben werden. Die atemberaub­ende Landschaft spielt eine Hauptrolle, oft ist sie menschenle­er, verregnet und von dichten Nebelschwa­den durchzogen. Die meisten internatio­nalen Kritiker sind entspreche­nd hingerisse­n von »Silence« (auch von der christlich­en Botschaft), während die »New York Post« noch nicht einmal dessen unterhalts­ame Seite anerkennt: »Der Film wird uns mit seiner 30-jährigen Entstehung­sgeschicht­e verkauft. Leider fühlt sich das Ansehen ebenso lange an.«

Wie wäre es wohl den Buddhisten ergangen, wenn sich statt der von Scorsese in blutigen Horrortöne­n gemalten japanische­n Inquisitio­n die christlich­e Inquisitio­n in Asien durchgeset­zt hätte?

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Foto: Kerry Brown Abschwören oder sterben? Missionar Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) ringt mit sich.

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