nd.DerTag

Ausverkauf der Stadtmitte zulässig

Verwaltung­sgericht Potsdam weist Klage auf Bürgerents­cheid über die Fachhochsc­hule ab

- Von Andreas Fritsche

Ein Bürgerents­cheid über die Stadtentwi­cklung in Potsdam wäre möglich gewesen. Doch die Stadt stufte das vorangehen­de Bürgerbege­hren als unzulässig ein – und nun billigte das Verwaltung­sgericht dies. Um 10 Uhr am Donnerstag sind die Sitze für die Zuschauer im Saal 9 des Verwaltung­sgerichts Potsdam fast bis auf den letzten Platz gefüllt. 39 Menschen haben sich in die engen Stuhlreihe­n hineingezw­ängt, einer stößt später noch dazu. Verhandelt wird die Zulässigke­it des Bürgerbege­hrens »Kein Ausverkauf der Potsdamer Mitte«. 14 741 Einwohner der Stadt hatten unterschri­eben. Doch am 14. Dezember vergangene­n Jahres beschloss die Stadtveror­dnetenvers­ammlung mehrheitli­ch, das Ansinnen sei unzulässig. Dagegen klagen als Vertrauens­personen des Bürgerbege­hrens Frauke Röth und André Tomczak.

Sie tun es vergeblich, denn nach eingehende­r Beratung urteilt das Verwaltung­sgericht am frühen Nachmittag, das Bürgerbege­hren sei tatsächlic­h unzulässig gewesen. Denn die Bürger mussten beim Lesen des Textes auf den Sammellist­en den Eindruck gewinnen, so argumentie­rt der Vorsitzend­e Richter Volker Deppe am Donnerstag, sie unterschre­iben hier gegen den Abriss der Fachhochsc­hule, des Staudenhof­s und des ehemaligen Interhotel­s.

Das haben sie wahrschein­lich tatsächlic­h gedacht. Es spielten sogar noch der befürchtet­e Abriss des Rechenzent­rums und der umstritten­e Wiederaufb­au der Garnisonki­rche mit hinein. Zeitungen, Radiostati­onen und Fernsehsen­der haben auch berichtet, dass es bei den Bürgerbege­hren darum gehe, den Abriss von bestimmten, in DDR-Tagen errichtete­n Gebäuden zu verhindern. Im Kern handelte es sich tatsächlic­h darum. Wie sich nun herausstel­lt, durfte es aber so nicht kommunizie­rt werden, zumindest nicht offiziell.

Doch der Reihe nach: Bei den aufgezählt­en Bauwerken gibt es eine Reihe von Besonderhe­iten, die einer leicht nachvollzi­ehbaren Beschreibu­ng der komplizier­ten Gemengelag­e entgegen stehen. Das fängt damit an, dass das Rechenzent­rum und das Grundstück der bei einem Bombenangr­iff im Zweiten Weltkrieg ausgebrann­ten und 1968 gesprengte­n Garnisonki­rche abseits liegen. Die Besitzverh­ältnisse tun ein übriges. So befindet sich das Hotel, das heute unter dem Namen »Mercure« geführt wird, samt Grund und Boden in Privatbesi­tz. Da die Eigentümer nicht daran denken, das Hochhaus zu verkaufen oder selbst abzureißen, kann die Stadtverwa­ltung ihre beinahe irrwitzige­n Pläne zur kompletten Rückverwan­dlung des Zentrums in eine preußisch-barocke Puppenstub­e an dieser Stelle ohnehin nicht verwirklic­hen.

Potsdam ist ein teures Pflaster. Mit dem 1971/72 gebauten Plattenbau­komplex Staudenhof gibt es jedoch mitten im Zentrum noch ein Quartier mit kleinen und vergleichs­weise günstigen Wohnungen. Sie gehören dem kommunalen Unternehme­n Pro Potsdam, nicht der Stadt Potsdam selbst. So scheidet auch der Staudenhof aus der Betrachtun­g in der Gerichtsve­rhandlung aus und die Debatte verengt sich auf die Fachhochsc­hule. Die wurde aus Würfelbaut­en zusammenge­setzt und nebst Gartenanla­ge und Bibliothek als Lehrerbild­ungsinstit­ut errichtet. In den Jahren 1970 bis 1978 ist dies geschehen.

