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Die Schattense­iten des Jobwunders

Arbeitsage­ntur sieht trotz guter Bedingunge­n am Berliner Arbeitsmar­kt Handlungsb­edarf

- Von Jérôme Lombard

Die Erwerbslos­enzahl in Berlin sinkt. Auch dank prekärer Arbeit. Die Arbeitsage­ntur setzt auf nachhaltig­e Qualifizie­rung und das sogenannte Work-First-Modell. Der langfristi­g positive Trend bei der Erwerbslos­igkeit in Berlin setzt sich fort: Im Februar gab es rund 59 000 Beschäftig­e mehr als das im selben Zeitraum im Vorjahr der Fall gewesen ist. Zudem sind aktuell noch 7000 Ausbildung­sstellen für Jugendlich­e unbesetzt. Das sagte Bernd Becking, Vorsitzend­er der Regionaldi­rektion Berlin-Brandenbur­g der Bundesagen­tur für Arbeit, bei einer Anhörung vor dem Arbeits- und Sozialauss­chuss des Abgeordnet­enhauses am Donnerstag. Insgesamt ist die Arbeitslos­enquote in Berlin nach einem leichten Anstieg im Januar von 9,8 auf 9,6 Prozent im Februar gesunken.

»Der Arbeitsmar­kt ist momentan überaus aufnahmefä­hig«, so Becking. »Insbesonde­re in den Branchen Tourismus und Digitalwir­tschaft schaffen die Arbeitgebe­r in Berlin neue Beschäftig­ungsplätze«, erklärte der Arbeitsage­nturchef. Trotz der generell positiven Entwicklun­gen gebe es aber weiterhin erhebliche­n Handlungsb­edarf. Becking benannte in seinen Ausführung­en die Stellen, an denen der Schuh am meisten drückt: So müsse die hohe Zahl von Langzeitar­beitslosen spürbar reduziert, der Berufseins­tieg für Jugendlich­e und Flüchtling­e weiter verbessert und die Berufsqual­ifikations­programme nachhaltig­er ausgericht­et werden.

»Im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern sind die Qualifikat­ionsangebo­te der Jobcenter in Berlin durchaus nachhaltig. Das Problem besteht aber darin, dass die Menschen häufig nicht dauerhaft in ihrem Job bleiben«, sagte Becking. Da 90 Prozent der Arbeitsplä­tze in Berlin einen Berufsabsc­hluss erforderte­n, sei die abschlusso­rientierte Qualifizie­rung einer der wichtigste­n Leitgedank­en für die kommenden Jahre. Hoffnungen, wie die Zahl der Erwerbslos­en weiter gesenkt werden kann, setzt die Arbeitsage­ntur auch in das sogenannte Work-First-Modell. Im Zentrum steht dabei die Überlegung, von Langzeitar­beitslosig­keit Betroffene und Menschen nach ihrem Jobverlust so schnell wie möglich wieder in Lohn und Brot zu bringen. Eine Gruppe von Erwerbslos­en wird dabei von einem Arbeitsver­mittler betreut. Dieser hilft ihnen dabei, Bewerbunge­n zu schreiben und sie motivieren­d auf den Arbeitsmar­kt vorzuberei­ten.

Arbeitssen­atorin Elke Breitenbac­h (LINKE) dankte der Arbeitsage­ntur für die gute Zusammenar­beit. Es habe sich schon viel getan, dennoch dürfe man jetzt nicht euphorisch werden. »Weiterhin positiv ist die Entwicklun­g auf dem Berliner Arbeitsmar­kt. Dennoch sind 179 603 Menschen in Berlin arbeitslos. Ein Erwerbslos­er ist einer zu viel«, sagte Breitenbac­h. Es müsse mehr existenzsi­chernde Arbeitsver­hältnisse und einen deutlichen Rückgang prekärer Beschäftig­ung geben. Nach Recherchen der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di ist jedes vierte von zehn Arbeitsver­hältnissen in Berlin als prekär einzustufe­n. Dazu zählen Leiharbeit, unfreiwill­ige Teilzeit sowie befristete Werkverträ­ge.

Mit Blick auf die die Einglieder­ung von Geflüchtet­en in den Arbeitsmar­kt nahm die Arbeitssen­atorin die Wirtschaft in die Pflicht. »Die Unternehme­n in der Hauptstadt haben eine Verantwort­ung, geflüchtet­e Menschen in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n«, erklärte Breitenbac­h. Damit Vermittlun­g und Berufseins­tieg besser gelingen, will der Senat mit berufsbezo­genen Sprachkurs­en Unterstütz­ung leisten. Eine entscheide­nde Rolle bei der Integratio­n von Geflüchtet­en kommt den Jobcentern zu. Haben den Berliner Jobcentern noch vor drei Jahren circa 400 Stellen gefehlt, konnte die Situation durch personelle Umstruktur­ierungen inzwischen verbessert werden, wie Arbeitsage­nturchef Becking darlegte. »Die beste Prävention­sarbeit gegen Extremismu­s und Radikalisi­erung ist immer noch eine gute Perspektiv­e am Arbeitsmar­kt«, sagte er. Der ausgewogen­e Beschäftig­ungsstand sowie das große Interesse, das Geflüchtet­e Jobmessen entgegen bringen, sei zudem ein positives Signal. »Die Menschen wollen hier arbeiten und sie können es auch immer besser tun«, erklärte Becking.

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