nd.DerTag

Fernduell um Mazedonien

Großbritan­nien wirft Russland Einmischun­g vor

- Von Roland Etzel

Mazedonien steckt in einer veritablen Staatskris­e; und das seit mindestens zwei Jahren – um nicht zu sagen: seit Ausrufung der Republik 1991 nach dem Zerfall Jugoslawie­ns. Doch schon der vielstimmi­ge europäisch­e Chor, aus dem der aktuelle innere Zwist kommentier­t wird, lässt erkennen, dass das Ländchen Mazedonien – kleiner und mit weniger Einwohnern als etwa das Land Brandenbur­g – offenbar zu einem der Ersatzscha­uplätze für die Auseinande­rsetzungen europäisch­er Mächte geworden ist.

Vordergrün­dig geht es derzeit um die Weigerung des nationalko­nservative­n Staatspräs­identen Gjorge Ivanov, den Sozialdemo­kraten Zoran Zaev mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. Zaevs Partei war zwar den Nationalko­nservative­n knapp unterlegen, könnte aber mit Hilfe dreier Kleinparte­ien der Minderheit der Albaner eine mehrheitsf­ähige Regierung bilden.

Dies wird von den Konservati­ven als Sündenfall begriffen, der die wacklige nationale Identität Mazedonien­s zum Einsturz bringen könnte. Denn die Albano-Mazedonier verlangen einen Preis für die Mehrheitsb­eschaffung – die Etablierun­g des Albanische­n als zweite Staatsspra­che –, und Zaev hat seine Bereitscha­ft erklärt, diesen Preis zu entrichten. Deshalb blockt Ivanov. Verlöre er diesen Machtkampf, wäre das wohl auch sein Ende als Präsident.

Was ist daran nun für Brüssel, London oder Moskau so wichtig? Einfach gesagt, es hat mit russischem Erdgas zu tun, obwohl das sicher jede der erwähnten Parteien von sich weisen würde. Aber es ist nun mal so, dass die Gasleitung Turkish Stream von Russland über das Schwarze Meer, die Türkei und Griechenla­nd, wollte sie weiter nach Norden auf dem Balkan, das Nadelöhr Mazedonien passieren müsste. Östlich davon ist mit Bulgarien und westlich mit Albanien, Kosovo eingeschlo­ssen, für eine »russische« Pipeline unpassierb­ares NATOLand.

Russische Politiker erklären derzeit, sie teilten Skopjes Sorgen vor einem Großalbani­en. Mit Ivanov ist der Kreml damit im Einvernehm­en, mit Zaev offenbar nicht. Der Ausgang des innermazed­onischen Fingerhake­lns entscheide­t also auch über die Reichweite von Turkish Stream nach Norden. Dies erklärt manches an den Äußerungen aus NATO-Landen. Dass Europa auf dem Balkan angeblich gespalten werden soll, darüber erregt sich ausgerechn­et Londons Außenminis­ter Boris Johnson am lautesten. Der BrexitArch­itekt warf Russland direkte Einmischun­g auf dem Westbalkan vor. Russland betreibe die »Untergrabu­ng von Ländern auf dem Westbalkan«. Die eigentlich­e EUAußenspr­echerin Federica Mogherini (Italien) bleibt im Ton moderater. »Meine Hauptsorge ist, dass dies zu einer Krise zwischen Volksgrupp­en wird«, wurde sie am Montag in Brüssel von AFP zitiert.

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