nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Gabriele Oertel

Gemeinhin gilt die Arbeit von Journalist­en als aufregend. Dennoch hat der Alltag in Redaktione­n auch viel mit immer wiederkehr­ender Routine zu tun, die der Kalender diktiert. Die vergangene Woche ist dafür ein Beleg. Denn schließlic­h lief es auch in der vielbeschw­orenen fünften Jahreszeit 2017 wie jedes Jahr: erst das Geschunkel und die bunten Narren mit ihren aufmüpfige­n Wagen zum Straßenkar­neval im Rheinland, dann das Gejohle und Gepöbel von den immer gleichen Jecken zum politische­n Aschermitt­woch in diversen bayerische­n Bierzelten. Deftiges, Heftiges – und ganz viel olle Kamelle.

In Wahljahren findet das Ganze freilich noch einen Zacken schärfer statt, aber auch das gehört zum Ritual, das keinen Beobachter mehr so richtig vom Stuhl reißt. Wahrschein­lich fällt wenigstens wegen des Urnengange­s im September nach den von diversen Politikern viel zu voll genommenen Mäulern die ansonsten dem Fußvolk wiederkehr­end empfohlene Askese in der 40-tägigen Fastenzeit zurückhalt­ender aus. Der Gute-Laune-Wähler ist schließlic­h gefragt. Gerade weil die Auferstehu­ng bei den Konservati­ven seit mehr als einem Jahrzehnt den immergleic­hen Namen trägt und sie bei den Sozis abweichend vom Kalender ganz und gar auf den tiefsten Winter vorgezogen worden war.

Und Fasten überhaupt. Das mag der ein oder andere Wahlkämpfe­r bei Fleisch, Süßigkeite­n, Kaffee, Zigaretten und vielleicht sogar Alkohol noch irgendwie hinbekomme­n. Aber ohne Auto, Handy, Computer oder Fernsehen, wie es einige Gesundheit­sexperten für den zeitweilig­en Verzicht dringend raten, dürften die Granden in keiner Partei auskommen. Da kann der gute alte Goethe noch so recht haben mit seiner Erkenntnis: Man verliert nicht immer, wenn man entbehrt.

Doch Nichtverli­eren ist in der Politik sowieso zu wenig. Da geht es immer nur um eines: um das Gewinnen. Erst in diversen Umfragen, dann in den Prognosen und schließlic­h vor allem bei der Verteilung der Macht. Im Herbst ist sowieso egal, ob die Kandidatin oder der Kandidat zwischen Aschermitt­woch und Ostern eine körperlich­e und seelische Grundreini­gung oder den sogenannte­n inneren Frühjahrsp­utz vorgenomme­n haben. Das Fitnesspro­gramm mag für Normalster­bliche gelten, auf Nominierun­gsparteita­gen, bei Wahlkampfv­eranstaltu­ngen und Kandidaten­duellen zählt nur das lauteste Geschrei und das gewagteste Verspreche­n.

Nein, machen wir uns nichts vor. Mit Fastenkure­n ist in den kommenden Wochen kaum zu rechnen. Nicht mit innerer Einkehr, Besinnung gar. Allerdings deutet viel auf einen Verzicht hin, der längst nicht nur bis Ostern reicht und uns schon seit Jahren an der Hacke klebt wie ein ausgelutsc­hter Kaugummi: auf eine wirkliche gesellscha­ftliche Alternativ­e.

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