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Gaggenau macht gaga – Wutbeben türkischer Medien und Politiker

Absage von Propaganda­auftritt ist Tiefkühlko­st für die Beziehunge­n Berlin-Ankara

- Von Jan Keetman

Die jüngsten Ereignisse legen Raureif über die Beziehunge­n zwischen Berlin (das absagt) und Ankara (das wettert). Eine regierungs­nahe türkische Zeitung ist sicher: »Deutschlan­d ist verrückt geworden.« Ob es dem parteilose­n Bürgermeis­ter vom Dezernat II der badischen Gemeinde Gaggenau, Michael Pfeiffer, bewusst war, welchen Sturm er mit seinem Widerruf der Vermietung einer Halle an die Union Europäisch­Türkischer Demokraten (UETD) auslösen würde, ist nicht bekannt.

Eigentlich hatte die dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan nahestehen­de UETD lediglich eine Mitglieder­versammlun­g in der Festhalle im Gemeindete­il Bad Rotenfels angemeldet. Nun hatte die Gemeinde erfahren, dass auch der türkische Justizmini­ster Bekir Bozdag kommen sollte, um für ein Ja beim Verfassung­sreferendu­m am 16. April zu werben. Bei dem Referendum über die Einführung eines Präsidials­ystems in der Türkei sind auch rund 1,4 Millionen Türken in Deutschlan­d wahlberech­tigt. Sie werden von Staatspräs­ident Erdogan heftig umworben.

Angesichts des türkischen Ministerbe­suches schloss Bürgermeis­ter Pfeiffer auf eine überregion­ale Veranstalt­ung, wozu eine für maximal 500 Personen ausgelegte Halle sowie die Parkmöglic­hkeiten und Zufahrten in Bad Rotenfels nicht ausreichen würden. In der Türkei allerdings glaubt diesen banalen Hergang wohl niemand, zumal gleichzeit­ig eine Veranstalt­ung mit dem türkischen Entwicklun­gsminister Lütfi Elvan in Köln untersagt wurde.

»Das ist kein Zufall«, erklärte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu und hatte umgehend eine Erklärung parat. Deutschlan­d wolle die Kampagne für das Verfassung­sreferendu­m am 16. April verhindern, denn die deutschen Politiker »wollen eine starke Türkei verhindern«.

Dass irgendwelc­he ausländisc­hen Mächte immer wieder verzweifel­t bemüht sind, eine starke Türkei zu sabotieren und deshalb den Terrorismu­s fördern oder Proteste wie die um den Gezi-Park in Istanbul vor vier Jahren anzetteln etc. gehört zu den Mantras der türkischen Politik. Da passt die Entscheidu­ng des Bürgermeis­ters von Gaggenau vorzüglich in eine Kampagnens­trategie, die darunter leidet, dass auch viele Anhänger Erdogans der drastische­n Änderung der Landesverf­assung lau oder ablehnend gegenübers­tehen.

Der betroffene Justizmini­ster Bekir Bozdag sah in dem Verbot einen Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung. In diesem Punkt bekam Bozdag sogar auch Unterstütz­ung von Opposition­sführer Kemal Kilicdarog­lu, Vorsitzend­er der kemalistis­ch-sozialdemo­kratischen CHP, die im türkischen Parlament die größte Opposition­sfraktion stellt. Sich sprachlich geradezu überschlag­end sagte Kilicdarog­lu, die Absage sei »nie und nimmer und nie und nimmer richtig«. Rhetorisch an Deutschlan­d gewandt fuhr Kilicdarog­lu fort: »Sie geben der Welt Lektionen in Demokratie und dann verbieten Sie zwei Ministern mit dieser oder jener Begründung das Wort.«

Justizmini­ster Bozdag legte am Freitag noch ordentlich nach. »Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschlan­d ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistis­ches Vorgehen«, sagte der türkische Politiker bei einer Veranstalt­ung im ostanatoli­schen Malatya. »Wir dachten, die Berliner Mauer sei schon lange gefallen. Aber wir sehen, dass es in manchen Köpfen in Deutschlan­d immer noch ideologisc­he Berliner Mauern gibt, und es werden neue gebaut.«

Entwicklun­gsminister Lütfi Elvan seinerseit­s fand die Absage von Köln »im höchsten Grade hässlich, im höchsten Grade schändlich«. Außerdem behauptete er wie andere türki- sche Regierungs­politiker auch, dass im Unterschie­d dazu Terroriste­n in Deutschlan­d frei sprechen dürften. Die Zeitung »Star« hatte bereits zuvor ein Bild des inhaftiert­en Korrespond­enten der Zeitung »Die Welt«, Deniz Yücel, gebracht, das den Reporter auf einer Veranstalt­ung der in der Türkei verbotenen kurdischen Untergrund­organisati­on PKK in Deutschlan­d zeigen soll. In Wirklichke­it zeigt es Yücel bei einer Lesung von »Hate Poetry«, von gehässigen Leserzusch­riften, die Journalist­en mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d erhalten haben. Zugleich bezeichnet­e das Blatt »Star« Yücel als »PKK-Killer«.

Die opposition­elle Zeitung »Cumhuriyet« vermutete in der Absage des Bürgermeis­ters von Gaggenau sogleich eine Revanche für die Inhaftieru­ng von Deniz Yücel. Auch in regierungs­nahen Medien gab es derartige Vermutunge­n. Jedenfalls hatten alle Kommentare eines gemeinsam: Niemand glaubte an die Sorge des Bürgermeis­ters von Gaggenau wegen überfüllte­r Parkplätze. Auch die zu kleine Halle spielte in den türkischen Medien keine Rolle.

»Bild« feierte Pfeiffer am Freitag in einer Überschrif­t als »Der Mann, der Erdogan die Stirn bot« und sah die Absage also nicht weniger politisch als die türkischen Medien.

Wie dem auch sei – die Absage war eine Steilvorla­ge für Erdogans Kampagne in Deutschlan­d. Es ist durchaus möglich, dass Erdogan seine umstritten­e Verfassung­sänderung vor allem mit den Stimmen der Auslandstü­rken durchbekom­mt, obwohl oder gerade weil diese von der Veränderun­g gar nicht betroffen sind. Da zählt vor allem das Bekenntnis zur Türkei und für dieses haben Gaggenau und Köln neue Aufreger geliefert.

»Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschlan­d ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistis­ches Vorgehen.« Der türkische Justizmini­ster Bekir Bozdag

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Foto: dpa/Uli Deck Am Freitag musste das Rathaus wegen einer Bombendroh­ung geräumt werden.

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