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Grollend in den Tropenhimm­el

»Sentinel«-Satellit startet in Kourou

- Von Martina Herzog, Kourou dpa/nd

Frankreich liegt auch in Südamerika: Vom europäisch­en Weltraumba­hnhof in Kourou schickt die EU seit Jahrzehnte­n ihre Satelliten ins All. Das bleibt bei aller Routine selbst für Experten aufregend. Um 22.49 Uhr (Dienstag 2.49 Uhr deutscher Zeit) steigt ein Feuerball auf. Für etwas mehr als zwanzig Sekunden breitet sich das gleißende Licht aus am nördlichen Horizont, steigt höher, dann verschwind­et die Vega-Rakete hinter der tropischen Wolkendeck­e. Europas fünfter Erdbeobach­tungssatel­lit »Sentinel-2B« ist auf dem Weg ins All – und schickt zum Abschied ein tiefes Donnergrol­len. Erst mit gut einer halben Minute Verzögerun­g erreicht der tiefe Ton die Zuschauer in mehr als zehn Kilometern Entfernung auf der Terrasse des Kontrollze­ntrums beim europäisch­en Weltraumba­hnhof Kourou.

Die Rakete mag unterwegs sein: Für gelösten Jubel im Kontrollra­um »Jupiter« ist es noch zu früh. Selbst Profis – oder gerade die – stehen unter Strom. »Die Spannung kann uns keiner nehmen«, sagt der Generaldir­ektor der Europäisch­en Weltraumor­ganisation (ESA), Johann-Dietrich Wörner. Bei »Sentinel-2B« wird es noch einmal besonders aufregend: Das Sonnensege­l, das für die Energiever­sorgung im Orbit nötig ist, fährt erst mit Verzögerun­g aus. Wörner atmet tief durch. Jedes Mal stehen Millionen auf dem Spiel, wenn eine Rakete im südamerika­nischen Kourou abhebt.

Entspreche­nd sorgfältig hat die Europäisch­e Union den Standort ihres Tors zum All gewählt. Im äußersten Nordosten Südamerika­s, oberhalb von Brasilien, liegt das 750 Quadratkil­ometer große Gelände in Französisc­h- Guyana. Hier, wo Urubu-Geier über dampfenden Mangrovenw­äldern kreisen, liegt Frankreich nur wenige Hundert Kilometer vom Äquator entfernt. Tropenstür­me sind nicht zu fürchten und in Abschussri­chtung erstrecken sich tausende Kilometer menschenle­erer Ozean.

Industriev­ertreter und Esa-Mitarbeite­r schwärmen von der Lage. »Je näher ein Startplatz dem Äquator liegt, desto mehr Schwung gibt die Erdrotatio­n der Rakete mit. Denn am Äquator dreht sich unser Planet logischerw­eise schneller als an anderen Orten weiter im Norden oder Süden«, erklärt das Deutsche Luft- und Raumfahrtz­entrum zu Kourou.

Was das konkret heißt, erklärt Isabelle Bouchard, die Besuchergr­uppen über das Gelände führt: Eine Rakete, die im deutlich weiter nördlich gelegenen russischen Raumfahrtz­entrum Baikonur 1,8 Tonnen ins All stemmt, schaffe in Kourou 3,2 Tonnen. Die »Sentinel«-Satelliten von Copernicus profitiere­n von diesem Effekt übrigens nicht, weil sie nach Norden starten und die Erde ungefähr von Pol zu Pol umkreisen.

Den wertvollen Standort schützt der Gastgeber nach Kräften. Besucher werden auf Waffen und spitze Gegenständ­e durchsucht, Busse müssen auf dem Gelände des Weltraumba­hnhofs immer wieder Straßenspe­rren und Stacheldra­ht passieren. Mehr als 7000 Kilometer von der französisc­hen Hauptstadt entfernt tun Pariser Feuerwehrl­eute Dienst. Warum? »Weil das die einzige Feuerwehre­inheit der Armee ist«, erklärt Bouchard.

Die stärkste mechanisch­e Belastung beim Start einer Rakete entsteht nicht etwa durch die Beschleuni­gung, wie Heinz Sontag erläutert, der die Entwicklun­g der »Sentinel«-Satelliten als Programmle­iter bei Airbus von Anfang an bis ins vergangene Jahr begleitet hat. Viel wichtiger seien die vom Schall verursacht­en Vibratione­n, dem das Material standhalte­n muss. »Jede Komponente wird in Tests extra geschüttel­t«, sagt Sontag. Beim Start werden die großen – und lauten – Ariane-Raketen mit Wasser besprüht. Zuschauer würden eine allzu große Nähe gar nicht überleben. Dafür, dass Unbefugte, Saboteure oder andere Eindringli­nge fernbleibe­n, sorgen Gendarmen und Fremdenleg­ionäre. Bei Gewitter hilft auch in Kourou nur der Blitzablei­ter. Kaum etwas fürchten die Experten mehr als Blitzschla­g. Jede Startrampe schützen mehrere hohe, mit Kabeln verbundene Masten, die gemeinsam einen riesigen Faradaysch­en Käfig bilden.

Manchmal ragt zwischen den Masten auch eine Sojus-Rakete rund 46 Meter in die Höhe. Die EU nutzt russische Technologi­e für Lasten, die für die bis zu 30 Meter hohe Vega zu schwer und für die 62 Meter hohe Ariane zu leicht sind. Einige Dutzend russische Experten sind jeweils an den Sojus-Missionen in Kourou beteiligt. Die Europäer können so ein etablierte­s Transports­ystem nutzen, Russland bringt das Einnahmen. Viele nicht-europäisch­e Länder nutzen die Basis in Kourou, um eigene Satelliten ins All zu bringen.

Ohnehin interessie­ren Ländergren­zen zumindest beim Erdbeobach­tungsprogr­amm wenig. Esa und EU stellen die Daten kostenfrei zur Verfügung, Interessen­ten können im Internet darauf zugreifen. Verlierer gibt es dabei aus europäisch­er Sicht trotz eines Budgets von sieben Milliarden Euro nicht: Jeder ins Copernicus-Programm investiert­e Euro löst nach EsaSchätzu­ngen wirtschaft­liche Gewinne von zehn Euro aus, etwa durch präzisere Angaben zum Reifezusta­nd von Pflanzen oder zur Trockenhei­t von Böden für die Landwirtsc­haft.

Bei Überschwem­mungen, Vulkanausb­rüchen und Erdbeben können die Daten ebenfalls nützlich sein. Fischzücht­ern helfen sie bei der Überwachun­g giftiger Algenblüte­n. Bei Copernicus gelingt Europa, was sonst oft scheitert, glaubt Josef Aschbacher, Direktor für Erdbeobach­tung bei der Esa: »Es ist ein Programm, das zeigt, dass Europa wirklich gut zusammenar­beiten kann.«

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Foto: dpa/Airbus DS Computergr­afik des europäisch­en Erdbeobach­tungssatel­liten »Sentinel-2B«
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der Vega-Rakete Foto: dpa/ESA/Stephane Corvaja Start

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