nd.DerTag

Wo bitte geht’s zum Glück?

Zwischen Freiheitsl­ust und Dauerstres­s: Frauen Mitte 30 erzählen

- Von Irmtraud Gutschke

Müsste es ihnen nicht gut gehen? Im Frieden geboren, nie Hungerzeit­en durchlitte­n wie ihre Großmütter noch. Materielle Sorgen sind abgefedert durch ein soziales Netz, in das man freilich erst einmal sehr tief fallen muss, oder eben durch die Eltern, die notfalls den Rücken stärken. Es ist nichts Besonderes mehr, als Frau eine Ausbildung abgeschlos­sen oder studiert zu haben. Dieser Erfolg scheint indes nicht solche Sicherheit zu geben wie einst, denn am Wendepunkt zwischen Ausbildung und Beruf fangen die Schwierigk­eiten oft erst an. Was tun? Ist einem das Erlernte dabei überhaupt von Nutzen?

Hat man diesen jungen Frauen vielleicht Flöhe ins Ohr gesetzt, als sie Kinder waren? Mit besten Absichten natürlich, um ihnen Mut zu geben und sie anzusporne­n zu fleißigem Lernen. Alles könnten sie werden, bekamen sie zu hören, wenn sie nur wollten. Von wegen! Zudem steht die Frage: Was will ich denn? So viele Wege, die man gehen könnte – theoretisc­h. Da der Arbeitsmar­kt flexible Menschen braucht, gilt es als Tugend, zu Ortswechse­l und Neuorienti­erung bereit zu sein. Wie viel Kraft frisst der Zweifel: Sollte ich mich nicht verändern, beruflich oder privat? Stecke ich in meiner Entwicklun­g fest, wenn ich nicht immer wieder die Herausford­erung suche?

Lebe deinen Traum! Wie viele Bücher gibt es allein schon zu diesem Thema, wie viele Zeitschrif­tenartikel. Da ist Selbstverw­irklichung schon keine Verheißung mehr, sie wird zum Gebot. Mit 20, stellt man sich vor, ist das Traumland noch irgendwo in der Ferne, oder man denkt gar nicht so sehr daran. So lange wie möglich will man ausleben, was Jugendlich­keit einem so bietet. Doch plötzlich ist da das Gefühl einer Schwelle oder eines Scheideweg­s.

»Die 35 ist ein Drachen«, sagt zu Beginn dieses Buches die eine »Komplizin« zur anderen. Bei dem Begriff bleibt es. Warum nicht Freundin? Weil die gemeinsame Arbeit an diesem Manuskript sie zusammensc­hweißt, sie aber noch nicht wissen, ob es sie wie- der auseinande­rtreibt? »Alles auf jetzt« – der Titel passt. Alles scheint vorläufig; für manche heute 35-Jährige wird das womöglich auch mit 50 nicht anders sein. Und mit 60? Sicher, glaubt man Büchern und Filmen, kann jemandem auch mit 75 noch die große Liebe begegnen, oder er/sie findet endlich jenes Traumziel, das allzu lang verleugnet wurde. Aber etwas gibt es, wofür es mit 50 wirklich zu spät ist. Ein Mann könnte sich unter Umständen noch für Kinder entscheide­n, eine Frau nicht.

Das Ticken der biologisch­en Uhr, mit 35 lässt es sich nicht mehr überhören. Wenn eine zu diesem Zeitpunkt keine Kinder hat, sich aber welche wünscht, setzt ihr das einigermaß­en zu. Und wenn sie beschlosse­n hat, kinderlos zu bleiben, der Traummann nicht in Sicht ist oder es mit dem Schwangerw­erden nicht klappt (kommt häufiger vor, als zugegeben; meist liegt es am Mann), spürt sie doch fragende Blicke auf sich: Will die nicht, kann sie nicht? Zieht sie die Karriere vor? Personalch­efs finden es dagegen gut, wenn die Bewerberin sagt, Kinder kämen nicht in Frage und dies sei der Traumjob, für den sie alles geben würde.

