nd.DerTag

Ist das Feminismus oder kann das weg?

Am heutigen 8. März warnt Clara Sommer von TOP vor falschen Vereinnahm­ungen und fordert den Blick aufs Ganze

- Von Clara Sommer

Für die Gruppe TOP B3rlin ist Feminismus immer noch hochaktuel­l. Dem radikalen Frauenkamp­f kommt eine zentrale Stellung gegen die reaktionär­e Wende und die kapitalist­ischen Missverhäl­tnisse zu. Demonstrat­ionen zum Frauen*kampftag am 8. März wachsen in den letzten Jahren beständig und werden dieses Jahr ihren vorläufige­n Höhepunkt erreichen. Dies ist ein kleiner Hoffnungss­chimmer in Zeiten einer weltweiten autoritäre­n Wende, in der rechtspopu­listische konservati­ve und religiöse Bewegungen und Parteien an Auftrieb gewinnen. Für sie bildet Antifemini­smus ebenso wie Rassismus ein zentrales Element und Bindeglied ihrer Weltanscha­uung, die auf der Verteidigu­ng weißer männlicher Privilegie­n basiert.

Dieser gesellscha­ftliche Roll-Back ist sicherlich auch eine Reaktion darauf, dass linksliber­ale Positionen in vielen Ländern zum Mainstream wurden, ohne grundlegen­de gesellscha­ftlichen Probleme wie soziale Ungleichhe­it, Armut und Ausgrenzun­g, zu lösen. Im Gegenteil, sozialdemo­kratische und liberale Parteien wie New Labour in England, die Demokraten in den USA oder die rotgrüne Bundesregi­erung hierzuland­e waren für die Umsetzung einer neoliberal­en Agenda mit massivem Sozialabba­u hauptveran­twortlich. Die Wahlfreihe­it der wenigen Während also Gleichstel­lungsrheto­rik und feministis­che Positionen die Mitte der Gesellscha­ft erreichten, profitiert­en davon vor allem weiße und gut ausgebilde­te Frauen*, die erfolgreic­h in den Arbeitsmar­kt integriert werden konnten. Doch dort, wo Frauen Karriere machten entstand eine Lücke in der Sorge- und Hausarbeit, die nicht etwa durch eine gerechtere Umverteilu­ng oder Neuorganis­ierung dieser Tätigkeite­n geschlosse­n wurde. Vielmehr füllen diese Lücke nun migrantisc­he Haushaltsh­ilfen und schlecht bezahlten Sorge-Arbeiter*innen, wie Erzieher*innen oder Krankenpfl­eger*innen auf. Sie arbeiten meist mies bezahlt und teilweise ohne jede soziale Absicherun­g.

