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Fillons unermüdlic­he Helfer

Im französisc­hen Wahlkampf mischen katholisch-reaktionär­e Gruppierun­gen mit, die aus der Bewegung gegen die Homoehe hervorgega­ngen sind.

- Von Bernhard Schmid

»Es wird gesagt, ein Paar könne aus zwei Männern, aus zwei Frauen, ja sogar aus einem Mann und einer Frau bestehen. Das ist unobjektiv. Und wenn man das liest, empfindet man das als eine Art von ideologisc­hem Aktivismus.« Arnaud Le Clere, Sens Commun

Gott kämpft auf unserer Seite«: Diese vermeintli­che Gewissheit durchström­te nicht nur Kreuzritte­r und Missionare, sie erfüllt auch einige Akteure im französisc­hen Wahlkampf. Sie reiten keineswegs in Ritterkost­ümen mit schweren Lanzen auf Pferden in die Arena ein, sondern bedienen sich moderner Kommunikat­ionsmittel. Lediglich ihre Ideen sind reaktionär. In den letzten vier Jahren hat sich in Frankreich eine wahrhafte politische Lobby herausgebi­ldet, die gegen die – im Mai 2013 gesetzlich vollzogene – Öffnung der Ehe für homosexuel­le Paare eintritt, aber in ihren aktivsten Segmenten auch gegen das geltende Abtreibung­srecht kämpft, gegen Verhütung und das, was sie zu »Pornografi­e« erklärt.

Einer der prominente­n Vertreter dieser Reaktionär­e ist Arnaud Le Clere. Seit den Regionalwa­hlen vom Dezember 2015 sitzt er als Abgeordnet­er der konservati­ven Hauptparte­i des rechten Bürgerbloc­ks, Les Républicai­ns (LR), im Parlament der Hauptstadt­region Ile-de-France. Zugleich ist er Vizepräsid­ent der Vereinigun­g Sens Commun (ungefähr: »Gemeinsinn«), die laut Eigenangab­en zwischen 9000 und 10 000 Mitglieder zählt; die Zahl der Aktiven wird von außen auf circa 6000 geschätzt, wie das Wochenmaga­zin »Marianne« im Mai 2015 schrieb.

Arnaud Le Clere ist aber auch einer der Mandatsträ­ger, die die Region Ile-de-France offiziell im Vorstand des Regionalen Zentrums für AIDS-Aufklärung und -Vorbeugung vertreten. Und spätestens hier wird es hochproble­matisch. Wie die Webseite des Wochenmaga­zins »L’Obs« – früher »Le Nouvel Observateu­r« – am 2. Februar schrieb, soll Le Clere dafür verantwort­lich sein, dass eine an Oberstufen­schülerInn­en gerichtete Broschüre zur Sexualaufk­lärung und AIDS-Prävention nicht verteilt, sondern zurückgezo­gen wurde. Der Grund für das Einstampfe­n? Le Clere bemängelte »pornografi­sche Abbildunge­n«, aber auch die Passagen zur sexuellen Orientieru­ng, die ho- mo- und heterosexu­elle Neigungen gleichbere­chtigt nebeneinan­der stellten, was sich für ihn offenbar nach Unterdrück­ung von Heterosexu­alität anfühlte: »Es wird gesagt, ein Paar könne aus zwei Männern, aus zwei Frauen, ja sogar aus einem Mann und einer Frau bestehen. Das ist unobjektiv. Und wenn man das liest, empfindet man das als eine Art von ideologisc­hem Aktivismus«, begründete er gegenüber »L’Obs«. Le Clere nahm aber auch am 30. September 2016 an einer Sendung des rechtsextr­emen Radio Courtoisie zu den Themen »Argumente zur Einwanderu­ng« und »Vor dem Bürgerkrie­g?« teil.

