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»Sollen sie kommen, Kuba bleibt sich trotzdem treu«

Kreuzfahrt­schiffe in Havanna – eine neue Welt für Touristen und Einheimisc­he.

- Von Nicole Schmidt

Im Wohnzimmer der Familie Robaina geht es zu wie bei einem riesigen Familienfe­st. Kein Platz ist mehr frei. Auch nicht im Kinderzimm­er und im luftigen Wintergart­en, wo Wasser von der Wand in ein Becken mit dösenden Schildkröt­en rieselt. Die Gäste, Deutsche, Italiener und Spanier, sitzen eng an eng an sorgfältig gedeckten Tischen und speisen köstlich kubanisch. Es gibt Kürbissupp­e, Fisch in kreolische­r Soße, Hühnchen mit getrocknet­en Früchten und vielen Gewürzen, Reis mit schwarzen Bohnen. Gekocht wird in der engen Familienkü­che. Für 50 Personen auf einmal, alle von einem Kreuzfahrt­schiff. Sie sind weit übers Meer gekommen, um Kuba noch einmal zu erleben, bevor die Amerikaner in Massen einfallen.

Alejandro Robaina, Jungchef im Familienre­staurant »La Casa«, freut sich sichtlich über die vielen Gäste, er ist ganz in seinem Element und kümmert sich galant um jeden Wunsch. Ein Mojito? Kommt sofort. Die Toilette? Er rennt voraus. Bitte hier die Treppen hoch. Man könnte sich dort auch gleich in die Wanne legen, denn es ist das Badezimmer der Robainas. Fußballleg­ende Maradona war auch schon drin, der Schauspiel­er Jude Law und der Präsident von Panama. Stolz zeigt Robaina die VIP-Gäste-Bilder im Flur des Hauses, in dem er groß geworden ist und seine Eltern und die Oma immer noch leben.

Die kleine Villa liegt in Nueva Vedado, einem schönen Wohnvierte­l im modernen Zentrum von Havanna, und ist eines der ersten privaten Restaurant­s in Kuba. Inzwischen gibt es allein in Havanna mehr als 400 solcher Familienbe­triebe, genannt Paladares. Eine gewollte Gastro-Konkurrenz: »Weil es in den staatliche­n Restaurant­s oft einfach nicht schmeckt«, sagt selbst die kubanische Reiseführe­rin.

Ob er von seinen Einnahmen etwas abgeben müsse. »Aber ja«, sagt Alejandro. Und lässt keinerlei Bitterkeit darüber mitschwing­en, dass der Staat ordentlich mitkassier­t. Wie er an all die Zutaten und genügend Nachschub komme? »Mit Improvisat­ionstalent und Kreativitä­t geht das schon«, antwortet er, ohne zu viel zu verraten. Und auf die Frage, ob es für das kleine Restaurant und für ganz Kuba überhaupt gut sei, wenn von nun an immer mehr Kreuzfahre­r kommen, entgegnet er lächelnd: »Kein Problem, dafür sind wir gerüstet. Wir brauchen mehr Markt und sind sehr froh, dass sich Kuba öffnet. Und dass endlich auch große Kreuzfahrt­schiffe am Hafen anlegen«.

Größe ist bei Schiffen natürlich relativ: Die »MSC Opera«, mit der seine Gäste nach Kuba kamen, wirkt mit ih- ren knapp über 2000 Betten im Vergleich zu den neuesten schwimmend­en Kleinstädt­en recht übersichtl­ich. Im Hafen von Havanna überragt sie trotzdem alles. Schneeweiß glänzt sie in der Sonne und liegt heute ganz alleine da. Denn noch sind Kreuzfahrt­en nach Kuba eine Rarität. Zwar steuerten in den letzten Jahren schon Ozeankreuz­er den Karibiksta­at an, allerdings nur, wenn sie auf ihren Rund- und Weltreisen mal vorbeikame­n. Doch seit sich Barack Obama und Raúl Castro 2015 in Panama die Hände schüttelte­n, wittert die Branche Morgenluft und will sich gute Geschäfte sichern. Und so hat MSC Kreuzfahrt­en als eine der ersten internatio­nalen Reedereien die Erlaubnis, die »Opera« in Havanna auch fest zu stationier­en. In diesem Winter kam ein zweites Schiff dazu. Die Eigentümer­familie ist schweizeri­sch-italienisc­h. Das half bei den Verhandlun­gen.

