Das angemessene Format finden
Die »FAZ« trägt in diesen Tagen einen einerseits wirklich blöden, andererseits aber auch grundsätzlichen Konflikt mit einem Gutteil der sonstigen Qualitätsmedien aus. Anlass ist die Inhaftierung des Türkei-Korrespondenten der »Welt«, Deniz Yücel.
Ähnlich wie inzwischen beim »Freitag«, hatte man bei der »FAZ« schon zu Beginn der Affäre darüber nachgedacht, ob es eigentlich klug war, einen Journalisten mit deutschem und türkischem Pass aus der Türkei berichten zu lassen. Dies sei für einen türkischen Staatsbürger nun einmal ein Risiko. Der Text ließ sich lesen wie »selber schuld«. Entsprechend böse wurde er anderswo kommentiert.
Darüber war man nun in Frankfurt erkennbar verschnupft und schloss sich dann auch nicht der Solidaritäts-Anzeigen-Kampagne für Yücel an. »Journalisten sind Schreiber, nicht Unterschreiber«, erläuterte »FAZ«-Herausgeber Jürgen Kaube. Womit eines der Leitmotive des deutschen Medienwesens anklang: Ein guter Journalist ist demnach ein Unbeteiligter, der sich mit keiner Sache gemein macht, auch mit keiner guten – um das Motto eines wichtigen Journalisten-Preises zu zitieren. »Ausgewogen« hat die Berichterstattung zu sein.
Doch verschwimmen journalistische Maßstäbe ja oft genau dann, wenn man sie am konkreten Beispiel durchtesten will. Ist ein Bericht über eine Gesundheitsreform oder eine Chemikalienrichtlinie »ausgewogen«, in dem die Generalsekretäre aller im Bundestag sitzenden Parteien zu Wort kommen? Sind es nicht ohnehin die Lobbys, die den Parteien den vorzutragenden Text reinreichen?
Guter Journalismus wäre doch wahrscheinlich eher einer, der das angemessene Format findet, um ei- nen Konflikt verständlich darzustellen. Dazu müssen Journalisten mit Unterstellungen arbeiten: Was muss extra erklärt werden, was wissen Leser, Hörer oder Zuschauer schon selbst, wie viel können sie einordnen?
Jeder Beitrag, jeder Artikel ist deshalb auch eine Anrufung all dessen, was sonst noch gesendet und geschrieben wird, eine Art Appell an das ideelle Gesamtmedienverständ- nis. Motto: Hier kann nur ein Ausschnitt der Gemengelage geboten werden, aber damit geben wir uns Mühe.
Die neue Rolle der »FAZ« als Hüterin der journalistischen Objektivität ist daher etwas lustig. Kaum eine Qualitätszeitung verwischt derartig gepflegt den Unterschied zwischen Bericht und Kommentar – nämlich im Vertrauen auf kluge Leser. Diese verstehen, inwiefern eine Berichterstattung etwa auf Privatversicherte zugeschnitten ist – und vermögen das vorgebrachte Argument gleichwohl selbst abzuwägen.
Es klingt paradox, ist es aber nicht: Je stärker die Autokraten und Teilzeit-Demokraten dieser Welt den freien Journalismus diffamieren, desto stärker geben die betroffenen Journalisten ihre Subjektivität zu, stellen sie geradezu aus. Das ist besonders deutlich in den USA zu beobachten. Donald Trump wirkt wie ein Verstärker für mutwillig einseitige Formate in den Medien. Man sehe sich nur mal die »Rachel Maddo Show« auf MSNBC an: Auf der Grundlage ehrgeiziger Recherche trägt Maddow etwa die Indizien dafür vor, dass Trump für einen russischen Oligarchen Geld gewaschen haben könnte – in bestgelauntem Zynismus, weit von jedem Neutralitätsbemühen entfernt.
In solchen Darstellungen steckt die provokativ gemeinte Frage: Wollt ihr eure Informationen aus den Apparaten Trumps, Putins, Orbáns, Erdogans – oder wollt ihr sie von der großen Anzahl verletzlicher, fehlbarer, sich widersprechender Individuen, wie sie in den unabhängigen Medien arbeiten?
Und deshalb ist die Kampagne #FreeDeniz natürlich genau das: eine Kampagne, volle Kanne. Für Deniz Yücel und alle anderen inhaftierten Journalisten, für die Pressefreiheit. Es werden für die Soli-Anzeigen keine Stellungnahmen aus Erdogans Regierung eingeholt. Doch unübersehbar ist ja, dass viele Medien die Vertreter Erdogans inzwischen stärker zu Wort kommen lassen, auch versuchen, seine Politik besser zu verstehen.
Mag sein, das Vertrauen der Mediennutzer wird mit der neuen Subjektivität im Journalismus strapaziert – es ist ja auch reichlich Kitsch unterwegs. Hoffentlich aber versteht das Publikum den Vertrauensbeweis darin: Wir hoffen, dass ihr mit uns für die Pressefreiheit einsteht – denn sonst ist es auch mit den abgewogeneren Formaten demnächst vorbei.