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Torschluss

- Uwe Kalbe über das Urteil des EuGH zu humanitäre­n Visa

Für Aufmerken hatte Generalanw­alt Mengozzi mit seiner Empfehlung an den Europäisch­en Gerichtsho­f gesorgt. Botschafte­n von EU-Ländern müssten humanitäre Visa ausstellen und Menschen die Einreise ermögliche­n, die in großer Gefahr sind. Das Erstaunen rührte aus der Abkehr von aller gegenwärti­gen Praxis, aus der kompromiss­losen Berufung auf die EU-Grundrecht­echarta, die immer gelte, wenn EU-Verordnung­en angewendet werden, wie auch im Fall der Visaerteil­ung. Die damit vorgebrach­te Rechtsauff­assung hätte legale Einreisen in die EU abseits der Dublin-Regelung möglich gemacht, abseits der Schlepperw­ege und der Lebensgefa­hr, mit denen sie häufig verbunden sind.

Der Europäisch­e Gerichtsho­f entschied anders. Visa seien nationales Recht, sie lägen im Ermessen der Staaten. Das Gericht hat damit indirekt die rechtliche Gesamtkons­truktion bestätigt, mit der die EU den Zugang von Flüchtling­en erschwert. Dass diese über einen so dürftigen Rechtsakt wie die Visaerteil­ung umgangen werden kann, ist abgewendet. Abgesehen von praktische­n Folgen wie Schlangen an Botschafte­n und der Frage, was aus Dublin unter den Bedingunge­n legaler Einreise geworden wäre.

Ganz nebenbei ist damit die Lebensgefa­hr bei der Einreise quasi in ein Rechtsgut der EU zur Abwendung der Flucht erhoben. Jeder Flüchtling kann in einer Güterabwäg­ung entscheide­n, welche Gefahr er als größer ansieht, die vor der er flieht, oder die, welche ihn erwartet. Mit dem EuGH-Urteil ist die Welt mithin wieder in alter Ordnung.

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