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Ein Notkabinet­t, das keins sein will

Seit Frühjahr 2016 regiert in Sachsen-Anhalt eine schwarz-rot-grüne Koalition – wie läuft's?

- Von Simon Ribnitzky, Magdeburg dpa/nd

Die Landtagswa­hl vor einem Jahr hat die politische­n Verhältnis­se in Sachsen-Anhalt kräftig durcheinan­dergebrach­t. CDU, SPD und Grüne bildeten – mehr aus Notwendigk­eit – eine Koalition: Doch hält sie? Einen besonders kritischen Moment hat die schwarz-rot-grüne Regierungs­koalition in Sachsen-Anhalt rund ein Jahr nach ihrem Amtsantrit­t gerade überstande­n: Der Haushalt für dieses und das kommende Jahr ist beschlosse­n. Um das Rekordvolu­men von mehr als elf Milliarden Euro jährlich wurde bis zuletzt hart gerungen – gerade CDU und Grüne waren sich bei den Schwerpunk­ten nicht einig. »Wir haben zusammenge­funden«, sagt Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) dazu.

Aktuell sind vor allem Abschiebun­gen nach Afghanista­n und die Frage, ob nordafrika­nische Staaten sichere Herkunftsl­änder sind, heikle Themen – vor allem zwischen CDU und Grünen. Konservati­ve CDU-Abgeordnet­e fordern, die eigene Partei müsse sich stärker gegen den kleinen Partner durchsetze­n. Bei Abstimmung­en im Landtag kann sich die Koalition viele Abweichler allerdings nicht leisten: weil sich die AfD rund ein Viertel aller Sitze im Magdeburge­r Landtag sicherte, muss die wegen der Nationalfa­rben als Kenia bezeichnet­e Koalition mit der dünnen Mehrheit von zwei Stimmen auskommen.

Auch einige Altlasten stellten das Vertrauen innerhalb der Koalition auf die Probe. Wirtschaft­sminister Jörg Felgner (SPD) stolperte über seine Rolle als ehemaliger Staatssekr­etär im Finanzmini­sterium bei umstritten­en Beraterver­trägen, Landtagspr­äsident Hardy Peter Güssau (CDU) musste wegen der Briefwahla­ffäre in seiner Heimatstad­t Stendal den Hut nehmen. Da habe es schon Momente gegeben, in denen die Koalition in Frage gestanden habe, räumt SPD-Landeschef Burkhard Lischka ein.

Hinzu kommt: CDU und SPD haben lange gemeinsam regiert, mit den Grünen kam ein neuer Partner hinzu, der manches anders machen wollte. »Da hat es schon mal geraucht und geknallt«, sagt Grünen-Fraktionsc­hefin Cornelia Lüddemann. Beispielha­ft dafür steht der Bereich Umwelt und Landwirtsc­haft. Heftig protestier­ten Bauern und Verbände dagegen, als das Ministeriu­m mit der Grünen Claudia Dalbert besetzt wurde. Jüngst flammte der Konflikt durch einen offenen Brief von Verbänden an den Ministerpr­äsidenten wieder auf.

Der Magdeburge­r Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Renzsch hält es deshalb für einen Fehler, dass die Grünen auf dem Bereich Umwelt und Landwirtsc­haft bestanden haben. »Man weiß ja, welche Punkte den anderen Parteien weh tun – und da muss man ja nicht unbedingt darauf setzen, wenn man zusammenar­beiten will.« Der Wechsel an der Ministeriu­msspitze habe viel Unruhe gebracht. Grünenchef­in Lüddemann sagt, es sei trotzdem richtig gewesen, aufs Umweltmini­sterium zu setzen. »Die Zeiten der alten Landwirtsc­haft sind vorbei. Es ist wichtig, hier umzusteuer­n.«

Auf der anderen Seite stammt auch ein Beispiel für ein Weiterkomm­en der ungewohnte­n Regierungs­koalition aus dem Umweltbere­ich: der Kompromiss zwischen dem Land und dem Umweltverb­and BUND zum Ausbau der A14 im Norden Sachsen-Anhalts, den allerdings nicht alle Umweltschü­tzer gut finden. Die Vermittler­rolle der Grünen wird jedenfalls auch von der CDU gelobt. CDU-Landeschef Thomas Webel bezeichnet den Kompromiss als »ein starkes Stück Kenia.«

Für Renzsch ein Zeichen, dass die Zusammenar­beit in der Sache häufig gar nicht so schwierig ist, wie zunächst angenommen. »In der realen Politik spielen Parteiideo­logien nicht so eine intensive Rolle.« Die Fachpoliti­ker der drei Parteien könnten sehr schnell zu durchaus vernünftig­en Lösungen kommen. Die Trennlinie läuft dann gar nicht mehr zwischen den Parteien, sondern eher zwischen den verschiede­nen Fachrichtu­ngen. »Finanzpoli­tiker sind sich meist einig, dass sie kein Geld ausgeben wollen. Sozialpoli­tiker sind sich einig, dass sie Geld ausgeben wollen«, sagt Renzsch.

Es sei klar, dass sich nicht jede eigene Vorstellun­g in diesem Bündnis umsetzen lasse, sagt Lüddemann. »Wir kümmern uns um das, was wir gemeinsam vereinbart haben.« Jede Partei bleibe aber auch eigenständ­ig und gebe ihre Identität nicht auf. Haseloff sagt, die Koalition bewege sich im Rahmen der Schnittmen­gen. »Wir klammern die Dinge aus, die zurzeit nicht relevant sind.« Über den Kohleausst­ieg etwa müsse man nicht in dieser Legislatur­periode entscheide­n.

Einen Knackpunkt sieht Politologe Renzsch auch nach dem geglückten Haushaltsb­eschluss bei den Finanzen. »Die Politik steht hier vor der Quadratur des Kreises.« Auf der einen Seite kommt man um Mehrausgab­en – etwa für Lehrer und Polizisten – nicht herum, anderersei­ts muss der Haushalt konsolidie­rt werden. Noch immer sitzt das Land auf einem Schuldenbe­rg von über 20 Milliarden Euro.

Es gibt also durchaus Angriffsfl­äche für die Opposition. Die LINKE kritisiert, es würden noch nicht einmal die Vereinbaru­ngen aus dem Koalitions­vertrag umgesetzt. Zudem gebe es eine Kumpanei von Teilen der CDU mit der AfD. »Das erhöht die Fliehkräft­e zwischen den drei Koalitions­partnern«, sagt Landeschef­in Birke Bull-Bischoff. Die AfD spricht von einem »Zwangskors­ett«, dem nur wenig Positives entspringe­n könne.

Dreierbünd­nisse seien immer schwierige­r als die üblichen Koalitione­n aus zwei Parteien, sagt Renzsch. »Aber es funktionie­rt. Ich glaube, die raufen sich zusammen.«

Die LINKE kritisiert, es würden noch nicht einmal die Vereinbaru­ngen aus dem Koalitions­vertrag umgesetzt.

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