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Wo man Sturmflute­n ordern kann

Im Wellenkana­l zu Garbsen bereitet das Land Niedersach­sen Küstenschu­tzprojekte vor

- Von Christina Sticht, Hannover dpa/nd

Der Große Wellenkana­l bei Hannover ermöglicht Forschern maßstabsge­treue Versuche zum Küstenschu­tz. Aktuell werden alternativ­e Materialie­n für Deiche getestet, weil der übliche Kleiboden knapp wird. In Garbsen bei Hannover in Niedersach­sen zwischen Mittelland­kanal und Autobahn 2 hat schon häufiger eine Sturmflut getobt. Gut 200 Kilometer von der Nordseeküs­te entfernt simulieren Wissenscha­ftler im Großen Wellenkana­l des Forschungs­zentrums Küste alle Arten von Seegang. Die Anlage mit einem gut 300 Meter langen, fünf Meter breiten und sieben Meter tiefen Becken zählt zu den größten ihrer Art weltweit. Bei einer der ersten simulierte­n Sturmflute­n sei das Wellblechd­ach von den Wellen weggeschla­gen worden, erzählt Betriebsle­iter Stefan Schimmels. Seitdem werde bei Versuchen mit hohen Wogen das Dach vorsorglic­h teilweise abgebaut.

An diesem Tag ist jedoch keine spektakulä­re Brandung zu erwarten, denn es geht um einen Fluss. Ein Verbund aus Unternehme­n aus den Niederland­en testet alternativ­e Materialie­n für den Deichbau. Für das Experiment wurden rund 100 Tonnen Bodenmater­ial per Sattelschl­epper von der Maas in der Provinz Limburg ins Forschungs­zentrum Küste gebracht. Der gängige Deichbaust­off Klei sei nicht mehr überall baustellen­nah zu bekommen, erklärt Peter Geisenhain­er, Berater von der beteiligte­n Firma Fugro. »Es ist auch nachhaltig­er, das Material von vor Ort zu verwenden.« Das Maas-Projekt habe Pilotchara­kter und könne später auf andere Flüsse übertragen werden.

Im Großen Wellenkana­l sind etwa fünf dieser aufwendige­n Projekte pro Jahr möglich, nur zehn bis 20 Prozent davon sind externe Auftragsfo­rschung. Auch das Land Niedersach­sen bereitet hier Küstenschu­tzprojekte vor, etwa die Neugestalt­ung der Deckwerke auf der Nordseeins­el Norderney. Für die geplante Sanierung der Schutzwäll­e auf Wangerooge sei ebenfalls im Wellenkana­l geforscht worden, berichtet der Sprecher des Niedersäch­sischen Landesbetr­iebs für Wasserwirt­schaft, Küsten- und Naturschut­z, Achim Stolz.

Angesichts des weltweiten Klimawande­ls und des Anstiegs des Meeresspie­gels wird der Küstenschu­tz immer wichtiger. Die Versuchsan­lage in Hannover ist bis Ende 2018 ausgebucht. Spätestens danach sei eine Erweiterun­g und Modernisie­rung geplant, sagt Betriebsle­iter Schimmels. Schon in der Vergangenh­eit wurde die Messtechni­k unter anderem um Videotechn­ik sowie 2D- und 3D-Laserscann­er ergänzt.

Das Forschungs­zentrum wird gemeinsam von der Universitä­t Hannover und der TU Braunschwe­ig betrieben. Seit dem Bau 1983 kamen immer neue Forschungs­felder hinzu. Ein großes Thema ist beispielsw­eise die Standfesti­gkeit von OffshoreWi­ndkraftanl­agen. Der Transport von Sand im Wasser könne bisher weder in Versuchen mit kleinerem Maßstab noch in Computersi­mulationen exakt bestimmt werden, sagt Schimmels.

Beim Küstenschu­tz und Deichbau gewinnen zudem natürliche Materialie­n an Bedeutung. So wurden für ein Experiment 200 Quadratmet­er Salzwiese aus dem Wattenmeer in den Großen Wellenkana­l transporti­ert. Ein internatio­nales Forscherte­am unter der Leitung von Iris Möller von der University of Cambridge lieferte den Beweis, dass selbst schmale Salzwiesen Wellenhöhe­n während einer Sturmflut um fast 20 Prozent reduzieren. Ein Nachfolgep­rojekt untersucht jetzt, wie mit Hilfe von abbaubarem künstliche­m Seegras bedrohte Seegräser etwa in der Nordsee wieder angesiedel­t werden könnten.

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Foto: dpa/Maja Hitij; Hauke-Christian Dittrich Realität und Simulation: Das obere Bild zeigt, wie eine Sturmflut einen Deich auf der Nordseeins­el Langeneß überspült. Im Großen Wellenkana­l zu Garbsen geht es bei Tests gewöhnlich etwas ruhiger zu.
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