Aufbruch am Müggelturm
Investor Matthias Große kämpft zur Sanierung des Ausflugsziels gegen ängstliche Entscheider – und noch immer um die Baugenehmigung
Nach Jahren des Verfalls bewegt sich was am Berliner Ausflugsziel.
Der Müggelturm zählt, zumindest für einstige DDR-Bürger, zu Berlins Wahrzeichen. Schließlich gab es ihn in schon vor dem Fernsehturm. Sein jahrlanger Verfall ist auf großes Unverständnis und Kritik gestoßen. Nachdem der Müggelturm, das Wahrzeichen in Berlins größtem, wald- und wasserreichstem Bezirk Treptow-Köpenick, gut 20 Jahre weder leben noch sterben konnte und mehrere Käufer scheiterten, steht mit Investor Matthias Große (49) ein Mann am Berg, der ernst macht. Große, athletisch, offener Blick, kurz geschorener Kopf, ist seit Mai 2014 Eigentümer des Turms und des Grundstücks mit der Gaststättenruine. Er wartet seit Jahr und Tag auf die Baugenehmigung und war dabei nicht untätig. Über eine Million Euro hat er bereits eingesetzt, für ein Ziel in herausragender Lage. Der Turm steht auf Berlins höchster natürlicher Erhebung (114,7 Meter) in einem Ausflugsgebiet, das andere Hauptstädte erblassen lässt. Trotzdem rutschte es nach der Wende in solchen Strudel aus Vernachlässigung, leeren Versprechen und bürokratischer Starre, dass es fast unmöglich ist, darüber keine Glosse zu schreiben.
Matthias Große, in der Lausitz geboren, beschreibt sein Ziel so: »Ich will dort wieder eine zeitgemäße Gaststätte schaffen, wo mal eine Gastronomie existierte, die pro Jahr bis 300 000 Besucher anzog. Ich will kein Hotel, keine Wohnungen, keine abgefahrenen Sachen bauen. Ich will Kaffee, Kuchen und Currywurst verkaufen und Leute feiern lassen. Alles andere ist kalter Kaffee.«
Eckpunkte des Vorhabens: Der Turm auf dem Kleinen Müggelberg – 30 Meter hoch und Fernsicht bei Idealwetter bis 50 Kilometer – soll, schick gemacht, rund ums Jahr begehbar sein. Die Turmbaude hat Große nach altem Vorbild bereits fertiggestellt; sie erlebte voriges Wochenende bereits einen Gästeansturm. Darüber soll das »Hauptmann«-Restaurant entstehen, doppelt so groß wie das alte. Auf dem Dach ist Berlins größte Sonnenterrasse geplant. Zusammen mehr als 900 Plätze. Viel hat Große geschafft: Gas, Wasser und, das Schwierigste, die Abwasserentsorgung, komplett erneuert, kein Vergleich mit der Zeit des Anfangstürmchens, das Wäschereibesitzer Carl Spindler aus Köpenick in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts errichten ließ. Da das Türmchen keinen großartigen Blick bot, baute Spindler neu. Nun war der Turm höher und aus Holz – Pagodenstil, 38 Meter hoch und 1890 als öffentlicher Aussichtspunkt polizeilich abgesegnet.
1924 kaufte ein Baumeister Turm und Restaurant und erweiterte: Ausflügler konnten nun auch unter freiem Himmel verzehren. Den Krieg überlebte der Spindlerturm, ab 1946 war das Lokal wieder offen. Im Mai 1958 versank der Turm in einem Großfeuer – dass im August 1960 Richtfest für einen neuen gefeiert wurde, aus Beton und Glas und in der heutigen Konstruktion, ermöglichten Handwerker und Spender. Angehende Architekten von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee hatten den Wettbewerb gewonnen.
