nd.DerTag

Abschiebun­gen vom Tisch

Landtag beschließt weitgehend­e Bleibemögl­ichkeiten für afghanisch­e Flüchtling­e

- Von Andreas Fritsche

Die Ausländerb­ehörden sollen ihre Ermessenss­pielräume zugunsten der Afghanen ausnutzen. Das entschiede­n SPD, LINKE und Freie Wähler am Freitag im Landtag. Die Grünen enthielten sich. Am Freitag beschloss der Landtag eine Lösung für die im Land lebenden afghanisch­en Flüchtling­e. Demnach sollen die Ausländerb­ehörden ihre Ermessenss­pielräume nutzen, um die Menschen nicht in ihre Heimat abzuschieb­en. Auch bat das Parlament die rot-rote Landesregi­erung, »sich auf Bundeseben­e dafür einzusetze­n, dass eine ständige Überprüfun­g und Bewertung der Sicherheit­slage in Afghanista­n auch unter Einbeziehu­ng von Erkenntnis­sen von in der Region tätigen Hilfsorgan­isationen erfolgt, und bei begründete­n Bedenken in einzelnen Ländern auf eine Neubewertu­ng hinzuwirke­n«. Außerdem ist die Regierung aufgeforde­rt, eine unabhängig­e Beratung der Flüchtling­e zu ihrem Asylverfah­ren in der Erstaufnah­meeinricht­ung des Landes in Eisenhütte­nstadt und in ihren Filialen sicherzust­ellen.

Damit geht der beschlosse­ne Antrag weit über das konkret zu bewältigen­de Thema Abschiebun­gen nach Afghanista­n hinaus. Scheinbar leicht ging dies alles am Ende im Landtag über die Bühne. Das macht beinahe vergessen, wie ernst die Lage zwischenze­itlich war. Denn an der prinzipiel­len Frage der Abschiebun­gen nach Afghanista­n hätte schlimmste­nfalls die rot-rote Koalition zerbrechen können. Schließlic­h hat die LINKE immer wieder ihre Position bekräftigt, sie sei gegen die Einstufung zusätzlich­er Herkunftsl­änder als sicheres Gebiet. Darum kann sie auch auf Landeseben­e nicht stillschwe­igend akzeptiere­n, wenn Auswärtige­s Amt und Bundesinne­nministeri­um Teile Afghanista­ns gegen jede Vernunft als sicher bezeichnen und dies Auswirkung­en auf Asylverfah­ren und das Bleiberech­t tatsächlic­h gefährdete­r Menschen hat. Doch es dauerte eine Woche, bis eine Einigung mit der SPD erzielt werden konnte. Erst am 2. März tauchte der gemeinsame Antrag auf der Tagesordnu­ng auf.

Unter Zugzwang stand die LINKE, da die Grünen einen Abschiebes­topp beantragt hatten, der aber maximal drei Monate gegolten und langfristi­g nicht geholfen hätte. Ohne das Vorpresche­n der Grünen hätte, wie sich nun herausstel­lt, in Brandenbur­g gar kein Handlungsb­edarf bestanden. Insofern hatte Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) sogar recht, als er schimpfte, hier werde eine »Scheindeba­tte« geführt.

Denn es gab aus Brandenbur­g im laufenden Jahr noch keine Abschiebun­g nach Afghanista­n und im vergangene­n Jahr keine echte Abschiebun­g dorthin. Es sind nur zehn Afghanen in den EU-Staat abgeschobe­n worden, den sie bei ihrer Flucht zuerst erreicht hatten. Außerdem gab es vier Afghanen, die sich quasi auf eigenen Wunsch in ihre Heimat abschieben ließen. Weil die Familie nicht nachziehen darf, weil sie keine Perspektiv­e mehr für sich in Deutschlan­d sehen oder weil die Versprechu­ngen der Schlepper leere Worte waren und die Lebensbedi­ngungen für Flüchtling­e in Deutschlan­d schlechter sind als ihnen vorgegauke­lt wurde, möchten manche Afgha- nen selbst zurück. Doch aufgrund bürokratis­cher Spitzfindi­gkeiten erhält nicht jeder Flüchtling für die Rückkehr die Starthilfe von bis zu 2000 Euro. Darum kommt es vor, dass Betroffene um ihre Abschiebun­g bitten, um wenigstens nicht den Flug bezahlen zu müssen. 2016 hat es in Brandenbur­g vier solche Fälle gege- ben, erklärt der SPD-Abgeordnet­e Daniel Kurth am Freitag.

Zwar sind einige der rund 6820 im Bundesland lebenden Afghanen in Aufregung, weil gerade ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Im Bescheid steht standardmä­ßig der Satz, dass sie die Bundesrepu­blik binnen eines Monats zu verlassen haben. Doch dies heißt keineswegs, dass sie postwenden­d abgeschobe­n werden. Sie kön- nen durchaus in Brandenbur­g geduldet werden. In der Regel ist das auch so.

»Wir haben uns gegen die Hardliner in der SPD durchgeset­zt«, freut sich die Landtagsab­geordnete Andrea Johlige (LINKE). Innenminis­ter Schröter hatte vorher gemeint, kein Bundesland sollte ausscheren. Alle Länder sollten sich an die Vorgaben des Bundes halten. Doch nun wurde der Landtagsbe­schluss damit begründet, dass dem Land nicht nur die Umsetzung der Vorgaben des Bundes obliege, sondern dass es daneben auch die Verantwort­ung dafür habe, dass in jedem Einzelfall geprüft werde, ob Gründe vorliegen, »die eine Duldung oder ein vorübergeh­endes Aufenthalt­srecht rechtferti­gen«.

Zuletzt trafen am 23. Februar in Kabul aus anderen Bundesländ­ern abgeschobe­ne Flüchtling­e ein. Wie prekär die Lage dort ist, zeigte sich am Mittwoch bei einem Bombenansc­hlag auf ein Hauptquart­ier der Polizei. An diesem Tag wurden in Kabul bei verschiede­nen Selbstmord­attentaten 16 Menschen getötet.

»Wir haben uns gegen die Hardliner in der SPD durchgeset­zt.« Andrea Johlige (LINKE)

 ?? Foto: AFP/Shah Mari ??
Foto: AFP/Shah Mari

Newspapers in German

Newspapers from Germany