Eltern und Kinder auf der Flucht
Dola de Jong: Ihr Roman »Das Feld in der Fremde« ist in den Niederlanden ein Klassiker und wurde erste jetzt übersetzt
Dieser Roman ist das Buch der Stunde. 1945 geschrieben, könnte er nicht aktueller sein. Niemals zuvor waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht. Die niederländische Autorin erzählt von solch einer Flucht, von Verletzungen und Demütigungen, von harter Arbeit, ewigem Warten und Nichts-TunKönnen. Und von den Kindern, deren Kindheit dabei ein jähes Ende nimmt.
Kurz vor der deutschen Besetzung fliehen Aart und Lies aus den Niederlanden über Frankreich und Spanien in die international verwaltete Zone der marokkanischen Stadt Tanger. Auf ihrer Fahrt in einem alten Kastenwagen greifen sie fünf Kinder auf, die von ihren Eltern getrennt wurden. In Nordafrika pachten sie ein kleines Feld und versuchen, Gemüse anzubauen. Doch weder Aart noch Lies sind Bauern. Sie stammen aus bürgerlichen Familien, und reden sich ein, Aussteiger und keine Flüchtlinge zu sein. Die arabischen Nachbarn, die ihnen immer mal wieder mit Lebensmitteln aushelfen, belächeln sie und halten ihr Unterfangen auf dem unfruchtbaren Boden für sinnlos. Auch Lies beginnt, am harten Leben unter der afrikanischen Sonne zu zweifeln; doch Aart will sein Scheitern nicht eingestehen.
Im Zentrum des Romans stehen jedoch die Kinder. Auf beeindruckende Weise ist es Dola de Jong (1911 – 2003) gelungen, sich in die Gefühlsund Gedankenwelt der Jungen und Mädchen hineinzuversetzen. Nüchtern und ohne moralische Anklage beschreibt sie ihren Alltag, der von Hunger und harter Arbeit auf dem Feld geprägt ist. Ununterbrochen tragen sie Eimer vom Brunnen zum Feld. Ihre kindlichen Gefühle und Wünsche bleiben dabei meist auf der Strecke.
Anders die Kinder wohlhabender Familien in Tanger: zum Beispiel die des niederländischen Konsuls, von dem Aart und Lies hoffen, Hilfe für ihr Visum in die USA zu bekommen. Ein Mann, der einerseits mit dem spanischen Faschismus sympathisiert, andererseits sich der christlichen Hilfe für die zumeist jüdischen Flüchtlinge verpflichtet fühlt. Der zu denen gehört, die die Judenverfolgung »schrecklich« finden und zugleich meinen, dass »die schlechten Juden zum großen Teil Schuld an dem ganzen Elend seien«.
Fast alles in diesem Buch lässt sich auf die Situation von Flüchtlingen heute übertragen. Selbst die Überfahrt von Tanger nach Lissabon, von wo die Schiffe nach Amerika abfuhren, gleicht der heutigen Fluchtroute übers Mittelmeer. Die begehrten Plätze auf einem abgetakelten Kahn nach Lissabon wurden von einem Schlepper teuer verkauft. Niemand wusste, wann er einen Platz bekom- men würde. Bei manchen lief das hart erkämpfte USA-Visum inzwischen ab.
Kaum zu glauben, dass dieses Buch erst jetzt ins Deutsche übertragen wurde. In den Niederlanden ist es bereits ein Klassiker. Auch in den USA, wohin Dola de Jong, die als Jüdin aus den Niederlanden 1940 über Marokko fliehen musste, war der Roman ein Erfolg. Ihre Eltern und ihr Bruder, die sie nicht zu Flucht bewegen konnte, und denen sie »Das Feld in der Fremde« widmete, wurden in deutschen Konzentrationslagern ermordet.
Dola de Jong: Das Feld in der Fremde. Roman. Aus dem Niederländischen von Anna Carstens. Verlag Antje Kunstmann. 272 S., geb., 22 €.