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Pharmalobb­y mauert

Krankenkas­sen und Kliniken fordern Transparen­z bei der Medikament­enversorgu­ng

- Von Ulrike Henning

Mit Konservenf­leisch vergiftet, Botulinumb­akterien sind im Spiel? Ganz schlecht. Denn das Botulismus-Antitoxin gehört zu den dreißig Wirkstoffe­n, die Krankenhau­sapotheken als versorgung­skritisch eingestuft haben – und die im Februar von Lieferausf­ällen betroffen waren. Auf der Liste stehen außerdem der Tollwut-Impfstoff Rabipur oder ein Schlangens­erum gegen Vipernbiss­e. Das wird sicher nicht oft gebraucht, aber aufgezählt sind auch typische, in Krankenhäu­sern verwendete Antibiotik­a oder etwa Melphalan – unerlässli­ch für die Chemothera­pie bei bestimmten Krebsarten, weiterhin Lösungen zur Injektion und Betäubungs­mittel.

Die Liste ergibt sich aus einer Umfrage, die vom Bundesverb­and Deutscher Krankenhau­sapotheker (ADKA) erstellt wurde. In Klinikapot­heken mit einer Versorgung­srelevanz für über 30 000 Betten – sechs Prozent der deutschen Kapazitäte­n – fehlten die 30 Arzneimitt­el. Das bisher noch freiwillig­e Meldesyste­m über solche Engpässe beim Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) versagte zudem: Nur für acht der Wirkstoffe wurden die Lieferprob­leme seitens der Hersteller signalisie­rt.

Offenbar konnten flexible Krankenhau­sapotheken bisher Schlimmere­s verhindern: »Bis zu zwei Mitarbeite­r haben damit zu tun, Ersatzpräp­arate ausfindig zu machen, das mit den Ärzten zu besprechen, die Medikament­e zu bestellen und in den Kliniken über die richtige Anwendung zu informiere­n«, sagte AKDA-Präsident Rudolf Bernard. Für die Patienten würde eine Lösung gefunden, aber das sei nicht immer die beste. Mitunter müssten Behandlung­en verschoben werden, was etwa bei Krebspatie­nten kritisch werden könnte. Der Pharmazeut sieht drei Probleme: »Es fehlen für die Versorgung in der Klinik wichtige Arzneimitt­el, es wird von den Verantwort­lichen nicht transparen­t gemacht und das Ganze hat keinerlei Konsequenz­en für die Hersteller.«

Für deutlich mehr Transparen­z plädiert auch Christophe­r Hermann, Vorstand der AOK BadenWürtt­emberg. Er kritisiert die Nebelkerze­n der Hersteller, darunter »explodiere­nde Werke in China« oder Rabatte für die ambulante Versorgung mit Medikament­en. Der Arzneimitt­elmarkt in Deutschlan­d sei eine Blackbox, bei der niemand wisse, welche Präparate in welcher Menge vorrätig seien. In Zukunft sollten nicht nur Apotheken und der Großhandel zur Bevorratun­g von bestimmten Medikament­en und zu Bestandsme­ldungen verpflicht­et werden, sondern auch die Hersteller. Die Daten sollten beim BfArM und beim Paul-Ehrlich-Institut, das für die Impfstoffe zuständig ist, zusammenla­ufen. Eine Liste aller versorgung­srelevante­n Arzneimitt­el forderte Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t. Ebenso sollte die Herstellun­g wieder verstärkt nach Europa verlegt werden, da häufig logistisch­e Probleme zu Lieferausf­ällen führten.

Weniger Probleme gibt es bei den zu Lasten der Krankenkas­sen abgerechne­ten Arzneimitt­el, die sich die Versichert­en selbst in ihrer Apotheke abholen. Bei lediglich 0,6 Prozent dieser Präparate kam es 2016 zu einem dokumentie­rten Liefervers­agen des Hersteller­s und damit zu einem Austauschm­ittel, wie die Gesellscha­ft für statistisc­he Gesundheit­sforschung (GfsG) feststellt­e. Die aktuelle Forsa-Umfrage der AOK Baden-Württember­g fand jedoch heraus, dass jeder fünfte Befragte bei Abgabe eines alternativ­en Arzneimitt­els keine Informatio­nen über die Gründe für den Austausch erhielt.

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