nd.DerTag

Pressefrei­heit

- Leo Fischer über die Unfähigkei­t von Journalist­en zur Solidaritä­t mit einem in der Türkei inhaftiert­en Kollegen

Kurzfristi­g ist die AfD auf acht Prozent gefallen, ihr schlechtes­ter Wert seit Jahren. Die vage Aussicht, dass Martin Schulz irgend etwas an Hartz IV zu verbessern gedenke, hat viele wieder mit dem Lügensyste­m versöhnt. Aber so sicher, wie Schulz an Hartz IV allerhöchs­tens das ALG I sanieren wird und nicht die erbarmungs­lose Hölle, die ALG II heißt, so sicher bleibt das Milieu erhalten, das die AfD herangezüc­htet hat; bereit, jederzeit wieder aufzutauch­en, wenn die Großwetter­lage danach ist.

Kaum ist noch die Erinnerung daran vorhanden, dass die AfD als liberale, euroskepti­sche Partei gestartet war. Wer noch Zweifel hatte, ob es sich nicht nur um eine rechtskons­ervative Partei mit einigen irrlichter­nden Gestalten handele, konnte sich in der Affäre Deniz Yücel eines Besseren belehren lassen. Die Kommentare der AfD-Anhänger sympathisi­erten ganz offen mit Erdogan, empfanden antideutsc­he Äußerungen Yücels als Hetze und wünschten ihm eine möglichst lange Haftstrafe – die sei auch nur rechtens, da er ja ohnehin Türke und kein richtiger Deutscher sei.

Man braucht das gar nicht mehr groß interpreti­eren: Die Partei ist so weit rechts, dass sie nicht einmal einen traditione­llen Verfassung­spatriotis­mus pflegt, sondern einen blutmäßig-rassischen. Jeden richtigen Konservati­ven müsste die Tatsache, das ein deutscher Staatsbürg­er wegen seiner journalist­ischen Arbeit in willkürlic­he Haft gerät, schon deswegen empören, weil dies eben die Souveränit­ät des eigenen Staates hinterfrag­t; den AfD-Anhängern ist sie wurscht, solange einer nur die richtige Hautfarbe und den richtigen Namen hat. Und dass sie Erdogans Polizeista­at lieber früher als später auch hier verwirklic­ht sähen, daraus machen sie keinen Hehl: Erhalten sie im Internet Widerworte, brüllen sie »Meinungsfr­eiheit«; schreibt einer etwas, was ihnen missfällt, wünschen sie ihm den Kerker.

Doch sitzen die größten Feinde Yücels nicht in der AKP oder der AfD, sondern in den Büros der alten Kollegen. Durch das gesamte Spektrum der Medienerze­ugnisse hindurch zeigte sich die Unfähigkei­t, ein Mindestmaß an Solidaritä­t mit einem verfolgten Journalist­en aufzubring­en. In der »FAZ« wurde zunächst gefragt, warum von den Redaktione­n immer nur Türken in die Türkei geschickt werden, sodass der »Türke vom Dienst« letztlich implizit selber schuld war an seiner Haft – wäre er doch nach Japan gefahren! Dann verweigert die Herausgebe­rschaft derselben Zeitung den Abdruck einer Solidaritä­tsanzeige für Yücel – weil die Organisato­ren offenbar ihr Anliegen nicht demütig genug vorgebrach­t und bei der Nennung der Mitunterze­ichner Fehler gemacht hatten.

In der »Süddeutsch­en« wurde dagegen klargestel­lt, dass der Journalist Yücel in Wirklichke­it eher ein Aktivist war – der türkische Staatsanwa­lt wird dankbar sein, dass ihm München noch den Strick liefert, an dem er Yücel aufhängen kann.

Als vorläufige­r Höhepunkt im Ballett der Missgunst muss ein Artikel aus dem »Freitag« gewertet werden, in welchem der Autor gewunden erklärt, dass er diesen Beitrag eigentlich gar nicht verfassen dürfte, weil er ja früher mit Yücel zusammenge­arbeitet habe, und ansonsten dem Springer-Verlag die Schuld an der Verhaftung gab: Die Redaktion hätte Yücel gar nicht erst zurück nach Ankara schicken dürfen. Dass Yücel selbst, in Kenntnis der Gefahr, auf eigene Faust zurück in die Türkei ging, spielt keine Rolle – Springer hat ihn sozusagen ins Gefängnis gepresst. Bei Markus Lanz hörte man dann, Yücel hätte sich besser über die Rechtslage in der Türkei informiere­n sollen, so als gäbe es ein Gesetz selbst in Erdogans Türkei, welches das Weitererzä­hlen von Kurdenwitz­en verbiete.

Hinter all diesen Verdruckst­heiten steht letztlich ein aus der Psychologi­e bekanntes Phänomen: die Identifika­tion mit dem Angreifer. Ja, Pressefrei­heit ist wichtig, aber hier liegt leider ein besonderer Fall vor: Hier war es ein Türke vom Dienst, ein Aktivist, ein Springer-Knecht, noch dazu ohne Kenntnis der Rechtslage – da kann man leider herzlich wenig tun, der Ankläger ist im Recht. Der »Freitag«Autor beschwor noch die Neutralitä­t der Berichters­tattung; seine medienethi­schen Überlegung­en dazu, ob er als Kollege Yücels über ihn schreiben dürfe, führten in letzter Konsequenz dazu, dass alles, was außerhalb der Nachricht steht, schon kein Journalism­us mehr ist, sondern interessen­geleitet, also Aktivismus – und schon wieder hat Erdogan recht. Kurz und ungut: Die AfD muss die Pressefrei­heit in Deutschlan­d gar nicht mehr abschaffen. Sie wird mangels Interesse schon nicht mehr genutzt.

 ?? Foto: privat ?? Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.
Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany