Exotische Materieform
Physiker wollen erstmals metallischen Wasserstoff erzeugt haben. Da das Experiment aber nur einmal klappte, zweifeln Kollegen.
Wasserstoff (H) ist nicht nur das am häufigsten vorkommende Element im Universum. Es markiert auch den Anfang des chemischen Periodensystems. In dessen erster Hauptgruppe stehen unterhalb von Wasserstoff die sogenannten Alkalimetalle: Lithium, Natrium, Kalium etc. Obwohl Wasserstoff zum Teil ähnliche Eigenschaften wie diese silbrig glänzenden und äußerst reaktiven Metalle aufweist, wird er nicht den Alkalimetallen zugeordnet. Denn bei Normalbedingungen ist molekularer Wasserstoff (H2) ein farb- und geruchloses Gas. Zwar bildet er bei Temperaturen von 14,02 Kelvin (-259,2 °C) einen kristallinen Festkörper, doch dessen Dichte schließt ein metallisches Verhalten aus.
Erst unter hohem Druck, so vermuteten 1935 die Physiker Eugene Paul Wigner und Hillard Bell Huntington, brechen die Wasserstoffmoleküle in Atome auseinander und konstituieren ein leitfähiges Metall, das sich in seinem Verhalten von dem anderer Alkalimetalle nicht unterscheidet. All dies soll nach Schätzungen der Forscher bei einem Druck von 25 Gigapascal (GPa) passieren. Das entspricht dem 250 000-Fachen des Atmosphärendrucks. Gewöhnlich entstehen Drücke dieser Dimension nur im Kosmos. Zum Beispiel auf dem Gasplaneten Jupiter, der größtenteils aus Wasserstoff besteht. Im Innern des Planeten herrscht ein Druck von mehreren hundert GPa. Astrophysiker nehmen an, dass Wasserstoff hier in metallischer Form vorliegt und das starke Magnetfeld des Jupiters verursacht.
Auf der Erde war es lange nicht möglich, die vorhergesagte Metallwerdung von Wasserstoff experimentell nachzuweisen. Erst 1996 erklärten Forscher vom Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien, dass sie bei einer Temperatur von mehreren tausend Kelvin und einem Druck von über 100 GPa für eine Mikrosekunde metallischen Wasserstoff erzeugt hätten. Zum Beleg führten sie den plötzlichen Abfall des elektrischen Widerstands der Probe an. Eine Bestätigung gab es allerdings nicht.
Über einen weiteren Fortschritt berichteten Forscher des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie im Jahr 2011: Bei rund 20 °C und einem Druck von 220 GPa sei Wasserstoff in den Halbleiterzustand und bei weiterer Drucksteigerung auf 270 GPa in den metallischen Zustand übergegangen. Konkret gesprochen kam es an diesem Punkt zu einem Anstieg der Leitfähigkeit auf das Tausendfache. Zwar wirft die Interpretation der Messergebnisse bis heute Fragen auf. Eines allerdings machen die Versuche deutlich: Der von Wigner und Huntington vorausgesagte Druck reicht keinesfalls aus, um metallischen Wasserstoff zu erzeugen.
Zwei Physiker von der Harvard University, Ranga Dias und Isaac Silvera, haben den Druck jetzt auf 495 GPa gesteigert. Zugleich senkten sie die Temperatur auf 5,5 Kelvin. Für ihr Experiment verwendeten sie eine sogenannte Diamantenpresse, in welcher Wasserstoff zwischen zwei hochreinen Diamantenstempeln immer stärker zusammengepresst wurde. Dabei ging der molekulare in atomaren Wasserstoff über. Ab 335 GPa verdunkelte sich die vorher transparente Probe, bei 495 GPa reflektierte sie rund 90 Prozent des einfallenden Lichts.
Eine solche Eigenschaft sei für Metalle typisch, schreiben Dias und Silvera im US-Fachjournal »Science« (Bd. 355, S. 715). Und obwohl ihr Experiment keine Messung der Leitfähigkeit erlaubte, sind sie überzeugt, erstmals metallischen Wasserstoff erzeugt zu haben. »Das ist eine fundamentale und transformative Errungenschaft«, erklärte Silvera selbstbewusst. »Das ist die allererste Probe metallischen Wasserstoffs auf unserer Erde. Wir sehen damit etwas, das es hier noch nie gegeben hat.« Andere Wissenschaftler halten so viel Euphorie für verfrüht, wenn nicht gar für verfehlt. Denn es gibt auch alternative Erklärungen der Messdaten. Zum Beispiel könnte sich die Aluminiumoxidbeschichtung der Diamanten gelöst und dadurch den metallischen Glanz hervorgerufen haben.
Ohnehin haben Dias und Silvera ihr Experiment vor der Veröffentlichung in »Science« nur ein einziges Mal durchgeführt. Auch eine Bestätigung von Seiten anderer Forschergruppen liegt nicht vor. Die Datenbasis sei für eine so groß aufgemachte Publikation viel zu schmal, sagt Eugene Gregoryanz von der University in Edinburgh, der zugleich ein Versagen des Peer-Review-Verfahrens konstatiert. Mikhail Eremets vom Mainzer Max-PlanckInstitut für Chemie schließt sich der Kritik an. Er bezweifelt sogar, dass bei dem Experiment Drücke von knapp 500 GPa erreicht wurden. Sollten es stattdessen nur rund 400 GPa gewesen sein, hätten Dias und Silvera lediglich eine Vorläuferstufe von metallischem Wasserstoff nachgewiesen, die Licht ebenfalls stärker reflektiert.
Dass Wissenschaftler so sehr an der Erzeugung von metallischem Wasserstoff interessiert sind, liegt nicht zuletzt an den möglichen Anwendungen, die das Material verspricht. So gibt es Hinweise darauf, dass der im Labor erzeugte metallische Wasserstoff auch ohne steten Hochdruck und permanente Tiefkühlung stabil bleibt. Die Vermutungen gehen aber noch weiter: Möglicherweise leitet das neue Material elektrischen Strom ohne Widerstand. Es wäre damit ein Supraleiter, und das eventuell schon bei Raumtemperatur. Unklar ist bisher, ob es sich bei metallischem Wasserstoff um einen Festkörper oder eine metallische Flüssigkeit wie Quecksilber handelt. Flüssiger metallischer Wasserstoff könnte überdies suprafluid sein, also ohne innere Reibung strömen. Er wäre dann das erste Material, das sowohl supraleitende als auch suprafluide Eigenschaften besäße.
Das alles ist jedoch Zukunftsmusik. Derzeit erinnert die ganze Geschichte fatal an ein Ereignis aus dem Jahr 1989. Damals verkündeten zwei US-Forscher die Entdeckung der kalten Kernfusion. Auch hier war anfangs von einer Weltsensation die Rede, bevor sich der proklamierte Erfolg als Flop entpuppte. Im Fall des Experiments von Dias und Silvera könnte sich durchaus Ähnliches wiederholen. Was indes keine Katastrophe wäre, sondern ein erneuter Beleg für die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft.