»Sollen sie kommen, Kuba bleibt sich trotzdem treu«
Kreuzfahrtschiffe in Havanna – eine neue Welt für Touristen und Einheimische.
Im Wohnzimmer der Familie Robaina geht es zu wie bei einem riesigen Familienfest. Kein Platz ist mehr frei. Auch nicht im Kinderzimmer und im luftigen Wintergarten, wo Wasser von der Wand in ein Becken mit dösenden Schildkröten rieselt. Die Gäste, Deutsche, Italiener und Spanier, sitzen eng an eng an sorgfältig gedeckten Tischen und speisen köstlich kubanisch. Es gibt Kürbissuppe, Fisch in kreolischer Soße, Hühnchen mit getrockneten Früchten und vielen Gewürzen, Reis mit schwarzen Bohnen. Gekocht wird in der engen Familienküche. Für 50 Personen auf einmal, alle von einem Kreuzfahrtschiff. Sie sind weit übers Meer gekommen, um Kuba noch einmal zu erleben, bevor die Amerikaner in Massen einfallen.
Alejandro Robaina, Jungchef im Familienrestaurant »La Casa«, freut sich sichtlich über die vielen Gäste, er ist ganz in seinem Element und kümmert sich galant um jeden Wunsch. Ein Mojito? Kommt sofort. Die Toilette? Er rennt voraus. Bitte hier die Treppen hoch. Man könnte sich dort auch gleich in die Wanne legen, denn es ist das Badezimmer der Robainas. Fußballlegende Maradona war auch schon drin, der Schauspieler Jude Law und der Präsident von Panama. Stolz zeigt Robaina die VIP-Gäste-Bilder im Flur des Hauses, in dem er groß geworden ist und seine Eltern und die Oma immer noch leben.
Die kleine Villa liegt in Nueva Vedado, einem schönen Wohnviertel im modernen Zentrum von Havanna, und ist eines der ersten privaten Restaurants in Kuba. Inzwischen gibt es allein in Havanna mehr als 400 solcher Familienbetriebe, genannt Paladares. Eine gewollte Gastro-Konkurrenz: »Weil es in den staatlichen Restaurants oft einfach nicht schmeckt«, sagt selbst die kubanische Reiseführerin.
Ob er von seinen Einnahmen etwas abgeben müsse. »Aber ja«, sagt Alejandro. Und lässt keinerlei Bitterkeit darüber mitschwingen, dass der Staat ordentlich mitkassiert. Wie er an all die Zutaten und genügend Nachschub komme? »Mit Improvisationstalent und Kreativität geht das schon«, antwortet er, ohne zu viel zu verraten. Und auf die Frage, ob es für das kleine Restaurant und für ganz Kuba überhaupt gut sei, wenn von nun an immer mehr Kreuzfahrer kommen, entgegnet er lächelnd: »Kein Problem, dafür sind wir gerüstet. Wir brauchen mehr Markt und sind sehr froh, dass sich Kuba öffnet. Und dass endlich auch große Kreuzfahrtschiffe am Hafen anlegen«.
Größe ist bei Schiffen natürlich relativ: Die »MSC Opera«, mit der seine Gäste nach Kuba kamen, wirkt mit ih- ren knapp über 2000 Betten im Vergleich zu den neuesten schwimmenden Kleinstädten recht übersichtlich. Im Hafen von Havanna überragt sie trotzdem alles. Schneeweiß glänzt sie in der Sonne und liegt heute ganz alleine da. Denn noch sind Kreuzfahrten nach Kuba eine Rarität. Zwar steuerten in den letzten Jahren schon Ozeankreuzer den Karibikstaat an, allerdings nur, wenn sie auf ihren Rund- und Weltreisen mal vorbeikamen. Doch seit sich Barack Obama und Raúl Castro 2015 in Panama die Hände schüttelten, wittert die Branche Morgenluft und will sich gute Geschäfte sichern. Und so hat MSC Kreuzfahrten als eine der ersten internationalen Reedereien die Erlaubnis, die »Opera« in Havanna auch fest zu stationieren. In diesem Winter kam ein zweites Schiff dazu. Die Eigentümerfamilie ist schweizerisch-italienisch. Das half bei den Verhandlungen.
»Wir haben die Gelegenheit ergriffen und fahren jetzt nach Havanna, solange es den Retrocharme noch gibt«, sagt ein Oldenburger Ehepaar zu zwei Mitsechzigern aus Sachsen. Sie plaudern darüber, wie das Schiff in den Naturhafen von Havanna eingelaufen ist. Mit einem Mojito standen sie alle an der Reling. Was für ein Erlebnis. Die ganze Stadt zog als Panorama an ihnen vorbei. Der Leuchtturm, das stolze Fort, die palmengesäumte Uferpromenade und dahinter all die wunderbaren alten Gebäude, in erster Reihe schon recht viele restauriert. Wie gut, dass das Schiff gleich drei Tage in Havanna bleibt. Genügend Zeit zum Entdecken, das sei sehr selten für ein Kreuzfahrtschiff, sagen die Oldenburger, die schon oft auf einem unterwegs waren. »Wir haben gern unser Hotel dabei und wollen nicht ständig überlegen, wo wir essen gehen. Dazu kommt noch der Spaß, ohne dauerndes Kofferpacken in andere Inseln und Länder hineinschnuppern zu können – Jamaika, Cayman, Mexiko.«
Nur ein paar Schritte sind es von Havannas Hafen in die historische Altstadt, dort, wo die Drei-MillionenStadt an vielen Ecken leuchtet und sich wie ein Freiluftmuseum herausgeputzt hat. Zauberhaft ist die Atmosphäre nachts, viel angenehmer als am Tag, wenn es in den Gassen summt wie in einem Bienenstock und sich die Touristen beinah auf die Füße treten. Die Touristen schlendern durch die Gassen, setzen sich in eines der privaten Cafés, wundern sich über die vielen jungen Leute, die vor dem ehrwürdigen Hemingway-Hotel »Ambos Mundos« auf ihre Handys starren. »Wir haben in Havanna nur an ganz wenigen Stellen Internet«, erklärt ein Pärchen. Die Gäste beobachten junge Paare, die vor einer Musikkneipe ausgelassen Salsa tanzen, die alten Amischlitten, blitzend und blank gewienert. »Da kannst du schrauben ohne Ende«, sagt Rogelio González, Ingenieur, dreifacher Familienvater und Besitzer eines flamingofarbenen Chevrolets aus dem Jahre 1957. Er chauffiert damit Touristen durch die Gegend. Woher er die Ersatzteile bekommt? »Aus den USA natürlich«. Ob er zufrieden sei? »Immer«, sagt er und grinst. Das sei ja der große Vorteil in Kuba, man brauche kaum Geld für den Lebensunterhalt, seine Kinder könnten kostenlos zur Schule, er zum Arzt. Doch, sagt er überzeugt, der Fidel habe schon das Beste für sein Volk gewollt, und zeigt stolz seinen Handybildschirmschoner mit Castros Profil. Und wenn jetzt bald die großen Schiffe und der ganze Kommerz und die amerikanischen Investoren kommen? »Sollen sie nur. Wir lassen uns nicht so einfach etwas überstülpen. Kuba bleibt sich trotzdem treu«, sagt er im Brustton der Überzeugung. Hoffentlich, denken die Kreuzfahrer.