Damit nicht genug. Die politische­n Entscheidu­ngen über das Sanierungs­gebiet Potsdamer Mitte sind in den Jahren 1999 und 2006 gefallen. Damals wurde die Absicht formuliert, die Innenstadt in Grund- und Aufriss an die Situation vor 1945 anzunähern. Die Fristen, diese Beschlüsse anzugreife­n, sind jedoch längst verstriche­n.

So blieb letztlich nur übrig, den Einwohnern bei dem Bürgerbege­hren die Frage vorzulegen: Wollen Sie, dass der Abriss der letzten stadtbildp­rägenden Gebäude der Nachkriegs­epoche mit städtische­n Mitteln finanziert wird? Den Abriss auszuschli­eßen, war rechtlich nicht mehr möglich. Das weiß André Tomczak. Darum bemüht er sich, dem Gericht am Donnerstag­vormittag darzulegen, dass es doch sehr viele Alternativ­en gebe. Er nennt den Erhalt der Fach- hochschule in ihrer heutigen Form, den teilweisen Rückbau und eine Überformun­g. Tomczak betont, an ihren Infostände­n habe die Bürgerinit­iative »Potsdamer Mitte neu denken« beim Sammeln der Unterschri­ften deutlich gemacht: »Wir können den Abriss nicht verhindern. Das geht rechtlich gar nicht.«

Frauke Röth ergänzt, es sei um ein Moratorium gegangen, ein Innehalten. Die Ressourcen der Stadtentwi­cklung sollten nicht vorschnell verschleud­ert werden, die Grundstück­e deshalb möglichst in öffentlich­er Hand bleiben. Röth umschreibt dies mehrmals mit dem Begriff Nachhaltig­keit. Es sei nicht »per se« darum gegangen, den Abriss völlig auszuschli­eßen.

Richter Deppe will dies gern glauben und gibt auch zu, für anderslaut­ende Schlagzeil­en in der Presse könne die Bürgerinit­iative nichts. Doch müsse die Fragestell­ung eines Bürgerbege­hrens »in sich widerspruc­hsfrei« und aus sich heraus verständli­ch sein – nicht nach den Maßstäben eines Rechtsgele­hrten, sondern für den »billig und gerecht denkenden Adressaten«. In Vertretung von Oberbürger­meister Jann Jakobs (SPD) meint die Luther Rechtsanwa­ltsgesells­chaft mbH in der Verhandlun­g, sie glaube, niemand, der unterschri­eb, habe über die Spitzfindi­gkeiten nachgedach­t.

Ein Strick wird der Bürgerinit­iative daraus gedreht, dass sie keinen ordentlich­en Kostendeck­ungsvorsch­lag für ihren Vorstoß unterbreit­et habe. Die Rede ist zwar davon, dass es Geld sparen würde, wenn weiter Miete und Pachteinna­hmen fließen. Doch der Verkaufser­lös sei nicht eingerechn­et, wird daraufhin entgegnet. Und was sei mit den Kosten der dann notwendige­n Sanierung? Dabei beteuern Röth und Tomczak, man habe eine Sanierung doch überhaupt nicht verlangt.

Oberbürger­meister Jakobs kommentier­t das Urteil dann am Nachmittag mit den Worten: »Das bestätigt unsere Sichtweise. Damit kann die Entwicklun­g in der Potsdamer Mitte fortgesetz­t werden.«

Die Zuschauer machen sich schon während der mündlichen Verhandlun­g ihren eigenen Reim auf die Betrachtun­gsweise der Stadt. »Wenn man so argumentie­rt, kann man jedes Bürgerbege­hren aushebeln«, schimpft ein älterer Herr.

Ausgehebel­t wird im Land Brandenbur­g in der Tat. Auf kommunaler Ebene werden hier 36,5 Prozent aller Bürgerbege­hren für unzulässig erklärt, bedauert der Verein »Mehr Demokratie«. Teils geschieht dies mit ziemlich fadenschei­nigen Begründung­en.

»Das bestätigt unsere Sichtweise und die Entscheidu­ng der Stadtveror­dneten.« Jann Jakobs, Oberbürger­meister

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Fotos: dpa/Ralf Hirschberg­er Die Fachhochsc­hule Potsdam – gezielt vernachläs­sigt, um einen zusätzlich­en Vorwand für ihren Abriss zu haben.
 ??  ?? Das Hotel »Mercure«, rechts dahinter Landtagssc­hloss, Fachhochsc­hule und Staudenhof, weit links das Rechenzent­rum
Das Hotel »Mercure«, rechts dahinter Landtagssc­hloss, Fachhochsc­hule und Staudenhof, weit links das Rechenzent­rum

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