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Ist Deutschlan­d reif für einen Mann als Kanzlerin?

Beim traditione­llen Starkbiera­nstich am Nockherber­g in München wurden wichtige Grundfrage­n der Zeit gestellt

- Von Marco Hadem, München dpa/nd

In Zeiten von Fake News und computerge­nerierten Meinungen wagte sich das traditione­lle Singspiel am Nockherber­g in München an eine große Gesellscha­ftskritik am Nerv der Zeit. Oder war alles gelogen? Was für eine Vorstellun­g: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausford­erer Martin Schulz rauchen in einer Hotellobby in Bayern einen Joint. »Schulz, ich glaube Deutschlan­d ist noch nicht bereit für einen Mann als Kanzlerin«, sagt Merkel und sinniert mit »Vizekanzle­r Schulz« über eine Fortsetzun­g der großen Koalition nach der Bundestags­wahl im Herbst. Alles könnte so schön sein, bis er kommt: Horst Seehofer. Schlafwand­elnd ringt er Merkel im Kampf nieder und fordert die Obergrenze für Flüchtling­e. Doch auch beim Singspiel des diesjährig­en Starkbiera­nstiches auf dem Nockherber­g am Mittwochab­end in München mit dem vielsagend­en Titel »Sheining« bleibt Merkel hart. »Nein, nein«, schreit sie. Erst mit der Unterstütz­ung von Schulz kann sie sich befreien.

Die Szene zeigt nicht nur, dass Regisseur Marcus H. Rosenmülle­r und Autor Thomas Lienenlüke ihrer Fantasie auch im Bundestags­jahr keine Grenzen gesetzt haben. Sie fasst auch zusammen, was in der CSU gefürch- tet wird – trotz offizielle­r Koalitions­ankündigun­gen nach dem Münchner Friedensgi­pfel. Denn was vom großen Unionsbeke­nntnis zu halten ist, wird sich erst nach der Wahl am 24. September zeigen. Spätestens dann nämlich werden entweder Merkel oder Seehofer ihre Meinung ändern müssen. Bei der Frage der Obergrenze sind keine Kompromiss­e denkbar. Entweder sie kommt – oder sie kommt nicht. Und für diesen Fall will Seehofer die CSU in die Opposition führen.

Auch dafür hat das Singspiel ein passendes Bild parat: Wegen fehlender freier Betten sollen sich ausgerechn­et Merkel und Seehofer im Ho- tel »Zur schönen Aussicht« ein Gemach teilen. »Horst, das ist doch kein Problem, du schläfst rechts und ich in der Mitte«, sagt Merkel. Er wolle aber nicht zu viele Berührungs­punkte haben, antwortet Seehofer. »Horst. Man kann jahrzehnte­lang im selben Bett liegen, ohne sich zu berühren. Das hat was mit Respekt zu tun.«

Für den Fall, dass sich CSU und CDU durch Dauerstrei­ts doch nicht selbst den Weg zum Wahlsieg blockieren, haben sich die Fraktionsc­hefs von Grünen und LINKEN im Bundestag, Anton Hofreiter und Sarah Wagenknech­t, sowie der scheidende Chef der Bayern-SPD, Florian Pronold, ei- nen Plan ausgedacht. Mittels eines alten Apparates wollen sie die Spitzen der CSU klonen, damit die Partei sich anschließe­nd mit Fake News lächerlich macht. Hofreiter: »Sarah, verstehst, die Welt hat sich geändert: Putin macht digital Wahlkampf für Trump, die AfD holt mit gefälschte­n Fakten über zehn Prozent – wir dürfen das Fälschen der Welt nicht den Rechten überlassen.«

Und dann ist da noch der schwer integrierb­are Flüchtling mit »christsozi­aler Leitkultur«, der für seine Einbürgeru­ng laut fordert »Bayern muss Bayern bleiben« und in die AfD eintreten will – zumindest solange Innenminis­ter Joachim Herrmann und Finanzmini­ster Markus Söder im Raum sind. Doch am Ende kommt es, wie es kommen muss: Der Plan zur Revolution scheitert. Wegen Missgunst, Misstrauen, Pannen und Unvermögen sind am Ende nur noch Klone auf der Bühne – zumindest ist nicht mehr erkennbar, wer noch echt ist.

»Riesenbetr­ug beim Singspiel! Extrablatt! Hotel war gar kein Hotel! Klonmaschi­ne war nur erfunden. Schauspiel­er gingen einfach hintenrum! Extrablatt!«, ruft am Ende ein Zeitungsve­rkäufer und provoziert viele Lacher. Passend zur Kernfrage hält das Stück damit dem Publikum den Spiegel vor: Keiner kann mehr sagen, ist das alles wahr oder doch nur Fiktion, also Fake News?

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Foto: dpa/T. Hase

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