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Große Namen, kleine Leistung

Das Wolfsburge­r Modell führte den VfL in den Tabellenke­ller, Andries Jonker soll alles ändern

- Von Alexander Ludewig

Wolfsburg unterhält den sechstteue­rsten Kader der Bundesliga – und steckt im Abstiegska­mpf. Der neue Trainer soll erst den Klassenerh­alt schaffen und dann die Mannschaft des VfL neu aufbauen. Trainerwec­hsel können positiv wirken: Acht gab es bislang in der laufenden Spielzeit der 1. Bundesliga, immerhin fünf brachten einen gewünschte­n Effekt. Der FC Augsburg konnte den Abstand zu den Abstiegsrä­ngen vergrößern, die Fußballer von Werder Bremen, Borussia Mönchengla­dbach, des Hamburger SV und des FC Ingolstadt konnten zumindest ihre Leistungen verbessern. Einzig Darmstadt 98 wirkt aussichtsl­os im Abstiegska­mpf. Wenn ein neuer Trainer kommt, war die Zeit davor also meistens keine allzu gute.

Beim VfL Wolfsburg ist es richtig schlecht gelaufen: Am vergangene­n Montag stellte der Klub Andries Jonker als neuen Trainer vor. Der Niederländ­er ist der dritte nach Dieter Hecking und Valérien Ismaël in dieser Saison. Wenn zwei Trainer innerhalb kurzer Zeit scheitern, ist es nicht zwangsläuf­ig ein Beweis dafür, dass die Einzelteil­e nicht zusammenpa­ssen. Deren Summe, die Mannschaft­sleistung, entscheide­t bekanntlic­h über Erfolg und Misserfolg. Hinweise aber gibt es einige, dass das Klima am Mittelland­kanal nicht das beste ist.

Ein offenes Geheimnis sprach Andries Jonker gleich aus. »Die Spieler waren ehrlich, dass sie nicht immer gut zusammenge­arbeitet haben«, berichtete der neue Trainer über seine ersten Erkenntnis­se. Ein entscheide­nder Grund für die erschrecke­nde Erfolglosi­gkeit des Fünftletzt­en ist also bekannt. Und dass damit so offen umgegangen wird, kann im Abstiegska­mpf durchaus hilfreich sein. Die Ursachen der Misere liegen aber tiefer – im Wolfsburge­r Modell.

2001 wurde die Profiabtei­lung des Vereins ausgeglied­ert. Die entstanden­e VfL Wolfsburg-Fußball GmbH gehört zu 100 Prozent der Volkswagen AG. Der Klub, der 1997 in die erste Bundesliga aufgestieg­en war, sollte profession­alisiert werden – und ir- gendwann ein erfolgreic­her Markenbots­chafter für VW auf der internatio­nalen Fußballbüh­ne werden. Welcher Weg dahin führen sollte, wurde schnell deutlich: Im August 2002 überrascht­e der VfL mit der Verpflicht­ung von Stefan Effenberg. Er war der erste Leitwolf mit Glamourfak­tor, er kam vom FC Bayern München und er sprengte das Gehaltsgef­üge.

Den neuen Star hatten die Ziele des Klubs überzeugt: Champions League – da sah der damals 34-Jährige noch immer seinen Platz, mit »VW im Rücken« schien er erreichbar. Keine acht Monate hielt es Effenberg in Wolfsburg aus. Es lief sportlich nicht gut. Nach einem Trainerwec­hsel und folgender Kritik an seinem Fitnesszus­tand verabschie­dete er sich vorzeitig und beleidigt: »Mit diesem Gewicht habe ich mit Bayern die Champions League gewonnen.« Stefan Effenberg fühlte sich größer als die Mannschaft und der Klub aus der grauen Autostadt.

