Große Namen, kleine Leistung
Das Wolfsburger Modell führte den VfL in den Tabellenkeller, Andries Jonker soll alles ändern
Wolfsburg unterhält den sechstteuersten Kader der Bundesliga – und steckt im Abstiegskampf. Der neue Trainer soll erst den Klassenerhalt schaffen und dann die Mannschaft des VfL neu aufbauen. Trainerwechsel können positiv wirken: Acht gab es bislang in der laufenden Spielzeit der 1. Bundesliga, immerhin fünf brachten einen gewünschten Effekt. Der FC Augsburg konnte den Abstand zu den Abstiegsrängen vergrößern, die Fußballer von Werder Bremen, Borussia Mönchengladbach, des Hamburger SV und des FC Ingolstadt konnten zumindest ihre Leistungen verbessern. Einzig Darmstadt 98 wirkt aussichtslos im Abstiegskampf. Wenn ein neuer Trainer kommt, war die Zeit davor also meistens keine allzu gute.
Beim VfL Wolfsburg ist es richtig schlecht gelaufen: Am vergangenen Montag stellte der Klub Andries Jonker als neuen Trainer vor. Der Niederländer ist der dritte nach Dieter Hecking und Valérien Ismaël in dieser Saison. Wenn zwei Trainer innerhalb kurzer Zeit scheitern, ist es nicht zwangsläufig ein Beweis dafür, dass die Einzelteile nicht zusammenpassen. Deren Summe, die Mannschaftsleistung, entscheidet bekanntlich über Erfolg und Misserfolg. Hinweise aber gibt es einige, dass das Klima am Mittellandkanal nicht das beste ist.
Ein offenes Geheimnis sprach Andries Jonker gleich aus. »Die Spieler waren ehrlich, dass sie nicht immer gut zusammengearbeitet haben«, berichtete der neue Trainer über seine ersten Erkenntnisse. Ein entscheidender Grund für die erschreckende Erfolglosigkeit des Fünftletzten ist also bekannt. Und dass damit so offen umgegangen wird, kann im Abstiegskampf durchaus hilfreich sein. Die Ursachen der Misere liegen aber tiefer – im Wolfsburger Modell.
2001 wurde die Profiabteilung des Vereins ausgegliedert. Die entstandene VfL Wolfsburg-Fußball GmbH gehört zu 100 Prozent der Volkswagen AG. Der Klub, der 1997 in die erste Bundesliga aufgestiegen war, sollte professionalisiert werden – und ir- gendwann ein erfolgreicher Markenbotschafter für VW auf der internationalen Fußballbühne werden. Welcher Weg dahin führen sollte, wurde schnell deutlich: Im August 2002 überraschte der VfL mit der Verpflichtung von Stefan Effenberg. Er war der erste Leitwolf mit Glamourfaktor, er kam vom FC Bayern München und er sprengte das Gehaltsgefüge.
Den neuen Star hatten die Ziele des Klubs überzeugt: Champions League – da sah der damals 34-Jährige noch immer seinen Platz, mit »VW im Rücken« schien er erreichbar. Keine acht Monate hielt es Effenberg in Wolfsburg aus. Es lief sportlich nicht gut. Nach einem Trainerwechsel und folgender Kritik an seinem Fitnesszustand verabschiedete er sich vorzeitig und beleidigt: »Mit diesem Gewicht habe ich mit Bayern die Champions League gewonnen.« Stefan Effenberg fühlte sich größer als die Mannschaft und der Klub aus der grauen Autostadt.
Das jüngste Missverständnis hieß Julian Draxler. Für 43 Millionen Euro war der Offensivspieler im Sommer 2015 nach Wolfsburg gewechselt. Angekommen ist er dort nie wirklich. Wie bei seinem Vorgängerverein FC Schal- ke 04 fühlte sich Draxler oft missverstanden und machte seine Wechselwunsch öffentlich. Kritisiert wurde er dafür ebenso öffentlich von einem seiner Mitspieler. »Wer weg will, soll gehen«, sagte Mario Gomez Mitte Dezember. Wer dahinter eine große Identifikation mit dem Verein und die Motivation, alles für den Erfolg im Kampf gegen den Abstieg zu geben, vermutete, wurde Ende Dezember enttäuscht. »Ich will im Moment leben«, vermied Gomez in der schwierigen Situation ebenfalls ein klares Bekenntnis zum VfL. Die Liste der immer mal wieder wechselwilligen Profis in der aktuellen Wolfsburger Mannschaft ist noch länger: Diego Benaglio, Ricardo Rodríguez, Luiz Gustavo – allesamt Führungsspieler.
Julian Draxler wird mittlerweile wieder für seine Fußballkünste gefeiert – bei Paris St. Germain. In der französischen Hauptstadt scheint alles zu stimmen: die Bühne, das Geld, der Erfolg. Über die Stadt Wolfsburg hat man noch nie einen Fußballstar schwärmen hören. Über Geld spricht man eigentlich nicht. Dass der VfL dank des Volkswagenkonzerns, der sich seine Werksfußballer bislang rund 100 Millionen Euro pro Saison kosten ließ, überdurchschnittlich hohe Gehälter und Ablösesummen bezahlt, ist dennoch bekannt. Da sich Erfolg aber nicht immer kaufen lässt, gilt dieser in Verhandlungen mit Spielern nur als Versprechen. Wird dies gebrochen, aus welchen Gründen auch immer, lässt die Lust schnell nach.
Meister 2009, Pokalsieger 2015, zweimalige Teilnahme an der Champions League: Der VfL Wolfsburg konnte schon beachtliche Erfolge feiern. Dies gelang dann, wenn nach Misserfolgen ein neuer Trainer eine neue Mannschaft aufgebaut hat. Felix Magath gelang dies zwischen 2007 und 2009 eindrucksvoll, Dieter Hecking schaffte es zwischen 2013 und 2015. Konstant konnte sich der Verein aber nicht mal in der nationalen Spitze etablieren. Ein Grund ist der Erfolgsdruck durch den Geldgeber, VW greift auch immer mal wieder in sportliche Entscheidungen ein. Die hohen Erwartungen führten nicht selten dazu, dass falsch investiert wurde. Ein Beispiel: 2010 kam Spielmacher Diego für 15,5 Millionen Euro. Nachdem er bald wieder verliehen wurde, wechselte er im Winter 2013 für 1,5 Millionen Euro zu Atlético Madrid. Teure Spitzenverdiener mit großen Namen und kleiner Leistung waren zuletzt auch André Schürrle und eben Draxler.
Andries Jonker soll jetzt die Wende zum Guten schaffen. Klassenerhalt heißt das kurzfristige Ziel. Manager Olaf Rebbe bezeichnet den 54-Jährigen als »Wunschlösung«. Denn der Niederländer soll mittelfristig auch eine neue Mannschaft aufbauen, mit jungen und erfolgshungrigen Spielern. Geeignet scheint Jonker dafür, seit 2014 leitete er die Nachwuchsakademie von Arsenal London. Aus seiner Zeit als Co-Trainer von Louis van Gaal beim FC Bayern und unter Felix Magath beim VfL kennt er schon die Bundesliga und auch Wolfsburg.
Dass der Wolfsburger Strategiewechsel nicht einer Einsicht folgt, sondern der Tatsache, dass der VW-Konzern nach dem Abgasskandal seine Zuwendungen an den VfL um 20 bis 25 Millionen Euro pro Saison kürzen wird, ist bezeichnend. Dennoch könnte er zusammen mit dem Trainerwechsel Positives bewirken.