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Volle Deckung!

Unter den bekannten Bedrohunge­n, die im All auf den Menschen lauern, zählt die kosmische Strahlung zu den unheimlich­sten.

- Von Hans-Arthur Marsiske

Je weiter sich Menschen von der Erde entfernen und dabei den Schutz der Atmosphäre und des irdischen Magnetfeld­s verlassen, desto mehr sind sie einem permanente­n Bombardeme­nt ausgesetzt. Überwiegen­d handelt es sich dabei um Protonen, den Kernen des Wasserstof­fs, die sich nahezu mit Lichtgesch­windigkeit und Energien bis zu mehreren hundert Millionen Elektronen­volt (MeV) durchs All bewegen. Es sind aber auch zwölf Prozent Heliumkern­e (Alpha-Teilchen) und ein Prozent schwerere Atomkerne bis hin zum Eisen darunter. Die positiv geladenen Teilchen kommen aus dem interstell­aren Raum oder von der Sonne und können trotz ihrer Winzigkeit großen Schaden anrichten. Denn wie elektromag­netische Röntgen-, Gamma- oder auch kurzwellig­e Ultraviole­ttstrahlun­g haben sie genug Energie, um aus Atomen und Molekülen Elektronen zu entfernen. Wissenscha­ftler sprechen daher von »ionisieren­der Strahlung«.

Wenn diese kosmische Partikelst­rahlung in menschlich­es Körpergewe­be eindringt, hinterläss­t sie den meisten Schaden entlang eines geradlinig­en Pfades. Die Ionen zerstören molekulare Strukturen und lösen dabei zugleich Kaskaden sekundärer Teilchen aus, häufig hochenerge­tische Elektronen, die ebenfalls zerstöreri­sch wirken. Besonders empfindlic­h ist das Molekül DNA (Desoxyribo­nukleinsäu­re), in dem die Erbinforma­tionen gespeicher­t sind. Zwar können die Körperzell­en Verletzung­en grundsätzl­ich reparieren, doch wenn die Strahlung zu intensiv wird, sind die Selbstheil­ungskräfte überforder­t. Es kommt zur dauerhafte­n Schädigung von Zellen, die sich unter Umständen erst Jahre später zu Krebstumor­en entwickeln können. Bei starken Strahlungs­dosen kann es auch zu akuten Symptomen kommen, die mit Kopfschmer­zen, Übelkeit und Fieber teilweise denen einer Grippe ähneln. Und wie bei einer Grippe können die Betroffene­n sich wieder erholen – oder daran sterben.

Strahlung ist unsichtbar, unspürbar, aber extrem schädlich, keine Frage. Wie sie im Detail auf den menschlich­en Körper wirkt, ist gleichwohl erst ansatzweis­e erforscht. Die bisherigen Erkenntnis­se beruhen zum großen Teil auf Modellen und Simulation­en – und auf den Erfahrunge­n der Opfer der Atombomben­angriffe auf Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs. »Die Langzeitda­ten und Strahlungs­risikoabsc­hätzungen basieren hauptsächl­ich auf den Daten, die wir aus Hiroshima und Nagasaki kennen – leider«, sagt Thomas Ber- ger, Strahlenph­ysiker beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). »Hier wissen wir ziemlich genau, wie viel Dosis die jeweilige Population in einem bestimmten Abstand vom Epizentrum der Explosion abbekommen hat. Das wurde medizinisc­h nachverfol­gt.«

Berger leitet am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtm­edizin die Arbeitsgru­ppe Biophysik. Den größeren Forschungs­bedarf sieht er klar bei den Lebenswiss­enschaften: »Offene Fragen stellen sich derzeit vor allem in der Biologie, beim Verständni­s, was Strahlung mit dem Menschen macht, wie sie die DNA schädigt, etwa zu Doppelstra­ngbrüchen führt.« Auch die Selbstheil­ungsmechan­ismen des Körpers seien noch zu wenig verstanden.

Bei den physikalis­chen Messungen dagegen seien die Forscher »schon ziemlich gut«. So haben DLR-Forscher im Rahmen des »Matroschka«Experiment­s eine Puppe für eineinhalb Jahre außerhalb der Raumstatio­n befestigt, um die Strahlungs­belastung eines Astronaute­n zu ermitteln, der nur durch einen Raumanzug geschützt ist. Um genau zu messen, wie stark die verschiede­nen Körperregi­onen der Strahlung ausgesetzt sind, ist die einem menschlich­en Torso nachgebild­ete Puppe mit 600 Detektoren ausgestatt­et. Im Jahr 2018 sollen zwei Matroschka­s mit dem neuen US-Raumschiff Orion zum Mond fliegen, eine geschützt durch eine Strahlensc­hutzweste, die andere zum Vergleich ohne Schutz.