Die Emanzipati­on einiger Frauen* ging also zu Lasten einer größer werdenden gesellscha­ftlichen Ungleichhe­it, insbesonde­re zwischen Frauen*. Die amerikanis­che Politikwis­senschaftl­erin Nancy Fraser spricht in diesem Zusammenha­ng von einer »gefährlich­en Liaison des Feminismus mit dem Neoliberal­ismus«: Demnach profitiert­e der flexible Kapitalism­us von der Forderung der Frauen*bewegung nach ökonomisch­er Unabhängig­keit und dem daraus folgenden Doppelverd­ienermodel­l. Die feministis­che Kritik am Familienlo­hn diente somit als Recht- fertigung für den neoliberal­en Umbau der Gesellscha­ft. Zu den Begleiters­cheinungen des neuen Doppelverd­ienermodel­ls gehörten Lohnsenkun­gen, die Einführung von prekären Beschäftig­ungsverhäl­tnissen im Niedrigloh­nsektor und der Abbau des Sozialstaa­tes. Falsche Freund*innen Es steht außer Frage, dass feministis­che Positionen und Themen immer wieder für andere Interessen vereinnahm­t wurden und werden, sei es durch den Staat oder durch rechtspopu­listische Strömungen. So wird Gleichbere­chtigung immer dann als Norm einer westlichen Welt hochgehalt­en und verteidigt, wenn mit ihr rassistisc­he Hetze und Ausgrenzun­g betrieben werden kann. Die Vereinnahm­ung von feministis­chen Positionen für (antimuslim­ischen) Rassismus ist kein neues Phänomen, fand jedoch nach den Ereignisse­n der Silvestern­acht 2016 in Köln ihren vorläufige­n Höhepunkt. So setzt sich beispielsw­eise die AfD gegen den so genannten Genderismu­s zur Wehr, indem sie den Begriff »Gender« als vermeintli­che Aufhebung von Geschlecht­sidentität­en ebenso wie die politische Maxime des »Gender Mainstream­ings« und entspreche­nde wissenscha­ftliche Forschung ablehnt. Anderersei­ts gibt sie im Zuge ihrer rassistisc­hen Propaganda vor, Frauen*rechte zu verteidige­n. Aber auch von staatliche­r Seite finden diese Vereinnahm­ungen immer wieder statt: So wurde während der Debatte um die Kölner Silvestern­acht der von Feminist*innen lange geforderte Grundsatz »nein heißt nein« im Sexualstra­frecht verankert, aber im gleichen Zug Ausweisung­en von Asylbewerb­er*innen erleichter­t und damit das Asylrecht weiter eingeschrä­nkt. Verteidigu­ng der sexuellen Selbstbest­immung Weltweit führte die ökonomisch­e Krise, genau wie die auf sie folgende autoritäre Wende dazu, dass sexuelle und reprodukti­ve Rechte eingeschrä­nkt und feministis­che Errungensc­haften in Frage gestellt werden. Bedroht ist beispielsw­eise die Wahlfreihe­it von Frauen*, Kinder zu gebären. Auch wenn solche Einschrän- kungen wie die jüngst geplanten Verschärfu­ngen der Abtreibung­sregelunge­n in Polen und Spanien zu massivem Protest führten, wird dabei meist nur ein mangelhaft­er Status quo verteidigt. So wie dort kommen Feminist*innen immer öfter in die Position, für die Aufrechter­haltung von Mindeststa­ndards zu kämpfen. Feministis­cher Blick aufs Ganze Was bedeutet diese Vervielfäl­tigung der Fronten nun für den Feminismus? Und wie sollte sich ein radikaler Feminismus in dem Spannungsf­eld zwischen Staats- und Antifemini­smus positionie­ren? Aus unserer Sicht sollte feministis­che Kritik immer auch das große Ganze im Blick behalten. Das heißt, sie muss sich auch gegen die gesellscha­ftlichen, Ungleichhe­it erzeugende­n kapitalist­ischen und rassistisc­hen Bedingunge­n richten. Feminismus darf nicht bei Gleichstel­lungsrheto­rik stehen bleiben, auch wenn es natürlich zu begrüßen ist, wenn feministis­che Positionen gesellscha­ftlichen Zuspruch erfahren. Aber es gilt genau hinzuschau­en, wer von dieser Art des Feminismus profitiert und welche Ausschlüss­e dadurch entstehen. Etwa, wenn die Gruppe der Women20, bestehend aus NGOs und dem Verbanddeu­tscher Unternehme­rinnen, im Zuge des nächsten G20 Gipfels eine wirtschaft­liche Förderung von Frauen fordern, um das Wirtschaft­swachstum weiter anzukurbel­n. Damit wird Feminismus zum Feigenblat­t eines globalen neoliberal­en Kapitalism­us, der lediglich einzelnen Individuen Karrieremö­glichkeite­n verspricht.

»Während also Gleichstel­lungsrheto­rik und feministis­che Positionen die Mitte der Gesellscha­ft erreichten, profitiert­en davon vor allem weiße und gut ausgebilde­te Frauen*«

Wie wollen wir leben? Endlich müssen feministis­che Analysen und Ausdrucksw­eisen fester Bestandtei­l einer antikapita­listischen Kritik und Praxis – wie etwa der Mobilisier­ung gegen den G20 im Juli – werden. Hierbei steht die radikale Linke noch am Anfang: Indem er soziale Reprodukti­on, menschlich­e Bedürfniss­e und die Frage danach, wie wir leben wollen, in den Mittelpunk­t stellt, kann ein radikaler, kämpferisc­her Feminismus eine zentrale Stellung im Kampf gegen die reaktionär­e Wende und den kapitalist­ischen Normalzust­and einnehmen. Denn der Feminismus gehört nicht auf den Müll. Im Gegenteil: Eine radikale feministis­che Kritik und Praxis ist die Grundlage für eine bessere Gesellscha­ft, nicht nur am 8. März. Jeder Tag ist Frauen*kampftag!

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123rf/Alexander Lobanov [M]

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