Abschiebungen vom Tisch
Landtag beschließt weitgehende Bleibemöglichkeiten für afghanische Flüchtlinge
Die Ausländerbehörden sollen ihre Ermessensspielräume zugunsten der Afghanen ausnutzen. Das entschieden SPD, LINKE und Freie Wähler am Freitag im Landtag. Die Grünen enthielten sich. Am Freitag beschloss der Landtag eine Lösung für die im Land lebenden afghanischen Flüchtlinge. Demnach sollen die Ausländerbehörden ihre Ermessensspielräume nutzen, um die Menschen nicht in ihre Heimat abzuschieben. Auch bat das Parlament die rot-rote Landesregierung, »sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass eine ständige Überprüfung und Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan auch unter Einbeziehung von Erkenntnissen von in der Region tätigen Hilfsorganisationen erfolgt, und bei begründeten Bedenken in einzelnen Ländern auf eine Neubewertung hinzuwirken«. Außerdem ist die Regierung aufgefordert, eine unabhängige Beratung der Flüchtlinge zu ihrem Asylverfahren in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Eisenhüttenstadt und in ihren Filialen sicherzustellen.
Damit geht der beschlossene Antrag weit über das konkret zu bewältigende Thema Abschiebungen nach Afghanistan hinaus. Scheinbar leicht ging dies alles am Ende im Landtag über die Bühne. Das macht beinahe vergessen, wie ernst die Lage zwischenzeitlich war. Denn an der prinzipiellen Frage der Abschiebungen nach Afghanistan hätte schlimmstenfalls die rot-rote Koalition zerbrechen können. Schließlich hat die LINKE immer wieder ihre Position bekräftigt, sie sei gegen die Einstufung zusätzlicher Herkunftsländer als sicheres Gebiet. Darum kann sie auch auf Landesebene nicht stillschweigend akzeptieren, wenn Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium Teile Afghanistans gegen jede Vernunft als sicher bezeichnen und dies Auswirkungen auf Asylverfahren und das Bleiberecht tatsächlich gefährdeter Menschen hat. Doch es dauerte eine Woche, bis eine Einigung mit der SPD erzielt werden konnte. Erst am 2. März tauchte der gemeinsame Antrag auf der Tagesordnung auf.
Unter Zugzwang stand die LINKE, da die Grünen einen Abschiebestopp beantragt hatten, der aber maximal drei Monate gegolten und langfristig nicht geholfen hätte. Ohne das Vorpreschen der Grünen hätte, wie sich nun herausstellt, in Brandenburg gar kein Handlungsbedarf bestanden. Insofern hatte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sogar recht, als er schimpfte, hier werde eine »Scheindebatte« geführt.
Denn es gab aus Brandenburg im laufenden Jahr noch keine Abschiebung nach Afghanistan und im vergangenen Jahr keine echte Abschiebung dorthin. Es sind nur zehn Afghanen in den EU-Staat abgeschoben worden, den sie bei ihrer Flucht zuerst erreicht hatten. Außerdem gab es vier Afghanen, die sich quasi auf eigenen Wunsch in ihre Heimat abschieben ließen. Weil die Familie nicht nachziehen darf, weil sie keine Perspektive mehr für sich in Deutschland sehen oder weil die Versprechungen der Schlepper leere Worte waren und die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Deutschland schlechter sind als ihnen vorgegaukelt wurde, möchten manche Afgha- nen selbst zurück. Doch aufgrund bürokratischer Spitzfindigkeiten erhält nicht jeder Flüchtling für die Rückkehr die Starthilfe von bis zu 2000 Euro. Darum kommt es vor, dass Betroffene um ihre Abschiebung bitten, um wenigstens nicht den Flug bezahlen zu müssen. 2016 hat es in Brandenburg vier solche Fälle gege- ben, erklärt der SPD-Abgeordnete Daniel Kurth am Freitag.
Zwar sind einige der rund 6820 im Bundesland lebenden Afghanen in Aufregung, weil gerade ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Im Bescheid steht standardmäßig der Satz, dass sie die Bundesrepublik binnen eines Monats zu verlassen haben. Doch dies heißt keineswegs, dass sie postwendend abgeschoben werden. Sie kön- nen durchaus in Brandenburg geduldet werden. In der Regel ist das auch so.
»Wir haben uns gegen die Hardliner in der SPD durchgesetzt«, freut sich die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE). Innenminister Schröter hatte vorher gemeint, kein Bundesland sollte ausscheren. Alle Länder sollten sich an die Vorgaben des Bundes halten. Doch nun wurde der Landtagsbeschluss damit begründet, dass dem Land nicht nur die Umsetzung der Vorgaben des Bundes obliege, sondern dass es daneben auch die Verantwortung dafür habe, dass in jedem Einzelfall geprüft werde, ob Gründe vorliegen, »die eine Duldung oder ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht rechtfertigen«.
Zuletzt trafen am 23. Februar in Kabul aus anderen Bundesländern abgeschobene Flüchtlinge ein. Wie prekär die Lage dort ist, zeigte sich am Mittwoch bei einem Bombenanschlag auf ein Hauptquartier der Polizei. An diesem Tag wurden in Kabul bei verschiedenen Selbstmordattentaten 16 Menschen getötet.
»Wir haben uns gegen die Hardliner in der SPD durchgesetzt.« Andrea Johlige (LINKE)