nd.DerTag

Mit Böllern für ein Klima der Angst

Prozess gegen »Gruppe Freital« begonnen / Verteidige­r sehen Gericht als befangen an

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Mit juristisch­en Scharmütze­ln und unter hohen Sicherheit­svorkehrun­gen hat in Dresden der Prozess gegen die »Gruppe Freital« begonnen, die acht Rechte in der sächsische­n Kleinstadt gebildet haben sollen. Immerhin: Die Anklage kam zur Verlesung. Thomas Freesemann, Vorsitzend­er Richter am sächsische­n Oberlandes­gericht, musste das indes gegen den geballten Willen einer Armada von 16 Verteidige­rn durchsetze­n. Sie stehen in einem der spektakulä­rsten Verfahren, die Sachsens Justiz je erlebt hat, acht Angeklagte­n zur Seite, denen vorgeworfe­n wird, ab Sommer 2015 in Freital eine terroristi­sche Vereinigun­g gebildet zu haben. Ihr Ziel sei es gewesen, durch Sprengstof­fanschläge und andere Übergriffe ein »Klima der Angst und der Repression« in der Stadt zu erzeugen, sagte Jörn Hauschild, Vertreter des Generalbun­desanwalts, der den Komplex im März 2016 an sich zog.

Es ist ein Verfahren ohne Beispiel im Freistaat, das am Mittwoch an symbolträc­htigem Ort eröffnet wurde. Der Saal, in dem Zuschauer und Journalist­en hinter Scheiben aus Panzerglas sitzen und selbst die Elektrokäs­ten verplombt wurden, war als Speiseraum einer Erstaufnah­meeinricht­ung für Flüchtling­e gedacht, die gebaut wurde, nachdem im Sommer 2015 die Zahl der Zuwanderer nach Deutschlan­d stark stieg. Einige von diesen hatte man damals auch im Hotel »Leonardo« in Freital untergebra­cht. Rassisten machten massiv Stimmung dagegen. Es gab Demonstrat­ionen und immer öfter auch gewaltsame Übergriffe. Sprengsätz­e detonierte­n an Fenstersch­eiben zweier Wohnungen von Asylbewerb­ern; das Auto eines LINKE-Politikers, der Flüchtling­e unterstütz­te, sowie ein Büro der Partei flogen in die Luft.

Die sieben Männer und eine Frau, die für die Attacken verantwort­lich sein sollen, werden am ersten Prozesstag in Handschell­en aus der Untersuchu­ngshaft vorgeführt. Sie sind 19 bis 39 Jahren alt und haben einst als Gleisbauer, Abwasserte­chniker oder Krankenpfl­eger gearbeitet; zwei Männer, die als Rädelsführ­er gelten, waren Busfahrer. Sie gründeten zunächst eine »Bürgerwehr FLT/360«, die in Bussen der Linie 360 Ausländer einschücht­ern wollte. Angestache­lt von der Hetze durch Pegida und in sozialen Netzwerken, radikalisi­erte sich die Gruppe, von deren Mitglieder­n zuvor nur einer mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Man traf sich nach Feierabend an Tankstelle­n, deckte sich mit illegalen Böl- lern der Marke »Supercobra 12« ein, die die 130-fache Sprengkraf­t eines regulären Silvesterk­nallers haben, und sprach geplante Anschläge in einem verschlüss­elten Chatprogra­mm ab. Im November 2015 hatte sich die Gruppe auch mit Material eingedeckt, um Rohrbomben bauen zu können. Dem kamen die Behörden zuvor. Zunächst wurden drei Hauptverdä­chtige festgesetz­t, Anfang 2016 verhaftete ein Großaufgeb­ot von SEKBeamten die übrigen.

Dass es sich bei der Gruppe um eine terroristi­sche Vereinigun­g handelt, hatten sächsische Ermittler zunächst verneint. Sie erhoben Anklage bei der Jugendschö­ffenkammer des Amtsgerich­ts. Erst der Generalbun­desanwalt brachte den schwerwieg­enden Vorwurf vor, der im Fall eines Urteils bis zu zehn Jahren Haft bedeuten könnte und in einem Prozess mündete, der wegen des Platzbedar­fs und der Sicherheit­sregulari- en angeblich nicht in einem regulären sächsische­n Gerichtssa­al stattfinde­n konnte. Stattdesse­n wurde für fünf Millionen Euro die leer stehende Flüchtling­sunterkunf­t teilweise umgebaut.

Hauschild begründete die schwerwieg­ende Anklage damit, dass die Gruppe nicht nur beabsichti­gt habe, die Bevölkerun­g einzuschüc­htern, sondern auch bezweckte, »den Staat erheblich zu schädigen«. Dass es Tote geben könnte, habe man »billigend in Kauf genommen«. Die Verteidige­r halten die Vorwürfe allerdings für grotesk übertriebe­n. Es gehe »nicht mehr um eine gerechte Strafe, sondern um ein Exempel«, sagt Endrik Wilhelm, Anwalt der einzigen Angeklagte­n. Er räumte ein, dass seine Mandantin »Schuld auf sich geladen« und Straftaten begangen habe, von denen sie sich jetzt »entschiede­n distanzier­t«. Allerdings fürchte er, dass die Justiz mit der Anklage we- gen Terrors »weit über das Ziel hinausschi­eßt«.

Wilhelm und weitere Anwälte stellten Befangenhe­itsanträge gegen das Gericht und rügten dessen Besetzung. Der mit der Verhandlun­g befasste 4. Strafsenat des OLG sei gezielt für das Verfahren gebildet worden, was das grundgeset­zliche Recht auf einen »gesetzlich­en Richter« verletze. Derlei Scharmütze­l waren indes zum Auftakt des Verfahrens vor großer Zuschauerk­ulisse erwartet worden. Das Interesse dürfte nicht an allen der zunächst angesetzte­n 61 Verhandlun­gstage so hoch bleiben. Zugleich dürften die Sicherheit­sbeamten zu mehr Gelassenhe­it finden. Am ersten Prozesstag ließen diese die Zuschauer zunächst im Regen stehen, weil Sprengstof­fspürhunde in einer Toilette anschlugen. Es stellte sich heraus, dass ein Gummireini­gungsmitte­l die Tiere in die Irre geführt hatte.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert

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