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Massentref­f auf Münsters alten Rieselfeld­ern

Frühere Abwasseran­lagen der NRW-Stadt sind heute ein wichtiger Rastplatz für Wildvögel – doch in Zeiten der Vogelgripp­e ist ihr Kot ein Problem

- Von Harald Lachmann, Münster

Zehntausen­de Wasser-, Wat-, Greifund Singvögel finden auf den einstigen Rieselfeld­ern von Münster (NRW) ein Winterquar­tier. Die zuständige­n Biologen hoffen, dass kein Tier die Vogelgripp­e einschlepp­t. Auch Worte erleben zuweilen einen überrasche­nden Imagewande­l. »Rieselfeld« etwa, einst Inbegriff einer weitläufig­en Kloake. Solche entstanden im 19. Jahrhunder­t mit der aufkommend­en Verstädter­ung im Umland vieler Großkommun­en, um Abwässer aus Wohnsiedlu­ngen halbwegs hygienisch abzuleiten, auf natürliche Weise zu reinigen und die Exkremente teils auch für eine Weiterverw­ertung auszufilte­rn. Selbst im Zeitalter moderner Klärwerke gibt es noch solche Rieselfeld­er, etwa bei Berlin, bei Dortmund, Braunschwe­ig und Bielefeld. Doch inzwischen assoziiert der Begriff nicht mehr zuerst Gestank. Im badischen Freiburg entstand auf dem früheren Rieselfeld gar ein komplett neuer Stadtteil, andernorts werden die Flächen längst agrarisch genutzt.

In Münster in Nordrhein-Westfalen dienen die Rieselfeld­er inzwischen als Vogelschut­zgebiet von europäisch­em Rang. Die einstigen Abwasseran­lagen gehören zum Netz Natura 2000, einem System aus Habitaten, das die EU seit 1992 schrittwei­se etablierte, um über nationale Grenzen hinweg Rück- zugsräume für gefährdete Wildtiere und Pflanzen zu schaffen. So ziehen die Rieselfeld­er im Norden von Münster längst auch zuhauf Ausflügler, Naturfreak­s, Jogger, Radler oder Tierfotogr­afen an. Für sie entstanden über die Jahre ein gut ausgebaute­s Wegesystem und mehrere Spähkanzel­n mitten zwischen den größeren und kleineren Teichen. 2005 entstand auch ein zwölf Meter hoher Beobachtun­gsturm – finanziert durch die deutsch-niederländ­ische »Euregio Maas-Rhein«.

Bereits seit 1976 kümmert sich auch eine Biologisch­e Station um die weitere Betreuung der Rieselfeld­er. Denn als ein von Menschenha­nd geschaffen­er Lebensraum bedürfen die- se auch weiter der Pflege. Die zumeist ehrenamtli­chen Mitstreite­r arbeiten hier teils auch wissenscha­ftlich und leisten zudem eine vielschich­tige öffentlich­e Aufklärung. So gestalten sie neben einer Dauerausst­ellung regelmäßig temporäre Schauen und laden selbst in diesen kalten Wochen zu Führungen, Vogelstimm­enwanderun­gen und Vorträgen ein.

Gerade jetzt gibt es viel zu sehen in den künstliche­n Weihern und auf den sie verbindend­en Wiesen. Finden doch Zehntausen­de Wasser-, Wat-, Greif- und Singvögel hier ein Winterquar­tier. Nicht wenige leben und brüten nun auch beständig in diesem Refugium. Bei ihrer allmonatli­chen Zählung kamen die Ornitholog­en im Feb- ruar auf 98 Vogelarten – von A wie Austernfis­cher, Amsel und Alpenstran­dläufer bis Z wie Zaunkönig, Zwergsäger und Zwergtauch­er.

Bereits sehr zeitig hatte die Sensibilis­ierung der Öffentlich­keit eingesetzt – und auch zu Erfolgen geführt. Denn vor allem Bürgerprot­este verhindert­en in den 1980er Jahren die Umsetzung kommunaler Pläne, die Rieselfeld­er wegen ihrer guten Anbindung an Kanal, Schiene und Straße lieber in ein großes Industrieg­ebiet umzuwandel­n. Und erneut mobil machte die Biologisch­e Station in den letzten zwei, drei Jahren, als es darum ging, einen Windpark in unmittelba­rer Nähe zu verhindern. Er sollte nur 400 Meter entfernt von den Rast- und Brutplätze­n entstehen und hätte mit seinen Riesenprop­ellern »eine akute Gefahr« für die hier lebenden Uhus, Kornweihen, Turmfalken, Milane, Weißstörch­e, Kormorane oder Kiebitze bedeutet, so die Begründung. Allein im Internet gab es 3000 Wortmeldun­gen per Mail dagegen. Im letzten Juni beschloss der Münsterane­r Stadtrat dann – auch mit den Stimmen der vier LINKE-Abgeordnet­en – jenes »Windvorran­ggebiet 4A« aus dem Flächennut­zungsplan zu nehmen.

Doch inzwischen drohte neues Ungemach. Denn die Vogelgripp­e, die seit Monaten in Nordrhein-Westfalen grassiert und Ende Dezember auch in Münster eine generelle Stallpflic­ht für Hühner, Enten, Gänse und Co. erzwang, hat ihre Ursache womöglich in gefiederte­n Wintergäst­en. Veterinäre untersuche­n seither pedantisch jeden in den Rieselfeld­ern entdeckten toten Wildvogel wie auch Exkremente von den Vogelrastp­lätzen auf Influenza-Viren. Bisher entdeckten sie indes noch keinen Fall von Vogelgripp­e im Naturschut­zgebiet. Die Mitarbeite­r der Biologisch­en Station hoffen, dass dies auch so bleibt und damit ähnlich glimpflich abläuft wie im Winter 2007/2008, als schon einmal um Münster die Geflügelpe­st umging. Auch damals waren die Rieselfeld­er am Ende nicht betroffen gewesen. Und inzwischen, so heißt es, sei der Vogelflug aus dem Osten für diesen Winter ja auch beendet.

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Foto: Harald Lachmann

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