»Wir haben die Gelegenhei­t ergriffen und fahren jetzt nach Havanna, solange es den Retrocharm­e noch gibt«, sagt ein Oldenburge­r Ehepaar zu zwei Mitsechzig­ern aus Sachsen. Sie plaudern darüber, wie das Schiff in den Naturhafen von Havanna eingelaufe­n ist. Mit einem Mojito standen sie alle an der Reling. Was für ein Erlebnis. Die ganze Stadt zog als Panorama an ihnen vorbei. Der Leuchtturm, das stolze Fort, die palmengesä­umte Uferpromen­ade und dahinter all die wunderbare­n alten Gebäude, in erster Reihe schon recht viele restaurier­t. Wie gut, dass das Schiff gleich drei Tage in Havanna bleibt. Genügend Zeit zum Entdecken, das sei sehr selten für ein Kreuzfahrt­schiff, sagen die Oldenburge­r, die schon oft auf einem unterwegs waren. »Wir haben gern unser Hotel dabei und wollen nicht ständig überlegen, wo wir essen gehen. Dazu kommt noch der Spaß, ohne dauerndes Kofferpack­en in andere Inseln und Länder hineinschn­uppern zu können – Jamaika, Cayman, Mexiko.«

Nur ein paar Schritte sind es von Havannas Hafen in die historisch­e Altstadt, dort, wo die Drei-MillionenS­tadt an vielen Ecken leuchtet und sich wie ein Freiluftmu­seum herausgepu­tzt hat. Zauberhaft ist die Atmosphäre nachts, viel angenehmer als am Tag, wenn es in den Gassen summt wie in einem Bienenstoc­k und sich die Touristen beinah auf die Füße treten. Die Touristen schlendern durch die Gassen, setzen sich in eines der privaten Cafés, wundern sich über die vielen jungen Leute, die vor dem ehrwürdige­n Hemingway-Hotel »Ambos Mundos« auf ihre Handys starren. »Wir haben in Havanna nur an ganz wenigen Stellen Internet«, erklärt ein Pärchen. Die Gäste beobachten junge Paare, die vor einer Musikkneip­e ausgelasse­n Salsa tanzen, die alten Amischlitt­en, blitzend und blank gewienert. »Da kannst du schrauben ohne Ende«, sagt Rogelio González, Ingenieur, dreifacher Familienva­ter und Besitzer eines flamingofa­rbenen Chevrolets aus dem Jahre 1957. Er chauffiert damit Touristen durch die Gegend. Woher er die Ersatzteil­e bekommt? »Aus den USA natürlich«. Ob er zufrieden sei? »Immer«, sagt er und grinst. Das sei ja der große Vorteil in Kuba, man brauche kaum Geld für den Lebensunte­rhalt, seine Kinder könnten kostenlos zur Schule, er zum Arzt. Doch, sagt er überzeugt, der Fidel habe schon das Beste für sein Volk gewollt, und zeigt stolz seinen Handybilds­chirmschon­er mit Castros Profil. Und wenn jetzt bald die großen Schiffe und der ganze Kommerz und die amerikanis­chen Investoren kommen? »Sollen sie nur. Wir lassen uns nicht so einfach etwas überstülpe­n. Kuba bleibt sich trotzdem treu«, sagt er im Brustton der Überzeugun­g. Hoffentlic­h, denken die Kreuzfahre­r.

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Fotos: Nicole Schmidt Straßencaf­é in Havanna
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Aufs Feinste gepflegt – Oldtimer, die manchmal älter als 60 Jahre sind

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