Besteht ein Anspruch auf Entschädigung?
Nach Chaos mit ausgefallenen und verspäteten Flügen der Airline Tuifly im Herbst 2016
Im letzten Herbst war es zu Hunderten von Flugausfällen und Verspätungen beim Ferienflieger Tuifly gekommen. Der Grund: massenhafte Krankmeldungen von Crews. Die zum Reisekonzern Tui gehörende Tuifly beruft sich auf »wilde Streiks« und will die Reisenden nicht auf Basis der Fluggastrechteverordnung der EU entschädigen. Nun sprach das Amtsgericht Hannover zwei Klägern Entschädigungen zu: Ein Rentnerehepaar hat Anspruch auf 800 Euro, weil es fast vier Stunden später als geplant auf Kos landete. Eine fünfköpfige Familie bekommt von Tuifly 2000 statt der geforderten 4000 Euro, weil ihre Reise ganz abgesagt wurde und sie sich damit nur beschränkt auf die EU-Fluggastrechteverordnung berufen konnte. Können weitere Reisende mit einer Entschädigungszahlung rechnen? Bisher sind allein beim Amtsgericht Hannover rund 700 Zivilklagen auf Entschädigung nach Flugausfällen oder Verspätungen anhängig. Beim Reiseveranstalter Tui liegen 800 vor. Tui hatte rund 3000 Reiseverträge kündigen müssen. Die Kläger wollen eine finanzielle Entschädigung und nicht nur den reinen Ticketpreis oder entstandene Mehrkosten erstattet bekommen. Tuifly will aber nur den Flugpreis erstatten. Verhandelt wurden bundesweit erst 30 Fälle. In erster Instanz sind bisher vier Verfahren entschieden: zwei zugunsten der Urlauber, die Signalwirkung haben könnten, zwei mit ablehnender Entscheidung. Viele Amtsrichter hätten signalisiert, dass sie der Linie des Unternehmens folgen würden. Lenkt Tuifly im Streit um die Entschädigungen ein? Bisher nicht. Das Unternehmen beruft sich darauf, dass die hohe Zahl an Krankmeldungen ein »wilder Streik« gewesen sei. Entschädigungen lehnt das Un- ternehmen daher ab. Die massenhaften Krankmeldungen seien ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne höherer Gewalt gewesen. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind Fluglinien bei einem Streik von Entschädigungszahlungen befreit. Reiserechtler sehen die Sache aber anders: Eine Krankheitswelle sei Sache der Fluggesellschaft – es sei denn, sie könne nachweisen, dass es tatsächlich »wilde Streiks« waren. Wer hat die besseren Karten, die Reisenden oder das Unternehmen? Reiserechtler glauben, dass Tui eher schlechte Karten hat, Ausgleichszahlungen nach der EUFluggastrechteverordnung zu verweigern. Bei einer mehr als dreistündigen Flugverspätung haben Reisende je nach Flugstrecke Anspruch auf eine Entschädigung von 250 bis 600 Euro, wenn die Fluggesellschaft die Verzögerung zu verantworten hat. Wer gar nicht fliegen kann, obwohl er pünktlich am Abfertigungsschalter war, hat Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu 600 Euro. Wann ist mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen? Das kann lange dauern, denn es ist davon auszugehen, dass gegen die Urteile der Amtsgerichte in erster Instanz die unterlegene Partei Berufung einlegen wird, wenn der Streitwert höher als 600 Euro ist. Da vergleichsweise nur wenige allein in den Urlaub fliegen, wird diese Summe in der Mehrheit der Fälle überschritten. Ein Klägeranwalt hat bereits signalisiert, den Europäischen Gerichtshof einzuschalten. Wie teuer könnte die Angelegenheit für Tuifly werden? Erhielte allein etwa jeder der 9700 Fluggäste vom 7. Oktober 2016 die für Verspätungen bei kurzen Flügen geltenden 250 Euro, hätte Tuifly bereits mehr als 2,4 Millionen Euro zu zahlen. dpa/nd