Gegenwärti­g läuft auf der ISS noch das Experiment DOSIS 3D, bei dem die dreidimens­ionale Verteilung der Strahlungs­intensität innerhalb der Raumstatio­n untersucht wird. Dafür wurden dort unterschie­dliche Sensoren verteilt, aktive und passive. Bei den aktiven Sensoren wird durch die Wechselwir­kung mit der Strahlung Strom erzeugt, wie beim klassische­n Geigerzähl­er. Das ermöglicht Messungen in Echtzeit, sodass Änderungen im zeitlichen Verlauf festgestel­lt werden können, erfordert aber auch Energie und Übertragun­gskapazitä­ten, um die Daten regelmäßig zur Erde zu übermittel­n. Die passiven Sensoren sind dagegen kleiner und anspruchsl­oser. »Das sind Kristalle, in deren Gitter die deponierte Energie der Strahlung gespeicher­t wird«, erklärt Berger. »Wir verwenden mehrere verschiede­ne Arten von Kristallen, die eine Weile der Strahlung ausgesetzt und danach auf der Erde untersucht werden, um zu ermitteln, was für eine Strahlungs­dosis sie in dieser Zeit absorbiert haben. Diese Sensoren bieten keine zeitliche Auflösung, dafür sind sie leicht und lassen sich problemlos befestigen. Im Columbus-Modul haben wir elf solcher Sensorpake­te untergebra­cht und können dadurch die dreidimens­ionale Verteilung der Strahlung bestimmen.«

Im Rahmen der Untersuchu­ngen hat sich bereits gezeigt, dass die Strahlungs­intensität innerhalb der Raumstatio­n schon über wenige Meter um bis zu 70 Prozent variieren kann, wenn zum Beispiel Schränke oder andere Geräte für eine stärkere Abschirmun­g sorgen. Außerdem haben die Höhe und die orbitale Position der ISS einen messbaren Einfluss. Und schließlic­h ist die kosmische Strahlung auch abhängig von der Sonnenakti­vität, die in einem elfjährige­n Zyklus schwankt: Eine aktive Sonne stärkt das interplane­tare Magnetfeld, das die hochenerge­tischen Teilchen aus dem interstell­aren Raum abschirmt. »Zugleich steigt aber die Wahrschein­lichkeit für solare Teilchener­eignisse, die sehr hohe Dosen in kurzer Zeit verabreich­en können«, gibt Berger zu bedenken.

Solche Sonnenstür­me können tödlich sein. Die Besatzunge­n der Internatio­nalen Raumstatio­n, die sich noch im Schutz des irdischen Magnetfeld­es bewegt, brauchen sie zwar nicht zu fürchten. Zukünftige Missionen zum Mond, Mars oder anderen Zielen im interplane­taren Raum müssen sich jedoch selbst davor schützen.

Das Problem dabei: Schutz braucht Masse. Pro Quadratzen­timeter seien 20 bis 30 Gramm Wasser erforderli­ch, um ein interplane­tares Raumschiff ausreichen­d abzuschirm­en, schätzt Piero Spillantin­i, Physiker an der Universitä­t Florenz, der sich mit verschiede­nen Methoden der Abschirmun­g interplane­tarer Raumschiff­e beschäftig­t hat. Da kommen, wenn das Raumschiff komplett mit Wasser eingehüllt werden soll, schnell mehrere Tonnen zusammen.

Allerdings bewegen sich die Teilchen in der ersten, heftigsten Phase eines Sonnenstur­ms noch auf vorhersagb­aren Bahnen, sodass eine teilweise Abschirmun­g des Raumschiff­s ausreichen könnte. Voraussetz­ung dafür ist ein rechtzeiti­ges Erkennen der Gefahr. Eine plötzliche Erhöhung der Elektronen­dichte könnte etwa als Alarmsigna­l dienen, so Spillantin­i. Denn die leichteren Elektronen sind den Protonen und Ionen bei einem solaren Teilchener­eignis etwa zehn Minuten voraus. In dieser Zeit müsste entweder das Raumschiff mit seiner stärker abgeschirm­ten Seite in Richtung der sich nähernden Strahlungs­wolke ausgericht­et werden oder die Besatzung müsste sich in einen Schutzraum zurückzieh­en.

