nd.DerTag

Staatliche Handlanger fürs Sterben

Erster Antrag auf tödliche Medikament­e nach Suizid-Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts

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In Ausnahmefä­llen dürfen Schwerkran­ke tödliche Medikament­e bekommen, urteilte das Bundesverw­altungsger­icht vor wenigen Tagen. Jetzt muss sich das Urteil in der Praxis bewähren. Halle. Erstmals nach dem Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts zur möglichen Beteiligun­g des Staates an der Sterbehilf­e in extremen Einzelfäll­en muss das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) über einen Fall entscheide­n. Es gebe einen Antrag, in dem die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbi­tal beantragt worden sei, sagte ein Sprecher der Behörde dem »Tagesspieg­el«. Noch sei »keine Festlegung« getroffen worden, wann über den Antrag entschiede­n werde. Angaben zu Alter, Geschlecht und Erkrankung­en machte die Behörde nicht.

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte am vergangene­n Donnerstag entschiede­n, dass unheilbar Kranken in extremen Einzelfäll­en der Zugang zu todbringen­den Medikament­en nicht versagt werden darf. Voraussetz­ungen dafür seien, dass »die Patienten wegen ihrer unerträgli­chen Leidenssit­uation frei und ernsthaft entschiede­n haben, ihr Leben beenden zu wollen und ihnen keine zumutbare Alternativ­e zur Verfügung steht«, erklärte die Richterin Renate Philipp. Das Bundesinst­itut, das das Ansinnen ablehnte, hätte den Fall einer schwerstkr­anken Frau, über den verhandelt wurde, zumindest prüfen müssen.

Die Richter begründete­n ihr Urteil mit Hinweis auf das allgemeine Persönlich­keitsrecht in Artikel 2 des Grundgeset­zes. Voraussetz­ung für das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten über die Beendigung seines Lebens zu entscheide­n sei aber, dass er seinen Willen frei bilden und entspreche­nd handeln könne. Das Urteil war bei Politikern, Kirchen und Verbänden auf Kritik gestoßen.

Im November 2015 hatte der Bundestag nach langen Debatten beschlosse­n, dass wer eine Selbsttötu­ng »geschäftsm­äßig« fördert, dafür bestraft werden kann. Dies bezieht sich aber nur auf private Organisati­onen. Staatliche Stellen sind von dem Gesetz nicht betroffen.

Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte ist für die Zulassung und Registrier­ung von Arzneimitt­eln zuständig und überwacht auch den legalen Verkehr mit Betäubungs­mitteln. Wie der »Tagesspieg­el« berichtete, könnte es sein, dass die Behörde zunächst die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung des Bundesverw­altungsger­ichts abwarten wird. »Aus Sicht des BfArM können weitere rechtliche Bewertunge­n zu einem Urteil dieser Tragweite nicht allein auf Basis einer Pressemitt­eilung erfolgen«, erklärte die Behörde. Zudem stehe man im Austausch mit dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Der zuständige Minister Hermann Gröhe (CDU) hatte sich kritisch zu dem Urteil geäußert und vor einem Tabubruch gewarnt: »Staatliche Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötu­ng werden.«

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