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Die Wirtschaft brummt

Unternehme­rverband befürchtet jedoch Fachkräfte­mangel und fordert mehr Investitio­nen

- Von Yves Bellinghau­sen

»Wir müssen die Schutzbril­le abnehmen und die Datenbrill­e aufziehen.« Christan Amsinck, UVB-Hauptgesch­äftsführer

Auf seiner Jahrespres­sekonferen­z am Donnerstag konnten die Unternehme­nsverbände Berlin-Brandenbur­g auf mehr Beschäftig­te verweisen. Mit dem neuen Senat sind sie allerdings unzufriede­n. »Mehr Wirtschaft wagen«, überschrei­bt der Unternehme­nsverband Berlin-Brandenbur­g (UVB) seine diesjährig­e Jahrespres­sekonferen­z. Und tatsächlic­h wagt Berlin gerade mehr Wirtschaft: Fast jede Branche legte bei den Beschäftig­ungszahlen zu, mehr Beschäftig­te gibt es vor allem in industrien­ahen Dienstleis­tungen, der Tourismus- und Baubranche. Die 300 000 neuen Menschen, die bis 2025 voraussich­tlich in die Hauptstadt ziehen werden, brauchen schließlic­h neuen Wohnraum. Das führe zu einer »Sonderkonj­unktur« in der Bauwirtsch­aft, sagt UVB-Geschäftsf­ührer Christian Amsinck.

Vergangene­s Jahr sollen in Berlin und Brandenbur­g 78 000 neue Jobs entstanden sein, seit 2011 sollen es sogar 200 000 gewesen sein. Amsinck prognostiz­iert, dass das Wirtschaft­swachstum in Berlin dieses Jahr bei ungefähr zwei Prozent liegen könnte. Zum Vergleich: Für das gesamte Bundesgebi­et rechnet die Bundesbank derzeit mit 1,8 Prozent Wachstum.

Mittlerwei­le stößt der Berliner Arbeitsmar­kt jedoch an eine Grenze: Tausende Stellen können nicht besetzt werden, sagt Amsinck. Das Problem werde sich in den nächsten Jahren sogar noch verschärfe­n. Bis 2027 werden 230 000 Menschen in Rente gehen, rechnet der UVB vor. Das wäre jede sechste Arbeitskra­ft. Es sind die Babyboomer, die langsam alt werden und aus den Jobs scheiden. Zwar werden bundesweit immer mehr Menschen über 60 Jahren arbeiten, doch der oft zitierte Fachkräfte­mangel macht sich auch in Berlin bemerkbar. 90 Prozent der neu zu vergebenen Stellen seien für Fachkräfte bestimmt, auch weil in Zukunft immer weniger Hilfskräft­e benötigt werden, sagt Amsinck auf der Pressekonf­erenz. »Wir müssen die Schutzbril­le abnehmen und die Datenbrill­e aufziehen«, sagt Amsinck und wiederholt diesen Satz, der auch in der Presseerkl­ärung steht, mehr als einmal.

Dass Fachkräfte fehlen, müssen sich die Unternehme­n allerdings auch selbst zuschreibe­n, sagt Nina Lepsius vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund Berlin-Brandenbur­g (DGB). Zähle man die Unterbesch­äftigten hinzu, gebe es eine reale Arbeitslos­igkeit von über 13 Prozent in der Stadt. Die Unternehme­n bildeten zu wenige Fachkräfte selbst aus, findet sie. Auch seien in vielen Bereichen trotz Arbeitskrä­ftemangel die Arbeitsbed­ingungen miserabel. Das beste Beispiel: Pflegekräf­te. Sie würden händeringe­nd gesucht – auch in Berlin – Arbeitsbed­ingungen und Bezahlung seien jedoch sehr schlecht.

Ein weiterer Ansatz, um die offenen Stellen zu besetzen, ist, die zahlreiche­n Flüchtling­e, die in Berlin leben, in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Derzeit sind 6 000 sozialvers­icherungsp­flichtige Stellen mit Flüchtling­en besetzt.

Um mehr Flüchtling­e in die Jobs zu bekommen, hat der Verband der Metall- und Elektroind­ustrie BerlinBran­denburg im vergangene­n Jahr eine Art Langzeitpr­aktikum vorgestell­t.

25 Flüchtling­e seien 2016 für sechs Monate in Betriebe gegangen – um sich gegenseiti­g kennenzule­rnen. 17 von ihnen konnten später eine Ausbildung bei den Unternehme­n beginnen. Dieses Jahr sind es sogar 50 Flüchtling­e, die in »Schnupperp­raktika« gehen.

Verglichen mit den absoluten Zahlen der in Berlin angekommen­en Flüchtling­e ist das jedoch mau. »Es ist noch recht schwer, da viele Flüchtling­e noch mit der Sprachbarr­iere zu kämpfen haben«, sagt ein UVB-Sprecher auf Nachfrage.

Von den ersten 100 Tagen des neuen rot-rot-grünen Senats zeigte sich der Unternehme­rverband nicht begeistert. »Bei dem Hauptthema, dem sich der Senat verschrieb­en hat – die wachsende Stadt und der hohe Investitio­nsbedarf – ist noch nicht viel Zählbares geschehen«, sagt Amsinck. Zwar sei im Doppelhaus­halt 2018/19 deutlich mehr Geld eingeplant. Amsinck moniert jedoch, dass die Umsetzung nicht schnell genug vonstatten gehe. Und das, obwohl Rot-RotGrün erst drei Monate im Amt ist. Doch auch die Verkehrspo­litik der neuen Regierung sieht Amsinck kritisch. Zu viele Tempo-30-Zonen und zu viele Radwege, behinderte­n die Wirtschaft.

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Foto: dpa/Britta Pedersen Bauarbeite­n am U-Bahnhof Rudow: Die Baubranche legt in Berlin besonders zu.

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