Vor Matthias Großes Kampf gab es schon eine Baugenehmigung, für Investoren-Vorgänger Marc Förste aus Krefeld. Große: »Er hatte eine Genehmigung bekommen, die rechtlich untauglich war. Mir als Nachfolger sagte man trotzdem: Na, kauf dem Förste doch die Genehmigung ab, dann hast du alles, was du brauchst. Das hab ich für viel Geld getan und am ersten Tag vom neuen Amtsleiter gehört: Also mit diesem Papier geht gar nichts.« Einige Punkte konnte er nutzen, aber ein Haupthindernis blieb der Denkmalschutz. Oder: Wie erschließt man ein in der DDR konzipiertes Objekt nach heutiger Gesetzeslage? Und: Wie kommen Behinderte hoch? Die Fragen beschäftigten die Ämter …
Große mutmaßt: »Vielleicht erteilte man die Genehmigung nur, um mit Förste keinen Krieg zu haben. Der Bezirk ist in solchen Fragen konflikt- scheu. Ich hab‘ in Berlin viel gebaut, doch was ich in Treptow-Köpenick erlebe, passiert mir in FriedrichshainKreuzberg oder Pankow nicht. Wenn Sie hierher kommen – ich habe rund 60 Immobilienprojekte im Bezirk realisiert –, heißt’s immer erst Nein und dann, nach viel Gerangel, vielleicht, Ja. Darüber vergehen Jahre. Männer wie Oliver Igel und Rainer Hölmer, Bezirksbürgermeister und Baustadtrat, wollen Fortschritte, aber ihre Verwaltung blockiert. Ich bin von Hause aus Militär und gewohnt, dass ab Entscheidung gehandelt wird.«
Ein anderes Problem plagt ihn bis heute: Die Straße zum Turm und der Parkplatz davor waren in der DDR öf- fentlich. Nach der Wende endete die öffentliche Straße etwas unterhalb am Waldparkplatz. Deshalb sagte der Bezirk zu Große: Wenn Sie diese Straße und den Turmvorplatz nicht haben, können Sie keine Parkplätze nachweisen. Deshalb muss nun das Land Berlin befinden, ob Große diese Abschnitte dazukaufen kann. Hierfür musste jede Senatsverwaltung angehört werden. Große: »Also wenn die Justizverwaltung gefragt wird, ob sie eine Straße zum Müggelturm braucht – da fällt mir nichts mehr ein!«
Das mit dem Kauf des Turmgeländes seit 2014 in Großes Eigentum befindliche Areal misst laut Bezirksbürgermeister Igel »5234 Quadratme- ter. Die gewünschte Zukauffläche beläuft sich auf 6142 Quadratmeter.« Wenn jede Senatsverwaltung verzichtet, könnte der Vermögensausschuss des Abgeordnetenhauses grünes Licht für den Verkauf an den Investor beschließen. Sollte es dazu kommen, könnte Stadtrat Hölmer Herrn Große, vielleicht, die Baugenehmigung geben – ein Spiel ohne Grenzen.
Mitte Januar sind wir »oben« verabredet. Trotz der Hängepartie wirkt der Investor nicht, als könne er hinschmeißen. Er investiere gern hier, weil er immer wieder Leute treffe, die ihn »voller Erinnerungen oft mit Tränen in den Augen« bäten, nicht aufzugeben. Den Verweis auf Volkes Stimme macht er oft, so wie auch sein Büro in Köpenick einen Eindruck gibt, wie Große tickt: an der Wand seine Armeeuniform aus DDR-Zeiten, daneben ein Gemälde mit J. R. Ewing aus »Dallas«. Ein Buddy-Bär, behängt mit Schals von Schalke 04 (»Vater war Bergarbeiter in der Lausitz und seit je Schalke-Anhänger, ich kenne Vereinschef Clemens Tönnies gut«). Auf dem Wandschrank Lexika, innen Lenin-Bände, die er an der Militärpolitischen Hochschule auf Russisch gelesen hat.
