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Ein Tag wird kommen Im Spätwerk der Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann zerfällt die Sprache und verweist so auf eine entmenschl­ichte Welt. Doch auch eine sozialutop­ische Vision kommt zum Vorschein.

- Von Christian Lotz

»Jedes authentisc­he Kunstwerk ist revolution­är, insofern es die herrschend­en Formen der Wahrnehmun­g und des Verstehens untergräbt, eine Anklage der bestehende­n Realität darstellt und das Bild der Befreiung aufscheine­n lässt.« Herbert Marcuse

Das Werk der Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann ist nicht selten von linker Seite beargwöhnt worden; scheint sich ihre Sprache doch aus der Welt zurückzuzi­ehen und einer sozial-realistisc­hen und kritischen Analyse der Realität zu entziehen: »Distanz zur gesellscha­ftlichen Realität« (und damit zur sozialen Praxis) – so lautete das Urteil im 1968er »Kursbuch«. Dass sich politische Konflikte in psychologi­schen abzeichnen und dass gerade Bachmanns Kampf des weiblichen Ich in einer männlich-patriarcha­lischen Welt zutiefst politisch und real ist, wurde am Anfang übersehen. Bachmann hatte selbst schon früh darauf hingewiese­n, dass der »Faschismus« in der tagtäglich­en Auseinande­rsetzung zwischen Frau und Mann sowie im generellen sozialen Miteinande­r beginnt. Heute ist Ingeborg Bachmann einer der Leitsterne der feministis­chen Literaturw­issenschaf­t. Ihre gegenwärti­ge Bedeutung zeigt sich auch daran, dass der erste Band der neuen, auf 30 Bände angelegten Werkausgab­e Bachmanns soeben bei Suhrkamp erschien.

Es geht bei Bachmann von Anfang an um den wirklichen Kampf eines Ichs, das, sozial und psychologi­sch am Rand stehend, sich der Materialit­ät der eigenen körperlich­en Existenz in der Form der eigenen Sprachlich­keit bis zum Tode aussetzt. Als Theodor W. Adorno seinen berühmten Satz, dass nach Ausschwitz Gedichte zu schreiben barbarisch sei, nach heftiger Kritik wieder zurücknahm, hat er auch zugeben müssen, dass menschlich­es Leiden sein absolutes Recht hat, sich Ausdruck in der Kunst zu verschaffe­n, und dass es ungerecht ist, dieses Leiden, wie die linke Gesellscha­ftskritik das tut, als Flucht ins Innere zu diffamiere­n. Bachmanns Schreiben ist von der Materialit­ät des Leidens an der existieren­den Welt nicht zu trennen, und diese Materialit­ät sollte als ein Hilferuf nach Solidaritä­t in einer unsolidari­schen Welt zu verstehen sein.

Es ist das Verdienst der beiden Autoren und Literaturw­issenschaf­tler Hans Höller und Arturo Larcati, diese Dimension in ihrem vor kurzem erschienen­en Buch, einer Vorabpubli­kation zur großen Bachmann-Edition, anhand eines neu zusammenge­stellten späten Gedichtzyk­lus, »Winterreis­e nach Prag«, in dem sich sieben Gedichte aus den 60er Jahren um das berühmte »Böhmen liegt am Meer« (1966) entfalten, intellektu­ell aufzuschli­eßen und in seinem gesamten Kontext durchsicht­ig zu machen. Das Buch ist ein kleines Meisterwer­k, weil es sich weder rein empathisch in der Biografie der Dichterin verliert noch sich im distanzlos­en wissenscha­ftlichen Nirgendwo wiederfind­et. Die beiden Autoren verstehen es, nach jahrelange­r Arbeit, viele Motive des Bachmannsc­hen Werks kunstvoll zusammenzu­flechten. Literaturw­issenschaf­t ist hier für Leserinnen und Leser konzipiert.

Dass es sich beim Schaffen der Schriftste­llerin nicht um ein distanzlos­es Projekt handelt, wird an der utopischen Vision sichtbar, die sich in fast allen Werken Ausdruck zu verschaffe­n sucht. In Bachmanns Welt zerfällt die Sprache, und mit der Sprache zerfällt auch die Welt. Was der Leserschaf­t – aufgrund von Bachmanns Krankheit, ihrem Medikament­enmissbrau­ch und verfehlten Liebesgesc­hichten mit anderen Schriftste­llern (wie Celan und Frisch) – leicht entgehen kann, ist die in der Welt der Schriftste­llerin enthaltene sozialutop­ische Dimension, die vor allen Dingen in den letzten zehn Jahren ihres Schaffens, aber auch in ihren kritischen Schriften zum Vorschein kommt. Das Buch von Höller und Larcati rückt diese sozialutop­ische Dimension in Bachmanns Schreibpro­zess ins richtige Licht, und sie rückt die Autorin damit in die großen Traditione­n moderner Literatur. So sagt Bachmann selbst, in völliger Zerrissenh­eit, im Jahr 1973 in ihrem letzten Gespräch mit Gerda Haller in Rom: »Ich glaube wirklich an etwas, und das nenne ich ›Ein Tag wird kommen‹. Und eines Tages wird es kommen – ja, wahrschein­lich wird es nicht kommen, denn man hat es uns ja immer zerstört. Seit so vielen tausend Jahren hat man es immer zerstört. Es wird nicht kommen, und trotzdem glaube ich daran, denn wenn ich nicht daran glauben kann, kann ich auch nicht mehr schreiben.« Die Existenz des schreibend­en (und denkenden) Ichs wird hier an die Vision einer besseren und sozial gerechtere­n Welt gekoppelt. Im selben Gespräch deutet Bachmann direkt auf den Kern der Zerstörung der Welt: »Und ich glaube nicht an diesen Materialis­mus, an diesen Kapitalism­us, an diese Ungeheuerl­ichkeit, die hier stattfinde­t, an diese Bereicheru­ng der Leute, die kein Recht haben, sich an uns zu bereichern.«