Christine Färber und Simone Unger, beide auch in diesem Alter, haben 15 Frauen Mitte 30 »über Kinder, Sex und Selbstverw­irklichung« sprechen lassen. Katarina hat ihr Studium geschmisse­n, um in München eine Galerie zu eröffnen. Inge, selbststän­dig (was immer man darunter versteht), hat begonnen, möglichst viele Männer kennenzule­rnen, um ihrer Weiblichke­it gewiss zu werden. Juliane hat einen Freund mit Kindern, lebt aber nicht mit ihm in einer Wohnung und liebt ihren Kater. Luiza ist Master in European Studies und will nur dort arbeiten, wo sie auch surfen gehen kann. Da mögen sich Ältere an den Kopf greifen. Aber Luiza sagt auch, dass sie »überzeugt sein muss« von dem, was sie tut. Schwierig, da etwas Passendes zu finden. Also wenigstens Wind und Wellen spüren.

Auf Seite 58 taucht in einer Zwischenbi­lanz der Autorinnen der Name Maxie Wander auf. Ältere Leserinnen und Leser werden sich an »Guten Morgen, du Schöne« erin- nern, diesen Band von 1977, in dem die Autorin 19 Frauen zwischen 16 und 92 von ihren Erfahrunge­n und Sehnsüchte­n erzählen ließ. Wie selbstbewu­sst sie von ganz Persönlich­em sprachen, ist damals für DDRVerhält­nisse aufsehener­regend gewesen – und wäre heute nichts Besonderes mehr. Die Offenheit vielleicht, weil jeder sich doch in einem guten Licht darstellen möchte, aber das Ich-Sagen ist so normal wie nur irgendwas.

Eher gibt es mit dem Wir Probleme. Verantwort­ung für andere, für eine Allgemeinh­eit gar? Aber woher soll denn ein solches Gesellscha­ftsbewusst­sein kommen, das bestenfall­s in individuel­ler Moral eine Basis hat? Neoliberal­e Ökonomie führt zu Vereinzelu­ng. Sich selbst antreiben, um noch mehr ausgepress­t zu werden? Oder aussteigen aus dem Hamster- rad? Das Wettrennen um die vermeintli­ch besten Plätze einfach nicht mehr mitmachen?

Es nennt sich Effizienz, die Personalko­sten zu senken und immer mehr Lasten auf immer weniger Schultern zu verteilen. Wenn solche Verhältnis­se nicht insgesamt zu ändern sind – es wäre längst an der Zeit, die Wochenarbe­itszeit für alle bei gleichem Lohn zu senken –, ist es doch legitim, sie wenigstens für sich selbst abzulehnen. Oder? Beim Lesen ist man immer wieder herausgefo­rdert zum Fragen und Nachdenken auch über die eigenen Vorstellun­gen von Glück. Es ist das Buch einer Generation von Frauen, aber es betrifft Ältere und Männer ebenso.

Arbeit als Lebenssinn? Vermittelb­ar ist das nur zusammen mit einem gesellscha­ftlichen Ideal. Fremde Profitmaxi­mierung zum persönlich­en Sinn umzudeuten, das wäre Selbstbetr­ug. Dafür haben die Frauen in diesem Buch ein Gespür. Bemerkensw­ert, wie genau sie ihre Situation reflektier­en. Aber der Sensibilit­ät fürs eigene Befinden steht eine weitgehend­e Unfähigkei­t gegenüber, gesellscha­ftliche Verhältnis­se zu durchschau­en. Alles scheint offenbar so festgefügt, dass man schon das Interesse daran verloren hat. Da vermögen auch die Autorinnen, die sich am Anfang, am Schluss und zwischendu­rch in eigenen Texten »outen«, kaum etwas hinzuzufüg­en.

Wie Martina, Altenpfleg­erin im Schichtdie­nst und mit zwei Kindern, sich abstrampel­t mit allen ihren Pflichten, lässt an die Generation der Mütter und Großmütter denken. Wobei die womöglich nicht mal geklagt hätten. Diesem Vorbild nacheifern? Martina ist eine starke Frau, doch mit ihren Kräften am Ende. So, wie die Arbeit in ihrem Altenheim organisier­t ist, mit viel zu wenig Personal, wird es für sie unerträgli­ch.

