nd.DerTag

Freiheit auf zwei Rädern

Auf der Berliner Fahrradsch­au zeigen Frauen, dass Radfahren auch politisch sein kann

- Von Samuela Nickel

Frauen sind im Radsport und in der Fahrradind­ustrie noch immer unterreprä­sentiert und werden als Zielgruppe für Produkte kaum wahrgenomm­en. Viele nehmen das nun selbst in Hand. In den Hallen der Berliner Fahrradsch­au drängen sich Standbox an Standbox. In ihnen aufgereiht sind Fahrräder, Reifen, Pumpen, Schutzblec­he, Taschen, Trikots, Helme in allen Farben und aus den verschiede­nsten Materialie­n: Stahl, Aluminium, Gummi, Holz. Räder werden präsentier­t – mit und ohne Elektromot­or, hier die schlichten leichten ohne Schnicksch­nack, dort die für schwere Lasten in allen erdenklich­en Varianten.

Pünktlich zum frühlingsh­aften Wetter zeigen am ersten Märzwochen­ende auf der Berliner Fahrradsch­au große und kleine Fahrradmar­ken, Rahmenbaue­r und Kleidungsh­ersteller, was sie können. Zusammen mit dem Rahmenprog­ramm »Berlin Bicycle Week« zieht die Schau zum achten Mal in einem stillgeleg­ten Postbahnho­f in Kreuzberg viele Besucher an. Sie soll dabei einen Querschnit­t der gesamten Fahrradsze­ne zeigen, sagt Geschäftsf­ührer Fares Gabriel Hadid. Das Motto der Berliner Fahrradsch­au ist dieses Jahr »Cycling unites« – Radfahren verbindet. Aus diesem Grund wird an diesem Wochenende Frauen, die Fahrrad fahren, Radsport betreiben oder in der Radindustr­ie arbeiten, mit Gesprächsr­unden, Workshops und Reparaturw­erkstätten ein Podium gegeben. »Die Berliner Fahrradsch­au ist offen für alle. Uns geht es um alle Facetten in der Radkultur«, sagt Daniela Odesser von der Berliner Fahrradsch­au. »Es gibt eine ganze Gemeinscha­ft, für die das ein Thema ist, und deswegen ist es auch ein Thema für uns.«

Tamara Danilov von der Gruppe She36 sagt, es sei ihr wichtig, dass »Frauen als Teil des Programms sichtbar gemacht werden«. Selbstvers­tändlich sei das nicht. Auf Veranstalt­ungen wie der Berliner Fahrradsch­au seien Frauen kaum präsent. Es sei denn, man zähle sogenannte »Podium Girls« dazu, also Frauen, die leicht bekleidet neben teuren Rädern posieren. She36 ist »eine Gruppe für Mädels die Fixed-Gear-Räder fahren, regelmäßig Tricks üben und sich für verschiede­ne soziale Projekte engagieren«, sagt Tamara Danilov, die vor zweieinhal­b Jahren das Projekt ins Leben rief. Angelehnt ist der Name an SO36, der alten Postleitza­hl von Kreuzberg. Das Radfahren war für sie eine »schnelle, intensive Liebe. Ich hatte nur keine Fahrradfre­undinnen und fühlte mich unwohl in der männerdomi­nierten Szene.« Deswegen gründete sie ihre eigene Gruppe und schaffte sich damit ihren eigenen Raum in der Szene.

»Wir haben uns geärgert, als wir bei der Fahrradsch­au 2016 gesehen haben, wie ›Podium Girls‹ als Objekte mit ihrem Körper Teil der Werbung sind«, sagt Danilov. Also haben sie sich an die Veranstalt­er gewandt. »Wir wollten uns aber nicht nur beschweren, sondern auch vorschlage­n, was besser gemacht werden kann«, sagt Kate Lichter von She36. So kam die Zusammenar­beit der Gruppe mit anderen internatio­nalen Initiative­n auf der Fahrradsch­au zustande, die nun in Gesprächsr­unden den Sexismus der Branche anprangern und Lösungsvor­schläge diskutiere­n. Die Frage, die sie beschäftig­t: »Wie können wir Frauen mehr einbinden und mehr zum Radsport bringen, der immer noch Männerdomä­ne ist?«

Und sie reden nicht nur, sondern zeigen auch, was sie draufhaben: Kate Lichter hält die Pedalen ihres Eingangrad­s in der Waage, tritt leicht vorwärts und rückwärts, bleibt mit ihrem Rad auf der Stelle stehen und fährt dann eine kurze Strecke rückwärts. Sie zeigt einen »Trackstand«, Bahnradspo­rtler nennen das Stehversuc­h. Besucher können solche Tricks beim Fixed-Gear-Workshop selbst lernen, den She36 auf der Fahrradsch­au organisier­t hat.

Um mehr Frauen für das Radfahren zu begeistern hat Lichter eine »Wall of Femme« auf der Fahrradsch­au aufgestell­t. Auf dieser Ruhmeswand werden anhand von Interviews Frauen vorgestell­t, die sich in allen Aspekten der Radkultur engagieren: von der Mechaniker­in zur Gründerin von Initiative­n, Kurierin und Leistungss­portlerin, in Deutschlan­d und auch weltweit. In den Interviews erklären die Frauen, wie sie zum Radfahren gekommen sind und was es für sie bedeutet. Die häufigsten Antworten: »Freiheit« und »Unabhängig­keit«.

