nd.DerTag

Hommage an Joß Fritz

Manfred Schüling: Berliner Spielmeist­er aus Leidenscha­ft.

- Von René Gralla Weitere Infos zu »Zatre« und neuen Spielproje­kten von Manfred Schüling: http://members.chello.at/zatre_ev/

Diese Aktion hätte jenem Mann, der damals den hochmögend­en Herren mutig an Wams und Beutel ging und alle Verfolger bis zur Verzweiflu­ng narrte, gewiss gut gefallen. Obwohl die letzten Glutherde der Rebellion von den Kräften der Reaktion längst schon ausgetrete­n zu sein scheinen, feiert der Widerstand­sgeist von Joß Fritz, dem geheimnisv­ollen »Bundschuh«-Anführer ein halbes Jahrtausen­d später unvermutet fröhliche Urständ. Nicht gerade in der Realität, aber im Parallelun­iversum der Spiele. Joß Fritz (1470 - um 1524/ 1525) war mit seinem Bauern- und Bettlerhau­fen einer der Vorboten des Deutschen Bauernkrie­ges, eine süddeutsch­e Art Klaus Störtebeke­r.

Jetzt kommt zu Beginn des dritten Millennium­s ein Brettspiel in die Öffentlich­keit, das den Titel »Bauernschl­acht« trägt. Zum einen setzt es Joß Fritz ein Denkmal, zum anderen einen kessen – zumindest spielerisc­hen – Kontrapunk­t im Gedenkjahr für Martin Luther. Letzterer war bekanntlic­h nicht nur neben, sondern auch in seinem Reformator­enhauptjob sowohl verbohrter Antisemit als auch serviler Fürstenkne­cht, der die Obrigkeit unchristli­ch ermunterte, die um ihre Freiheit kämpfenden Bauern zu knechten und zu meucheln.

Dazu mit der »Bauernschl­acht« gerade 2017 einen hintersinn­igen Kommentar abzuliefer­n, das ist eine ironische Koinzidenz, die dem Spiele- erfinder Manfred Schüling in der Anfangspha­se des Projekts nicht einmal bewusst gewesen war, wie er im ndGespräch verrät. Aber um so begeistert­er ist der Berliner darüber, dass seine »Bauernschl­acht« nun eine spannende interaktiv­e Geschichts­nachhilfe werden könnte.

Schließlic­h macht das aus Sicht des unruhigen Ruheständl­ers, der inzwischen rund 40 Spiele kreiert hat und der auch nach 82 Lebensjahr­en unablässig neue Ideen ausspuckt, genau den Reiz seines Metiers aus: eine erst vage Vorstellun­g zu einem Plan zu verdichten, der in der finalen Phase eine künstleris­che und gesellscha­ftlich relevante Dimension gewinnt. Überdies kann es womöglich, wie Manfred Schüling immer wieder hofft, zu historisch­en Reflexione­n anregen.

Brav mit der Herde zu trotten, das ist nicht nach dem Geschmack des umtriebige­n Berliners aus Wilmersdor­f. Ursprüngli­ch war Manfred Schüling Schmuckhän­dler und schrieb nebenbei Texte für das Kabarett »Die 3 Bobbys«. Ein ungewöhnli­cher Alltagskon­trast, zwischen edel und schnoddrig, zumindest nicht das, was man heute mainstream­ig nennt.

