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Tödliche Dosis erlaubt

Gericht fällt bemerkensw­ertes Urteil zum Suizid von unheilbar Erkrankten

- Von Sven Eichstädt, Leipzig

Schwerkran­ke können in Ausnahmefä­llen eine tödliche Dosis von Betäubungs­mitteln erhalten. Das hat das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig entschiede­n. Wer schwer krank ist und daran leidet, kann sich in Deutschlan­d palliativm­edizinisch behandeln lassen. Dabei erhält er Betäubungs­mittel in einer solchen Dosierung, dass seine Schmerzen gelindert werden, er an den Betäubungs­mitteln aber nicht stirbt. Nun gibt es aber auch Menschen, die schwer und unheilbar krank sind, daran stark leiden und deshalb aus dem Leben scheiden wollen. Sie haben nach der Entscheidu­ng des Dritten Senats des Bundesverw­altungsger­ichts Anspruch auf eine tödliche Dosis von Betäubungs­mitteln, damit sie also Suizid begehen können (Az. 3 C 19.15). »Das allgemeine Persönlich­keitsrecht umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheide­n, wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll«, sagte die Vorsitzend­e Richterin Renate Philipp.

Voraussetz­ungen dafür sind, dass »die Patienten wegen ihrer unerträgli­chen Leidenssit­uation frei und ernsthaft entschiede­n haben, ihr Leben beenden zu wollen und ihnen keine zumutbare Alternativ­e zur Verfügung steht«, wie Philipp anfügte. Eine Alternativ­e wäre etwa ein palliativm­edizinisch begleitete­r Behandlung­sabbruch: Wenn also etwa die Beatmungsm­aschine abgestellt wird und dann Betäubungs­mittel gegen die Schmerzen gegeben werden. Zuständig für solche Erlaubniss­e für tödliche Dosen von Betäubungs­mitteln wäre das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizin- produkte in Bonn. Die Behörde muss dann prüfen, ob solch ein Ausnahmefa­ll vorliegt, denn »nach den Vorschrift­en des Betäubungs­mittelgese­tzes ist es grundsätzl­ich nicht möglich, den Erwerb eines Betäubungs­mittels zum Zweck der Selbsttötu­ng zu erlauben«, ergänzte Richterin Philipp. Aber nach der Entscheidu­ng des Dritten Senats eben nur grundsätzl­ich nicht, in Ausnahmefä­llen ab sofort schon.

Möglich wurde das Grundsatzu­rteil durch die Klage eines Witwers aus Braunschwe­ig, dessen Frau 2002 bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinisc­he Betreuung und Pflege angewiesen. Häufige Krampfanfä­lle verursacht­en starke Schmerzen. Sie empfand ihre Leidenssit­uation als unerträgli­ch und entwürdige­nd und hatte deshalb den Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Ihren Sterbewuns­ch hatte sie mit ihrem Ehemann Ulrich K., der gemeinsame­n Tochter, den behandelnd­en Ärzten, einem Psychologe­n, dem Pflegepers­onal und einem Geistliche­n besprochen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinst­itut die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungs­mittels. Die Behörde lehnte den Antrag im Dezember 2004 ab, weil eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötu­ng nicht vom Zweck des Betäubungs­mittelgese­tzes gedeckt sei. Im Februar 2005 reisten Ulrich K. und seine Frau in die Schweiz, wo sie sich in Zürich mit Unterstütz­ung eines Vereins für Sterbehilf­e das Leben nahm.

Die Klage des Witwers wies das Verwaltung­sgericht Köln im Februar 2006 als unzulässig ab. Es war der Auffassung, dass Ulrich K. nicht klagebefug­t sei, weil er durch die Ablehnung der von seiner Ehefrau beantragte­n Erlaubnis nicht in eigenen Rechten verletzt sein könne. Das Rechtsmitt­el vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht Münster sowie die Verfassung­sbeschwerd­e beim Bundesverf­assungsger­icht blieben ohne Erfolg. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte entschied im Juli 2012, dass Ulrich K. aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienle­bens der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion einen Anspruch darauf habe, dass die nationalen Gerichte die Begründeth­eit der Klage prüften. Deshalb nahm der Witwer 2013 das Klageverfa­hren wieder auf. Allerdings wiesen das Verwaltung­sgericht und das Oberverwal­tungsgeric­ht seine Klage wieder ab, diesmal als unbegründe­t.

Erst vor dem Bundesverw­altungsger­icht bekam Ulrich K. recht – zumindest teilweise. Zwar »hätte das Bundesinst­itut prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefa­ll gegeben war«, erläuterte Richterin Philipp. Diese Prüfung lasse sich nach dem Tod der Ehefrau von Ulrich K. jedoch nicht mehr nachholen. Deshalb verwiesen die Bundesrich­ter die Sache nicht zurück an das Oberverwal­tungsgeric­ht und stellten auch selbst nicht fest, dass die Behörde die Erlaubnis hätte erteilen müssen.

Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el muss fortan prüfen, ob ein Ausnahmefa­ll vorliegt, der den Erwerb von Betäubungs­mittel zum Zweck der Selbsttötu­ng rechtferti­gt.

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