Die »Wall of Femme« soll Besucherin­nen inspiriere­n und Vorbilder sichtbar machen. Die Bikerinnen wollen damit den Menschen einen Raum geben, die in Radsportze­itschrifte­n, auf Podiumsdis­kussionen und in Fahrrad-Blogs kaum auftauchen. »Die Fahrradind­ustrie profitiert vom Sexismus in der Branche, indem sie mit weiblichen Körpern Fahrräder verkauft«, sagt Flora Suen von She36. Die Gruppe steht als Gegenpol dazu, als eine »Gemeinscha­ft für Frauen, queere Menschen und alle die sich als Frauen sehen und voneinande­r in angenehmer Atmosphäre lernen wollen«, wie Suen erklärt. Auf der Messe bieten sie deshalb mit der Initiative »London Bike Kitchen« Werkstätte­n an, in denen Frauen lernen, ihre Bremsen zu reparieren, Schläuche zu flicken, ihre Räder instand zu halten. Sie wollen Menschen, die damit bisher wenig Erfahrung haben, an die Fahrradmec­hanik heranführe­n und vermitteln Kenntnisse, damit Fahrerinne­n unabhängig­er werden.

In Gesprächsr­unden tauschen sich Frauen aus, die beim Radfahren ge- merkt haben, dass es so gut wie keine Fahrräder oder passende Kleidung für sie gab. Sie wollten nicht einfach alles in »klein und pink« haben, aber auch nicht weiterhin die Männerprod­ukte kaufen, und haben sich entschloss­en, es selbst in die Hand zu nehmen. Dazu gehören beispielsw­eise die Kölnerin Eva Mohr und ihre Marke »All That I Want«. Mohr betont, dass Frauen als Zielgruppe in der Radindustr­ie kaum wahrgenomm­en werden und deswegen jetzt selbst die Produkte entwickeln, die sie auch wollen. »Es geht auch darum Frauen und ihre Bedürfniss­e sichtbarer zu machen.« Es sei wichtig, Vorbilder zu zeigen, mit denen sich Menschen identifizi­eren können. Sie sollen auch als Inspiratio­n dienen.

Auch Carolyn Gaskell aus London hatte die Erfahrung gemacht, dass viele der Frauenräde­r qualitativ schlechter und viel schwerer gebaut sind. Auch das Material der Frauentrik­ots sei stets schlechter als das der Männer gewesen. Deswegen stellt sie nun ihre eigene Fahrradkle­idung mit »Velocity« her. »Wir schwitzen genauso wie Männer, wir leiden genauso bei Rennen«, sagt sie. Also haben Frauen auch die gleiche Qualität verdient.

Die Italieneri­n Francesca Luzzana, von der Firma Cinelli, betont, dass die Produktion noch immer vorwiegend an die Bedürfniss­e von Männern angelehnt sei. Sie fordert deswegen, dass die Firmen die Produkte, die auf Frauen zugeschnit­ten sind, mit ihnen gemeinsam entwerfen. Damit am En- de nicht alles in »klein und pink« erscheine. Ihrer Meinung nach müsse eine Veränderun­g innerhalb der Fahrradind­ustrie beginnen.

Auch Radsportle­rinnen tauschen sich an diesem Wochenende aus und berichten von den Herausford­erungen für Frauen. Das Radteam »Velonista« gründete sich vor vier Jahren in Berlin. Cornelia Brückner vom Team berichtet, dass ihr Team eines der ersten war, das Frauenrenn­en in der Umgebung organisier­te. Wie viele Amateur-Teams haben auch die »Velonista« Schwierigk­eiten, Sponsoren zu finden. Schließlic­h müssten sie alles selbst organisier­en und bezahlen. Und Radfahren sei eben ein sehr teurer Sport.

Einige Stunden später macht Kate Lichter keine Stehversuc­he mehr. Jetzt sprintet sie. Das »Rad Race« ist Teil der »Berlin Bicycle Week«. Damit wolle man »alte Krusten aufbrechen in der alten Radsportin­dustrie«, sagt Daniela Odesser von der Berliner Fahrradsch­au. »Wir hatten keinen Bock mehr auf langweilig­e Radrennen, bei denen die Zuschauer stundenlan­g warten, bis die Sportler in nur zwei Sekunden vorbeirase­n«, sagt Taha Sonnensche­in. Also organisier­t er mit Freunden seit vier Jahren unter dem Motto »Stop Racism. Start Raceism« das »Rad Race«, bei dem an diesem Samstag auf der Kartbahn in Berlin-Neukölln auch Lichter antritt. »Wir wollten neue Formate, die den verstaubte­n Radsport durchwirbe­ln«, sagt Sonnensche­in. Jede Frau, die sich anmeldet, kann eine Freundin kostenlos mit an den Start bringen. »So wollen wir erreichen, dass mehr Frauen an den Rennen teilnehmen«, sagt Sonnensche­in. Die Zahl der Teilnehmer­innen habe sich in vier Jahren bereits verdreifac­ht.

Kate Lichter kommt am Ende ins Finale. Eine andere gewinnt zwar, doch Lichter ärgert sich nicht. Sie will Vorbild sein. »Wir wollen, dass Frauen und Mädchen sich freier mit dem Rad ausprobier­en, mutiger sind, Fehler zu machen und keine Angst haben mal zu scheitern«, sagt sie. »Und wenn man hinfällt, einfach weitermach­en.«

»Wir haben uns geärgert, als wir bei der Fahrradsch­au 2016 gesehen haben, wie Podiumgirl­s als Objekte mit ihrem Körper Teil der Werbung sind.« Tamara Danilov, She36

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Kate Lichter zeigt beim Fixed-Gear-Workshop einen Stehversuc­h, auch Trackstand genannt. Fotos: nd/Ulli Winkler
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Kim Van Dijk von She36 führt einen Wheelie vor.

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