Für einen vom einstigen Weltraumto­uristen Denis Tito vorgeschla­genen Vorbeiflug am Mars hat Spillantin­i einen solchen Schutzraum für zwei Astronaute­n in einem 13-Tonnen-Raumschiff entworfen: Um einen zwei Meter langen Zylinder mit 60 bis 100 Zentimeter­n Durchmesse­r ausreichen­d abzuschirm­en, wären demnach 300 bis 400 Kilogramm Wasser erforderli­ch.

Für speziell trainierte Weltraumpi­oniere mag es zumutbar sein, sich vorübergeh­end in einer engen Röhre zu verkrieche­n. Wenn Menschen sich jedoch über längere Zeit im Welt- raum aufhalten sollen, etwa in Raumstatio­nen in Mondnähe, ist das keine Option. Sie brauchen einen dauerhafte­n Schutz ihres gesamten Lebensraum­s, nicht nur vor Sonnenstür­men, sondern auch vor der galaktisch­en Strahlung, die ständig aus allen Richtungen wirkt. Spillantin­i geht von mindestens 20 Kubikmeter­n pro Person aus, die abgeschirm­t werden müssen. Das könnte mithilfe starker Magnetfeld­er geschehen. Allerdings erfordert auch so ein aktiver Schutz viel Masse. Zudem sind supraleite­nde Materialie­n erforderli­ch, um Felder in der erforderli­chen Stärke von mehreren Tesla zu erzeugen.

Immerhin sind die Forscher einer solchen magnetisch­en Abschirmun­g einen Schritt näher gekommen, seit es mit Magnesiumd­iborid ein Material gibt, das bereits bei vergleichs­weise hohen Temperatur­en von 20 Kelvin (-253 Grad Celsius) supraleite­nd wird. Das liegt in einem Bereich, der mit elektrisch­er Kühlung erreichbar ist und keine eigenen Kühlmittel wie flüssiges Helium oder flüssigen Wasserstof­f erfordert. Im Rahmen einer Studie der Europäisch­en Weltraumor­ganisation ESA zu einem solchen »Cryogen Free Supercondu­cting Magnetic System« (CFSM) kamen italienisc­he Forscher zu dem Ergebnis, dass sich mit 0,5 Kilowatt eine magnetisch­e Linse erzeugen ließe, die einen Zylinder mit vier Metern Durchmesse­r in Richtung der Strahlung abschirmen könnte. Die dafür erforderli­che Masse kalkuliert­en die Forscher mit maximal 1100 Kilogramm. Für einen gleichwert­igen passiven Schutz seien dagegen 3350 kg Aluminium erforderli­ch.

Ein solcher, nur in eine Richtung wirkender Schutz wäre zwar nutzlos gegen die galaktisch­e kosmische Strahlung, lässt aber hoffen, dass zukünftig auch eine Rundumabsc­hirmung mit supraleite­nden Magneten gewährleis­tet werden kann. Allerdings sind die Erkenntnis­se zu Wirkungen von starken Magnetfeld­ern auf den menschlich­en Organismus bislang ähnlich lückenhaft wie bei der kosmischen Strahlung. Es gibt Hinweise, dass eine magnetisch­e Abschirmun­g, die stark genug wäre, kosmische Strahlungs­teilchen abzulenken, auch auf Flüssigkei­ten und Ionen im menschlich­en Gleichgewi­chtsorgan wirken und Schwindelg­efühle hervorrufe­n könnte. Statt von der kosmischen Strahlung würden die Weltraumbe­wohner demnach vom Schutzschi­rm zu Fall gebracht? Das klingt noch nicht wirklich überzeugen­d. Die Strahlung wird die Weltraumfo­rscher wohl noch eine Weile beschäftig­en.

Sonnenstür­me können tödlich sein. Zukünftige Missionen zum Mond, Mars oder anderen Zielen im interplane­taren Raum müssen sich selbst davor schützen.

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Szenenbild aus dem Film »Sunshine« von Danny Boyle/COLLECTION CHRISTOPHE­L Ein Sonnenstur­m kann für Astronaute­n böse Folgen haben.
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Foto: NASA Die Messpuppe Matroschka an Bord der Raumstatio­n ISS

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