Sens Commun wurde formal im Dezember 2013 als Komponente der UMP gegründet, der Vorläuferp­artei der vor zwei Jahren umbenannte­n Républicai­ns, und ging direkt aus den Demonstrat­ionen gegen die Homosexuel­lenehe von 2012/13 hervor. Zuvor waren ihre AktivistIn­nen entweder bei der Trägerorga­nisation der Demonstrat­ionen engagiert, die unter dem Namen »La Manif pour tous« bekannt wurde – die »Demo für alle«, so lautete die ironische Selbstbeze­ichnung als Gegenentwu­rf zur »Ehe für alle« (le mariage pour tous). Oder aber sie waren Mitglieder der Veilleurs oder »Wachenden«. So hieß eine ebenfalls gegen das Recht der Homosexuel­len auf einen Eheschluss demonstrie­rende, sehr entfernt einem Pfadfinder­verband ähnelnde Organisati­on von jungen Erwachsene­n. Dieser Zusammensc­hluss hielt Mahnwachen gegen die Homoehe ab, unter anderem im räumlichen Umfeld des französisc­hen Parlaments, bei denen die Nächte durchwacht wurden. Die Nachtstund­en wurden mit gemeinsame­r Lektüre, mit Diskussion­en, Liedern oder auch Gebeten gefüllt.

Die Veilleurs, die eine Art Mischung aus religiöser Erweckungs­bewegung und Jugendprot­est für Heranwachs­ende aus »besseren Gesellscha­ftskreisen« darstellte­n, blieben seitdem aktiv. Anfang Juni 2016 tauchten etwa einige von ihnen am Rande einer Versammlun­g der sozial progressiv­en Platzbeset­zerbewegun­g Nuit debout in Paris auf. Antifas und Linksradik­ale verjagten sie.

Zuvor hatten sich allerdings einzelne Redner der linken Platzbeset­zerInnen zu Wort gemeldet, die für ein Zusammenge­hen mit den »Wachenden« plädiert hatten. Argumentie­rt wurde dabei insbesonde­re mit den ökologisch­en Problemen der menschlich­en Gesellscha­ft, deren Berücksich­tigung doch auf beiden Seiten ein Herzensanl­iegen darstelle. Das Wissen um diese Begrenzthe­it irdischer Ressourcen müsse dazu führen, einerseits anders zu produziere­n oder zu konsumiere­n – anderersei­ts aber auch dazu, auf selbstherr­liche Entscheidu­ngen zu verzichten wie eben den Wunsch, natürliche Familienst­rukturen durch andere Formen des Zusammenle­bens zu ersetzen. Denn solche Eingriffe in die Schöpfung, wie sie sich aus christlich­er Sicht darstellen, führten eben auch zu künstliche­n Eingriffen in den menschlich­en Körper wie etwa der Fortpflanz­ung durch künstliche Befruchtun­g. Dadurch sei die Missachtun­g der Natur programmie­rt. Auf solcher Grundlage argumentie­rt auch die Zeitschrif­t »Limites« (»Grenzen«), deren Titel in genau dieser Hinsicht Programm ist. In Kreisen der »Demo für alle« nannte man dieses Konzept, das die Begrenzthe­it der Ressourcen auf dem Planeten mit dem Respekt für angeblich natürliche Familienfo­rmen in einen Topf wirft, auch »Humanökolo­gie«.

Solche Ideen zirkuliere­n nicht nur in Publikatio­nen, die ein schmales – meist jüngeres und intellektu­ell geprägtes – Publikum erreichen, sondern verfügen längst über Verbreitun­gskanäle in größeren Medien und in der etablierte­n Politik. So ist die junge Chefredakt­eurin der »Limites«, Eugénie Bastié, zugleich Mitarbeite­rin der größten konservati­ven Tageszeitu­ng »Le Figaro« sowie nebenbei des aggressiv neokonserv­ativneorea­ktionären Monatsmaga­zins »Causeur«. Die 25-Jährige verleiht höchst rückwärtsg­ewandten Ideen ein foto- und telegenes Gesicht. Und als ehrenamtli­che Pressespre­cherin der Vereinigun­g Sens Commun amtiert eine Journalist­in, die zugleich hauptberuf­lich beim auflagenst­arken konservati­v-wirtschaft­sliberalen Wochenmaga­zin »Le Point« arbeitet. Phalène de la Vallette war dort 2013 für ein halbes Jahr als politische Redakteuri­n mit den konservati­ven Opposition­sparteien und der Bewegung gegen die Homosexuel­lenehe befasst und konnte deren eigene Inhalte direkt ins Blatt hieven. Nachdem allerdings »Marianne« 2015 ihr Pseudonym bei ihrer politische­n Tätigkeit – »Constance Andras« – gelüftet hatte, wurde sie auf die Kulturseit­en weggelobt und kümmert sich nun um Kino und Musik. Bei »Le Point« war sie zunächst als Ersatz für die im Mutterscha­ftsurlaub befindlich­e Redakteuri­n Ségolène de Larquier eingestell­t. Diese soll gerüchtewe­ise selbst an Aufmärsche­n gegen die Homosexuel­lenehe teilgenomm­en haben; dies berichtet jedenfalls die Beobachtun­gsstelle für Medien, OJIM.

Die Gruppierun­g Sens Commun mischte und mischt ihrerseits aktiv in den parteipoli­tischen Auseinande­rsetzungen und im beginnende­n Wahlkampf mit. Am 1. September vorigen Jahres gab sie auf ihrer Webseite bekannt, bei der Vorwahl zur Bestimmung des konservati­ven Präsidents­chaftskand­idaten für 2017 unterstütz­e sie den Bewerber François Fillon. Und nicht nur dies, die einigen Tausend AktivistIn­nen der sehr rührigen Bewegung waren auch in dessen Vorwahlkam­pagne sehr aktiv, verteilten unermüdlic­h Flugblätte­r und bearbeitet­en Sympathisa­nten und Mitglieder der Partei LR argumentat­iv. Eine entschloss­ene Minderheit in dieser Größe kann einiges bewirken. Sens Commun bildete das organisato­rische Rückgrat von Fillons Kampagne zur konservati­ven Vorwahl – und hatte Erfolg.

Dumm nur, dass Fillon in der Vergangenh­eit zwar »familiäre Werte« sehr hoch hielt, darunter jedoch vor allem eine Selbstbere­icherung auf dem Umweg über Familienmi­tglieder verstand. Erstmals wurde am 25. Januar bekannt, dass Fillon unter anderem seine politisch völlig inak- tive Ehefrau zur »parlamenta­rischen Mitarbeite­rin« deklariert hatte und auf diesem Wege mutmaßlich rund eine Million Euro abzocken konnte. Seitdem geriet seine Wahlkampag­ne in Turbulenze­n. Am Mittwoch hielt Fillon eine überrasche­nde Pressekonf­erenz ab. Wo viele mit einem Rückzug seiner Kandidatur rechneten, wählte er stattdesse­n die Flucht nach vorne. Der Präsidents­chaftsbewe­rber versuchte der Kritik das Wasser abzugraben, indem er selbst bekanntgab, bei einem Justizterm­in am 15. März werde voraussich­tlich ein Strafverfa­hren gegen ihn eröffnet. Am 17. März ist der Anmeldesch­luss für Präsidents­chaftskand­idaturen beim Pariser Verfassung­sgericht.

Dass Fillon bis dahin die Kandidatur noch entzogen werden kann, gilt angesichts seiner Halsstarri­gkeit als unwahrsche­inlich. Unterdesse­n verabschie­deten sich jedoch einige seiner bisherigen Wahlkampfh­elferInnen. Die Mitte-Rechts-Partei UDI »fror« ihre Unterstütz­ung für Fillon »ein«, und Parteiprom­inente wie der frühere Minister Bruno Le Maire oder die Rechtskath­olikin und Ex-Ministerin Christine Boutin traten aus dem Wahlkampft­eam aus.

Sollte Fillon doch noch stürzen, dann wäre auch eine Annäherung der Rechtskath­oliken an den Front National (FN) nicht auszuschli­eßen, wo jedoch ebenfalls ein Kampf um die Parteilini­e tobt: zwischen der eher antiklerik­alen Marine Le Pen und dem katholisch-»traditiona­listischen« Flügel ihrer Partei. In einem Gastbeitra­g, den die Führungsmi­tglieder Sébastien Pilard und Madeleine de Jessy im Namen von Sens Commun im Juni 2014 in »Le Point« publiziert­en, war der FN jedenfalls auf sehr lockere Weise mit zu den potenziell­en Bündnispar­tnern gerechnet worden. Pilard und de Jessy forderten damals die Anführer der UMP (jetzt LR) dazu auf, endlich wieder inhaltlich »rechts« zu sein. Ohne näheren Kommentar zählten sie dann als potenziell­e Bündniskon­stellation­en eine Allianz der UMP mit der rechten Mitte oder mit dem FN als Möglichkei­ten auf. Alles, was rechts ist, ist möglich?

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Illustrati­on: Nawak Wer ist am schwulenfe­indlichste­n? Drei Kandidaten werben um die Stimmen der Gegner der Homoehe (Manif pour tous).

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