Große studierte von 1986 bis 13. Dezember 1989 in Minsk. Nach der Maueröffnung war Feierabend, zurück nach Berlin. Ab 23. Dezember arbeitete er anfangs als Toilettenmann, dann drei Monate als Türsteher, dann im Fitnessbereich – insge- samt ein Jahr Grand Hotel. Ein Immobilienmakler aus Bonn gab ihm seine Karte: »Du bist zu schlau für die Tür. Wenn du mal Lust hast, ruf an.« Das tat Große, nachdem sein Sportstudio Pleite gegangen war. »In dieser Situation habe ich Bonn angerufen. Der Mann bildete mich aus und ich hab‘ mich berappelt.« Er sei mitunter vielleicht etwas hemdsärmelig, aber: »Ich bin in der Arbeiterklasse groß geworden. Ich war Toilettenreiniger, hab‘ mich hochgearbeitet und vergesse nie, wo ich herkomme. Wer so ist, eckt an, ist nicht Mainstream. Für mich gibt es nur schwarz oder weiß. Ich mach keine Gefangenen, das wissen auch die auf dem Amt. Sie wünschen mir entweder Erfolg oder die Pest an den Hals. Motiviert mich zusätzlich.«
Optimistisch bleibt Große auch wegen seiner Bilanz an anderer Stelle. »Wir bringen mit unseren Wohnheimen inzwischen knapp 500 obdachlose Menschen in Berlin unter. All diese Heime werden von Menschen geführt, die selbst einmal wohnungslos waren, ihren Job und sonst alles verloren hatten.« Wieso, frage ich, sei gerade das Amt Treptow-Köpenick so schwerfällig, wie er behaupte? »Ich stoße auf Antipathie. Viele reiben sich an meiner Firma, Person und Geschichte. Die einen nennen mich zwielichtig, andere Rockerfreund, Dritte – weil ich kurze Haare habe oder einen Hummer fahre – rechts. Meine Freunde, mein Bauleiter, alle tragen kurze Haare und gelten deshalb als rechts. Dabei hatte ich schon in Russland kurze Haare. Das ist doch absurd.« Ob er den Mauerfall bedauere? »Natürlich nicht, weil ich sonst als Privatmann nie den Turm sanieren könnte. Trotzdem sage ich: In meinen 18 Jahren DDR hab‘ ich gute Schulbildung erhalten, ein gutes Gesundheitssystem gehabt und wusste, was wie geht. Das sind meine Wurzeln, das war mein Land. Das war nichts, wofür ich mich schämen müsste. Sicher wäre ich gern Armeegeneral geworden.«
Wir gehen über die Baustelle, die amtlich noch keine ist: Die erste Außentreppe ist begehbar, die Betonteile für die nächste liegen parat. Ein Terrassenteil ist gefliest, auf ihm nagelneue Holztische und –bänke, das Boden-Schach einsatzbereit. Der Hochzeitsgarten könnte bei Brautpaaren ein Renner werden. Der erste Außenfahrstuhl, der Behinderte zur nächsten Ebene bringt, arbeitet. Zwei weitere sollen folgen. Was sagt eigentlich Bezirksbürgermeister Igel zum Stand der Dinge? »Bisher war Herr Igel noch nicht hier. Fragen Sie ihn doch, wieso nicht!«
Große erinnert an seine Idee, dem Müggelturm einen äußerlich gleichen Zwillingsbruder zur Seite zu stellen. Er hätte als Transportturm dienen, Behinderte fahren und sie über eine Verbindung in den Hauptturm führen sollen. »Das wären die Twin Towers von Köpenick geworden.« Der Bezirk hat das trotz zehntausend Unterschriften abgelehnt. »Das heißt, ein Behinderter kommt über drei Teilfahrstühle zwar bis an den Turm, aber nicht rauf …« Über die Kosten der Sanierung spricht der Investor nicht: »Ich gebe dazu keine Auskunft, weil es noch nicht greifbar ist. Über eine Million haben wir bisher verbaut. Was aussteht, kostet vielleicht noch mal 'ne Million oder zwei, ich weiß es nicht.«
Am 6. Oktober feiert Große Fünfzigsten. Oben. Es wird eine stolze Feier werden, mit delikater Gästeliste. Und wenn bis dahin keine Baugenehmigung vorliegt? »Auch dann steige ich nicht aus. Für mich ist nicht die Frage, ob wir aufmachen, nur, wann. Die Sanierung ist an sich ja nicht schwer. Es geht hier nicht um die Elbphilharmonie, sondern um gutes altes Handwerk. Das Objekt ist auch nicht bankenfinanziert. Ich weiß, wo das endet, weiß, dass der Kaffee bei mir nicht sieben Euro kosten wird, und hab‘ nie gesagt, dass ich kaputt gehe, sollte zu bleiben. Ich sag‘ nur, man raubt den Leuten die Seele, wenn man mit dem Areal weiter wie bisher umgeht.« Bereut habe er die Turmidee nie. »Motivation bereut man nicht.« Sagt Große und will weniger Besserwisser als Bessermacher sein.
»Das vom Bauherrn vorgelegte Nutzungskonzept findet die Zustimmung des Bezirksamts. Der Müggelturm hat für den Bezirk hohe Bedeutung. Er ist nicht nur eine wichtige Touristenattraktion, sondern gerade für die Köpenicker ein liebgewonnenes Ausflugsziel. … Der zügigen Sanierung der denkmalgeschützten Gebäude wird sehr hohe Bedeutung beigemessen, daher genießt der Vorgang absolute Priorität im Bezirk.« Oliver Igel (SPD), Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick