Die Stadt der POPS
Nach London fließt sehr viel Geld von Reichen aus aller Welt – Alteingesessene ziehen um
Wohnen in London ist so teuer wie kaum noch woanders in der EU. Dies ist direkte Folge einer städtebaulichen Entwicklung, die mit der Deregulierung im Finanz- und Immobiliensektor begann. POPS, die Abkürzung für »privately owned public spaces« (öffentliche Plätze in Privatbesitz), beschreibt ein relativ neues Phänomen in der Umgestaltung Londons. Private Unternehmen übernehmen in der britischen Metropole immer mehr Aufgaben, die früher die Kommune erfüllte, dazu zählt auch die Gestaltung öffentlicher Räume. Zum Teil geschieht dies als Auflage der Planungsbehörde: Bauträger, die den Zuschlag für ein Projekt mit Geschäften und Wohnungen bekommen, müssen den örtlichen Park oder die U-Bahn-Station mit sanieren. Das Ergebnis mag sich optisch sehen lassen, aber die von privaten Sicherheitskräften kontrollierten Plätze werden dadurch eindimensional, steril und künstlich – Kritiker sprechen von »toten Räumen«, die die Lebendigkeit einer chaotischen, vielfältigen Stadt ersetzen.
Der Schweizer Journalist Peter Stäuber hat sich auf den Weg durch seine Wahlheimat London gemacht, um die vielfältigen Veränderungen zu dokumentieren. Im Laufe ihrer Geschichte hat sich die Hauptstadt zwar immer im Wandel befunden, seit einigen Jahrzehnten aber nur noch zum Schlechteren, wie der auch für »nd« schreibende Journalist in seinem Buch »London – unterwegs in einer umkämpften Metropole« anhand mehrerer Stadtteile aufzeigt. Entstanden ist eine Mischung aus alternativem Reiseführer, Geschichtsbuch und städtebaulicher Einführung vor dem Hintergrund polit-ökonomischer Entwicklungen.
Die Änderungen zum Schlechten begannen mit Margret Thatcher, die nicht nur den Finanzsektor deregulierte, sondern auch die Förderung des Hauskaufs an die Stelle des kommunalen Wohnungsbaus rückte und die Sozialleistungen zusammenstrich. Unter Regie der konservativen Premierministerin wurde London zum global wichtigsten Zentrum der internationalen Vermögensverwaltung, während der Rest der britischen Wirtschaft an den Rand gedrängt wurde. Über die Banken in der City und die von ihnen offerierten Offshorefirmen fließt sehr viel Geld nach England. Wie viel davon steuerliches oder gar kriminelles Schwarzgeld ist, will keiner so genau wissen. Es ist auch kein Zufall, dass der anhaltende Bauboom in London im Finanzdistrikt seinen Anfang nahm, längst aber viele Stadtteile erfasst hat. Das Gesicht der Stadt hat sich stark verändert, wie nicht nur das Hochhaus »Gherkin«, die »Docklands« oder das höchste Gebäude in der EU, der 310 Meter hohe »Shard«, zeigen. Was Touristen anlockt, ist für viele alteingesessene Bewohner zum Fluch geworden.
Die Immobilienpreise sind nämlich rasant in die Höhe geschnellt. Kein Wunder, wenn derart riesige Kapitalsummen in ein geografisch überschaubares Gebiet wie London strömt und nach Rendite sucht. Dadurch hat ein umfassender Verdrängungsprozess begonnen. Neureiche Snobs aus Russland, Griechenland und dem Mittleren Osten verdrängen in Luxusquartieren wie Mayfair die englischen Aristokraten mit ihren steifen Umgangsformen, da die Preise selbst für sie nicht mehr bezahlbar sind. Gleichzeitig wird es hier dunkler: Die nur noch für wenige Superreiche finanzierbaren Luxusappartments sind oft nur eine Kapitalanlage oder eine Zweitwohnung, die die meiste Zeit im Jahr unbewohnt ist.
Vertreter der alten Oberschicht ziehen derweil weiter in Quartiere wie Kensington, in denen eigentlich die obere Mittelschicht wohnt, die nun ebenfalls Probleme mit Preissteigerungen bekommt. Und so geht es immer weiter. Vor allem jungen, mobi- len Leuten bleibt nur noch der Umzug ins Umland, auch wenn dies mit langen Fahrwegen verbunden ist. Nur scheinbar paradox gehen Bauboom und Wohnungsnot sowie steigende Obdachlosigkeit oft Hand in Hand.
Die neuen Luxusquartiere entstehen nicht irgendwo am Stadtrand auf der grünen Wiese, sondern werden mitten in eine historisch gewachsene Stadt hineinoperiert. Dies strahlt auf die Umgebung aus, zumal wenn öffentliche Plätze unter Kommerzvorgaben gleich mit umgestaltet werden. London war seit der Nachkriegszeit, in der immer neue Gemeindewohnungen gebaut wurden, lange eine wenig separierte Stadt. Arm und Reich wohnten in vielen Gegenden oft nebeneinander – auch diese Durchmischung gerät durch die Preisspirale und den Verkauf der Gemeindewohnungen zunehmend in Gefahr. Auch die massiven Kürzungen von Sozialleistungen wirken sich hier aus.
Aber noch etwas ist in Bewegung geraten: Immer mehr Londoner leisten Widerstand gegen den Stadtumbau. es gibt Hausbesetzer, die in leer- stehende Gebäude ziehen, bis sie fast auf die feine englische Art von einer kleinen Zahl mitfühlender Polizisten auf die Straße gesetzt werden, um dann zum nächsten zu ziehen. Leerstand gibt es trotz Wohnungsnot genug. Vor allem bilden sich seit dem (erfolgreichen) Protest der »E-15Mütter«, Bewohnerinnen eines Obdachlosenheims, die in billigere Gegenden außerhalb Londons umgesiedelt werden sollten, in vielen Quartieren Initiativen für eine sozialere Städtebaupolitik. Seit im Mai 2016 der der Labour-Politiker Sadiq Khan den konservativen Bürgermeister Boris Johnson ablöste, setzt sich auch in der Politik das Bewusstsein durch, dass es so nicht weitergehen kann. Denn, wie Peter Stäuber schreibt: »London ist für die Londoner zu wichtig, als dass man die Stadtentwicklung den unvorhersehbaren Effekten der herrschenden Wirtschaftsordnung überlassen sollte.« Peter Stäuber: London. Unterwegs in einer umkämpften Metropole, Promedia Verlag, Wien, 2016, 206 S., 17,90 €.