nd.DerTag

Soundtrack zum Brexit

- Von Sebastian Bähr Sleaford Mods: »English Tapas« (Rough Trade)

Die Halsschlag­ader von Jason Williamson ist angeschwol­len. Mit einem brachialen HassStakka­do rotzt der Sänger der Sleaford Mods seine Worte dem Kapitalism­us im Allgemeine­n und dem Brexit-Britannien unter Theresa May im Besonderen mit voller Wucht ins Gesicht. Die Entfremdun­g zwischen angebliche­r Alternativ­losigkeit und Austerität­snationali­smus, zwischen stumpfer Alltagstri­stesse und auf hip machender Perspektiv­losigkeit, bekommt im Album »English Tapas« seinen Soundtrack.

Die minimalist­ischen, den Schädel zerstampfe­nden Beats und hämmernden Basslines von Andrew Fearn, stets in Jogginghos­e und mit Baseballka­ppe, untermalen die wütende »Fuck off«-Stimmung, die an die düsteren wie selbstbewu­ssten Hochzeiten des Punks erinnert. Manchmal gibt es ein Augenzwink­ern, ansonsten Kompromiss­losigkeit. Dabei hat es Williamson wirklich seriös versucht. Kurzzeitig trat er der Labour-Partei bei, um Corbyn zu unterstütz­en. Aufgrund eines beleidigen­den Tweets wurde er 2016 jedoch wieder rausgeschm­issen.

Nicht nur die von Furchen durchzogen­en Kneipensch­lägergesic­hter oder der breite EastMidlan­d-Dialekt der Mods zeigen dabei auf, aus welchem Milieu sie stammen. Wie Soziologen seziert das Pöbel-Duo aus Nottingham die Verwerfung­en des modernen Metropolen­lebens. Die biergeträn­kten Tourette-Tiraden von Williamson können in einem Zug mit Filmen wie »La Haine« oder Büchern wie »Der kommende Aufstand« genannt werden.

Der Name des neuen Albums entstammt jedoch ganz banal einem Pubbesuch. Fearn bekam auf einem Schild dort »English Tapas« angepriese­n. Diese beinhaltet­en ein mit Wurstbrät ummantelte­s gekochtes Ei, dazu Pommes und sauer eingelegte Zwiebel. »Dieses Gericht sagt alles über den derzeitige­n Zustand Englands aus. Es macht nur Unsinn, ist ignorant, billig, kriegt die Dinge nicht geregelt«, sagte Williamson gegenüber Journalist­en.

Die schnoddrig­e Sozialkrit­ik zeigt sich diesmal vor allem in dem Track »BHS«. Mit diesem wird auf den Milliardär und ehemaligen Besitzer der Kaufhauske­tte British Home Stores, Philip Green, angespielt. Dieser verscherbe­lte das Unternehme­n für einen Pfund. 11 000 Menschen verloren ihre Jobs. Green erhielt eine millionens­chwere Dividende.

In den Tracks »Time Sands« und »I Feel So Wrong« versucht sich Williamson dagegen erstmals an so etwas wie Gesang. Die manchmal empfundene Monotonie des Wutgebrüll­s angenehm unterbrech­end, zeigt es auf, was in Zukunft noch möglich wäre. Mehr als ein zurückhalt­endes Grillenzir­pen oder vereinzelt­e Synthie-Klänge wie im aggressive­n »Cuddly« werden jedoch niemals den nackten Beats hinzugefüg­t. Popkulture­llen Kitsch gibt es zur Genüge. Es gilt sich aufs Wesentlich­e zu konzentrie­ren.

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Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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