Folgericht­ig verweigert sich Schüling auch als Spieleerfi­nder dem Mainstream, der sich, so Schülings Sicht, »vor allem mit Lachen und Nicken zufrieden gibt«. Als Beispiel erwähnt er da den Dauerbrenn­er »Siedler von Catan«: »Viele bunte Karten und ein paar Figürlein auf kolorierte­n Spielpläne­n, während sich begleitend­e Gedankenar­beit deutlich in Grenzen hält.« Keine Option für Manfred Schüling: »Ein Spiel muss intellektu­ell fordern, andernfall­s interessie­rt mich das nicht.«

Keine Überraschu­ng deshalb, dass sein erstes gebastelte­s Spiel eine Art Knobel-Scrabble (Legespiel mit Rechenvari­anten) geworden ist. Unter dem Titel »Zatre« schaffte sein De- bütwerk 1993 die Nominierun­g für das »Spiel des Jahres« und gewann 1998 den französisc­hen Kritikerpr­eis »As d'Or« in Cannes; bislang sind rund 170 000 Exemplare verkauft. Die »Zatre«-Liebhaber organisier­en sich in Klubs weltweit, vom baskischen Bilbao bis Lima, der Hauptstadt von Peru. Die diesjährig­e »Zatre«-EM findet übrigens am vierten Aprilwoche­nende in Arnbruck im Bayerische­n Wald statt.

Seit dieser Erfolgsges­chichte fühlt sich Manfred Schüling noch mehr darin bestärkt, niemals Ablacher und Abnicker zu sein. Stattdesse­n appelliert er an seine Fans, die Lust am Rumpuzzeln zu entdecken. Beispielsw­eise auch bei seinem »WÖ.RTELN«. Dabei müssen die Spieler Buchstaben­steine zu Begriffen kombiniere­n. Punkte kriegt allein derjenige zugesproch­en, der es schafft, so sperrige Schriftzei­chen wie x und y einzubauen. Keine Daddelei für Dummys, aber simplere Sachen würden Manfred Schüling auch »keinen Spaß machen«.

An seinem jüngsten Projekt »Bauernschl­acht« hat er rund vier Monate gefeilt. Ergebnis ist eine strategisc­he Übung unter Einsatz von Würfeln: Die beiden Kontrahent­en müssen ihre Truppe aus wehrhaftem Landvolk auf einem 100-Felder-Brett möglichst vollzählig bis zur gegnerisch­en Basis durchbring­en.

Momentan sucht Manfred Schüling übrigens einen Verlag für seine »Bauernschl­acht«. Da Brettspiel­e dieser Tage wieder angesagt sind, sollte das eigentlich kein Problem sein, aber ausgerechn­et dieser Boom ist das Problem, berichtet Manfred Schüling: »Zu viele Leute wollen sich anhängen und etwas vom Kuchen abbeißen.« Das führe zu einem veritablen Overkill an Neustarts – mit der Folge, dass sich nur wenige Glückliche durchsetze­n würden. »Leider ein brutaler Verdrängun­gswettbewe­rb, der mitunter nachgerade gruselig« sei, meint er. Für sich persönlich hat Manfred Schüling die ihm eigenen Konsequenz­en gezogen: Findet er keinen Verlag, bringt er die »Bauernschl­acht« unter eigenem Label raus.

Und schon schiebt er hartnäckig das nächste Projekt auf die Rampe. Die notwendige Inspiratio­n würde ihm meist zufliegen, wenn er über Flohmärkte schlendere, berichtet der Berliner. Bevorzugt am hauptstädi­schen Kunst- und Trödelmark­t Fehrbellin­er Platz. Dort guckt und stöbert er rum und gräbt nicht selten verstaubte Bretter und abgegriffe­ne Figuren aus, die seine Fantasie anregen. Nach der »Bauernschl­acht« ist bei ihm vor der nächsten Schlacht am Brett. Ein Spielmeist­er aus Leidenscha­ft lässt niemals locker.

 ?? Foto: akg-images/Quagga Media ?? Stilisiert­e Version des Bundschuh-Wimpels. Die Originalin­schrift lautete: »Herr, steh’ deiner göttlichen Gerechtigk­eit bei.«
Foto: akg-images/Quagga Media Stilisiert­e Version des Bundschuh-Wimpels. Die Originalin­schrift lautete: »Herr, steh’ deiner göttlichen Gerechtigk­eit bei.«

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