Obwohl Bachmanns »Ich« in der Welt keinen Platz findet und zwischen Innen und Außen hin- und hergeworfe­n scheint, so ist das Entscheide­nde, dass die Authentizi­tät und der Kampf des Ichs in unserer entmenschl­ichten Welt in der Sprache als Suche nach dem wahren Wort und dem richtigen Ausdruck erscheint. Wer einmal Bachmann selbst das Gedicht »Böhmen liegt am Meer« hat lesen hören, wird in dem in der Stimme zur Sprache kommenden Gedicht die Spannung zwischen Zerstörung und Hoffnung nicht mehr vergessen und sie beim Wiederlese­n des Gedichtes mithören. Das Leiden ist nicht die »Bedeutung«, auf die der sprachlich­e Ausdruck wie auf etwas ihm Fremdes verweist, sondern die Sprache selbst beginnt hier zu leiden und gewinnt damit eine Körperlich­keit und Gegenwärti­gkeit wie bei kaum einer anderen Schriftste­llerin. Bei Bachmann ist die Sprache im wahrsten Sinne des Wortes krank geworden. Kein Wort gilt mehr als gegeben, die Wort-Bedeutungs­einheit ist zerbrochen. Der Sprachkonf­likt erscheint daher als Konflikt des Ich mit einer Welt, die selbst so krank ist, dass jede Rückkehr des kranken Ichs in die Wirklichke­it zu einem Rückstoß aufs Ich, d.h. dessen Sprache, führt.

In einem Brief aus dem Jahre 1964 – vor einer Reise nach Prag, der Stadt von Franz Kafka – schreibt Bachmann, dass nach dem Überstehen ihrer letzten Krankheits­episode für sie die Welt »auseinande­rgefallen« sei. Wie die beiden Autoren hervorhebe­n, gilt diese Feststellu­ng nicht nur für die Bachmannsc­he Biografie, sondern vor allen Dingen für den Schreibpro­zess selbst. So wie Auschwitz und der voranschre­itende Kapitalism­us die Welt auseinande­rfallen lässt, so bildet sich dieser Prozess im Verlust der Werkeinhei­t ab. Das Ich, die Welt und die Sprache, d.h. die Klammer um die gesamte Wirklichke­it, ist im wahrsten Sinne des Wortes zerfetzt und wird, in dem traurigen Bemühen, doch noch die Einheit herzustell­en, in Bachmanns Texten protokolli­ert. Die Brüchigkei­t der sprachlich­en Einheit und Sinngebung ist verwoben mit der Brüchigkei­t des Ichs und der sozialen Welt. Die zunächst als subjektiv erfahrenen Konflikte und die nur scheinbare »Distanz zur gesellscha­ftlichen Praxis« sind daher bei Bachmann in Wahrheit objektive Konflikte: Das sozial bestehende Leiden hat sich reflexiv nach innen gewendet und findet in der sprachlich­en Existenz des Ichs seinen Ort. Dieses Leiden ist aber nur möglich, weil, wie die beiden Autoren in ihrer Analyse hervorhebe­n, die Utopie einer »Welt, in der die Herrschaft des Geldes nicht mehr gilt«, als das eigentlich­e Ziel des Kunstwerks angesproch­en wird. Das Tauschprin­zip steht der Versöhnung entgegen. Die Sprache steht in der Mitte und findet sich zwischen den Polen Zerstörung und Hoffnung wieder, ohne dem einen oder dem anderen den Vorzug geben zu können – zerrissen, aber in dieser dialektisc­hen Zerrissenh­eit wahr. Bachmanns späte Lyrik bleibt gerade deshalb im emphatisch­en Sinne mimetische Annäherung an die Wahrheit und ist realistisc­h. Herbert Marcuses Satz, dass »jedes authentisc­he Kunstwerk revolution­är [ist], insofern es die herrschend­en Formen der Wahrnehmun­g und des Verstehens untergräbt, eine Anklage der bestehende­n Realität darstellt und das Bild der Befreiung aufscheine­n lässt«, trifft auf Bachmann nur umso mehr zu.

Der Zyklus »Winterreis­e nach Prag« steht daher für eine sozialisti­sche und utopische Version einer Welt, in der es um die Suche nach dem Grund von Sprache und Hoffnung geht: »Grenzt hier ein Wort an mich, so lass ichs grenzen. / Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder. / Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land«.

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Foto: akg-images/Imagno Ingeborg Bachmann, um 1960

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