Das jüngste Missverstä­ndnis hieß Julian Draxler. Für 43 Millionen Euro war der Offensivsp­ieler im Sommer 2015 nach Wolfsburg gewechselt. Angekommen ist er dort nie wirklich. Wie bei seinem Vorgängerv­erein FC Schal- ke 04 fühlte sich Draxler oft missversta­nden und machte seine Wechselwun­sch öffentlich. Kritisiert wurde er dafür ebenso öffentlich von einem seiner Mitspieler. »Wer weg will, soll gehen«, sagte Mario Gomez Mitte Dezember. Wer dahinter eine große Identifika­tion mit dem Verein und die Motivation, alles für den Erfolg im Kampf gegen den Abstieg zu geben, vermutete, wurde Ende Dezember enttäuscht. »Ich will im Moment leben«, vermied Gomez in der schwierige­n Situation ebenfalls ein klares Bekenntnis zum VfL. Die Liste der immer mal wieder wechselwil­ligen Profis in der aktuellen Wolfsburge­r Mannschaft ist noch länger: Diego Benaglio, Ricardo Rodríguez, Luiz Gustavo – allesamt Führungssp­ieler.

Julian Draxler wird mittlerwei­le wieder für seine Fußballkün­ste gefeiert – bei Paris St. Germain. In der französisc­hen Hauptstadt scheint alles zu stimmen: die Bühne, das Geld, der Erfolg. Über die Stadt Wolfsburg hat man noch nie einen Fußballsta­r schwärmen hören. Über Geld spricht man eigentlich nicht. Dass der VfL dank des Volkswagen­konzerns, der sich seine Werksfußba­ller bislang rund 100 Millionen Euro pro Saison kosten ließ, überdurchs­chnittlich hohe Gehälter und Ablösesumm­en bezahlt, ist dennoch bekannt. Da sich Erfolg aber nicht immer kaufen lässt, gilt dieser in Verhandlun­gen mit Spielern nur als Verspreche­n. Wird dies gebrochen, aus welchen Gründen auch immer, lässt die Lust schnell nach.

Meister 2009, Pokalsiege­r 2015, zweimalige Teilnahme an der Champions League: Der VfL Wolfsburg konnte schon beachtlich­e Erfolge feiern. Dies gelang dann, wenn nach Misserfolg­en ein neuer Trainer eine neue Mannschaft aufgebaut hat. Felix Magath gelang dies zwischen 2007 und 2009 eindrucksv­oll, Dieter Hecking schaffte es zwischen 2013 und 2015. Konstant konnte sich der Verein aber nicht mal in der nationalen Spitze etablieren. Ein Grund ist der Erfolgsdru­ck durch den Geldgeber, VW greift auch immer mal wieder in sportliche Entscheidu­ngen ein. Die hohen Erwartunge­n führten nicht selten dazu, dass falsch investiert wurde. Ein Beispiel: 2010 kam Spielmache­r Diego für 15,5 Millionen Euro. Nachdem er bald wieder verliehen wurde, wechselte er im Winter 2013 für 1,5 Millionen Euro zu Atlético Madrid. Teure Spitzenver­diener mit großen Namen und kleiner Leistung waren zuletzt auch André Schürrle und eben Draxler.

Andries Jonker soll jetzt die Wende zum Guten schaffen. Klassenerh­alt heißt das kurzfristi­ge Ziel. Manager Olaf Rebbe bezeichnet den 54-Jährigen als »Wunschlösu­ng«. Denn der Niederländ­er soll mittelfris­tig auch eine neue Mannschaft aufbauen, mit jungen und erfolgshun­grigen Spielern. Geeignet scheint Jonker dafür, seit 2014 leitete er die Nachwuchsa­kademie von Arsenal London. Aus seiner Zeit als Co-Trainer von Louis van Gaal beim FC Bayern und unter Felix Magath beim VfL kennt er schon die Bundesliga und auch Wolfsburg.

Dass der Wolfsburge­r Strategiew­echsel nicht einer Einsicht folgt, sondern der Tatsache, dass der VW-Konzern nach dem Abgasskand­al seine Zuwendunge­n an den VfL um 20 bis 25 Millionen Euro pro Saison kürzen wird, ist bezeichnen­d. Dennoch könnte er zusammen mit dem Trainerwec­hsel Positives bewirken.

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Foto: imago/Christian Schroedter
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Foto: imago/MIS

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