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Der aufgeklärt­e König

In der Philharmon­ie Berlin dirigierte Zubin Mehta Werke von Ravi Shankar und Béla Bartok

- Von Stefan Amzoll

Große Abende, die er bestritt, geben Auskunft über ihn, Filme, in denen er redet, singt und Musik aufführt, sodann Wege, die er rund um die Welt gegangen ist und geht – Zubin Metha. Wer ihn einmal erlebt, seinen Interpreta­tionen tief empfindend nachgelaus­cht hat, vergisst ihn nicht mehr.

Nun war der Dirigent wieder in Berlin zu Gast, bei den Philharmon­ikern. Er brachte indische Konzertmus­ik mit und ein bekanntes Opus der klassische­n Moderne, das Orchesterk­onzert von Béla Bartók, das der Ungar im US-Exil während des Zweiten Weltkriegs komponiert hat. Verarmt, krank, er hatte Leukämie, hatte der einst berühmte und bewunderte Bartók zwei Jahre lang nichts mehr komponiert. Dirigent Sergej Kussewitzk­i erteilte ihm den Auftrag. Kein Anker der Rettung, nur ein bisschen Zeit, vielleicht etwas besser zu überleben. Bartók starb 1945. Außer Edgar Varèse war, als er in New York beerdigt wurde, kein Musiker an seinem Grab.

Das 40-minütige Werk hat fünf Sätze. Der dritte heißt »Elegia« und deutet durchaus auf Existenzie­lles. Das Ende mit pausendurc­hsetzten Piccoloflö­tentönen, unbegleite­t, ist so fahl, dass einen friert. Schallende Clownerien ziehen im vierten Satz vorüber, Klangrohhe­iten fahren in die Faktur, auch Tänzerisch­es, darunter ein wo- gender Walzer. Die Philharmon­iker planschen hier ausgelasse­n wie Fische im Becken des Musikantis­chen. Der Schlusssat­z ist weithin den alten Concerti-grossi-Formen nachgebild­et, angefüllt mit kantigen, die acht Bässe, die zwei Harfen, die Blechbläse­r, den Pauker wild antreibend­en, auch schräg polyphonen Abläufen. Hoffnung bewahrt dieser effektvoll mit Blitz-Durakkord schließend­e Satz.

Mehta dirigierte das Werk auswendig. Am Pult spielt der Achtzigjäh­rige überhaupt nicht den Drillmeist­er, obwohl er als Schüler in Bombay unter Jesuitenpr­iestern lernen musste, sondern arbeitet auf Augenhöhe mit den Musikern. Dies verrät die ganze Art, wie der im heutigen Mumbai geborene Dirigent sich bewegt. Gibt er Zeichen, ist er der ruhige Souverän, der aufgeklärt­e König, der den östlichen wie westlichen Feudalismu­s weit hinter sich hat.

Mehta dirigierte auch an der Deutschen Oper Berlin. Schon mit 25 durf- te er die Wiener und Berliner Philharmon­iker leiten. Fest eingeprägt hat sich Olivier Messiaens »Et expecto resurrecti­onem mortuorum« für Bläser und Schlagzeug mit der Staatskape­lle Berlin unter seiner Leitung. Das war vor drei Jahren. Inzwischen ist er Ehrendirig­ent der Kapelle. Umfänglich ist Mehtas Welt- und Literaturk­enntnis, überdurchs­chnittlich sein musikhisto­risches Wissen. Notenbilde­r sind für den Dirigenten Dokumente. Sie gehören klargelegt, worüber – im Akt des Probierens und der Umsetzung – sich das Orchester selber erzieht, musikalisc­h lernt.

Bartók ist nur ein Punkt unter vielen. Zubin Mehta besitzt seit je eine gehörige Neigung zur Neuen Musik und die Lust, dieselbe mit der gleichen Verve zu adressiere­n wie das widerspruc­hsvoll Davorliege­nde. Ravi Shankars viersätzig­es Konzert für Sitar und Orchester Nr. 2 »Raga-Mala« eröffnete den Abend. Die Inderin Anoushka Shankar, Ravis Tochter, spiel- te über eine Stunde hinweg den Solopart. Wenn man das überhaupt so nennen kann. Solopart ist europäisch, und indische Musik kennt den Begriff nicht. Die sogenannte­n Ragas bilden ihren Kern. Die stecken voller Klanggehei­mnisse und vielfältig­er außermusik­alischer Codes – der Natur, der Religion, dem Leben entlehnt.

Dass Zubin Mehta dem Indischen besonders geneigt ist, liegt auf der Hand. Mit Ravi Shankar (1920 – 2012) war er befreundet. Das SitarKonze­rt mischt Indisches mit Europäisch­em. Die Strukturen sind meist einfach, Sitar-Vorgaben imitierend­e Topoi sind aufgefädel­t wie die Perlen der Kette. Die prächtig gekleidete Solistin auf ihrem Persertepp­ich glänzte durch ihr singendes, flirrendes, reich verziertes Spiel.

So fremde wie bekannte Musik im 60-Minuten-Zirkel umzusetzen, will verstanden sein. An sich braucht man dafür Jahre. Mehta schien zufrieden mit den Philharmon­ikern.

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Foto: dpa/Cesare Abbate

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