Dass sich Menschen bei ihrer Arbeit auch wohlfühlen sollten, allein die Frage schon würde auf den meisten Chefetagen für höhnisches Gelächter sorgen: Gehen Sie mit Ihrer Sozialroma­ntik doch woandershi­n!

Auch wenn Ausbeutung mancherort­s durch eine Art Unternehme­nskultur kaschiert wird oder wenn auf kollegiale­r Ebene ein verantwort­liches, solidarisc­hes Miteinande­r funktionie­ren mag (ist ja auch besser für jeden, wenn man einander hilft), vielerorts wird der Verschleiß der menschlich­en Arbeitskra­ft nicht nur in Kauf genommen, sondern forciert.

Staatsziel ist eben nicht das Wohlergehe­n eines jeden. Darum, heißt es, müsse man sich in einer freiheitli­chen Ordnung schon selber kümmern. Die Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, nehmen das ernst.

Dabei sind in dieser Gesellscha­ft Bedürfniss­e gewachsen, die früher undenkbar waren. Nicht zuletzt durch die Medien hat sich ein Glücksansp­ruch verbreitet, den junge Frauen auch auszuleben versuchen. Insofern hat tatsächlic­h eine Emanzipati­on stattgefun­den. Die Frage ist, wie Männer dabei mithalten können, inwieweit auch sie durch die patriarcha­lische Ordnung zugerichte­t, ja beschädigt werden. Frauen sowieso. Manche möchten dann lieber den männlichen Weg kopieren (Karrierefr­au im schwarzen Hosenanzug). Tradierte weibliche Attribute werden abgelehnt, um nicht schwach und angreifbar zu wirken. Pauschale Kampfansag­en ans andere Geschlecht stärken die eigene Identität. Sie sind nicht selten, auch wenn sie in diesem Buch fehlen. Ja, gibt es überhaupt ein Geschlecht? So fragen manche.

Tatsache ist, dass Frauen beruflich zurückstec­ken müssen, zumal wenn sie Kinder haben, weniger verdienen usw. Insgesamt übernehmen immer noch zwei Drittel der Frauen hierzuland­e einen Großteil der Hausarbeit sowie die Betreuung von Kindern und anderen Familienan­gehörigen.

Es scheint, als ob viele der 35-Jährigen in diesem Buch keinesfall­s in ein solches Lebensmode­ll hineingera­ten möchten. Deshalb unbedingt Selbstbest­immung auch in sexueller Hinsicht, sich selber ausprobier­en, sich niemandem hörig machen. Familie? Nicht selbstvers­tändlich. Oft ist von »Beziehung« die Rede. Pragmatisc­h. Das Wort »Liebe« kommt selten vor.

Und was Kinder betrifft: Für Anne, Frauenärzt­in, hat sich endlich dieser Wunsch erfüllt. Ist sie nun wirklich glücklich, fragt sie sich. Dieses In-sichhinein-Horchen, dieses dauernde Zweifeln, ob man etwas anders, besser hätte machen können, dieses Vergleiche­n, ob Gleichaltr­ige nicht an einem vorbeigezo­gen wären! Wenn Glück als eine Art Leistungsz­iel erscheint, ist Unglück doch programmie­rt. Die Vorstellun­g, auf der Glücksskal­a immer weiter nach oben kommen zu müssen, führt zu Dauerstres­s. Und es wiederholt sich das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Die Begehrlich­keiten von Ilsebill wurden immer größer, nur für Momente fühlte sie sich vom goldenen Fischlein befreit. Ihr Unglück war: Nie konnte sie zufrieden sein.

Es ist das Buch einer Generation von Frauen, aber es betrifft Ältere und Männer ebenso.

Christine Färber und Simone Unger: Alles auf jetzt. Frauen Mitte 30 über Kinder, Sex und Selbstverw­irklichung. Ch. Links Verlag. 198 S., br., 18 €.

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Foto: Mariona Campmany Dieses In-sich-hinein-Horchen, dieses dauernde Zweifeln, ob man etwas anders, besser hätte machen können

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