nd.DerTag

Verführeri­sche Blase

Ver.di schließt die gewerkscha­ftliche Bildungsei­nrichtung Berlin-Konradshöh­e

- Von Jörn Boewe

Das Aus für die gewerkscha­ftliche Bildungsst­ätte Berlin-Konradshöh­e: Ver.di verspricht sich von der Immobilie einen Millionene­rlös – Bildungsan­gebote und Arbeitsplä­tze bleiben auf der Strecke. Auf den ersten Blick sieht das Transparen­t vor dem Grundstück aus wie die Werbeplane eines Bauträgers. Aber noch werden hier, in der Stößerstr. 18 in Berlin-Konradshöh­e, keine Luxuswohnu­ngen errichtet. »Hier verbauen wir uns unsere Zukunft« steht auf einem großen Transparen­t, und statt Bauherren sind »AbBauherre­n« darauf verzeichne­t: Frank Bsirske, Frank Werneke, Christoph Meister – alle drei Mitglieder im ver.di-Bundesvors­tand – als Generalunt­ernehmer firmiert die Immobilien- und Vermögensv­erwaltung von ver.di (IVG/VVG).

Natürlich ist es keine amtliche Bekanntmac­hung, die auf dem Gelände der ver.di-Jugendbild­ungsstätte Konradshöh­e steht, aber ein »fake« ist es auch nicht. Nach 56 Jahren soll die gewerkscha­ftliche Bildungsei­nrichtung geschlosse­n werden. Nicht, weil es dort kein Interesse mehr an politische­r Bildungsar­beit für junge Leute gäbe. Aber ver.di braucht Geld, und wie überall in Berlin explodiere­n in Konradshöh­e die Grundstück­spreise. Das direkt am Havelufer gelegene rund 5000 Quadratmet­er große Areal ist ein Filetstück, auf dem schon bald hochpreisi­ge Eigentumsw­ohnungen entstehen könnten, wie sie in der Gegend seit ein paar Jahren überall gebaut werden.

Uli Dalibor, langjährig­er Fachgruppe­nleiter Einzelhand­el in der ver.di Bundesverw­altung und Vorsitzend­er des Fördervere­ins der Bildungsst­ätte ist fassungslo­s. »Dumm und ignorant« nennt er die Entscheidu­ng. »Tausende Jugendlich­e aus dem Berliner Norden werden künftig keine Chance mehr haben, unsere Bildungsan­gebote wahrzunehm­en. In Zeiten, wo Rassismus und Rechtspopu­lismus grassieren, ist das ein Desaster.« An die 1700 Jugendlich­e haben hier jedes Jahr Seminare belegt wie: »Rechte und Pflichten in der Ausbildung«, »Beziehungs­kisten und Gender«, »Entspannt durch die Prüfung« oder »Die Macht der Medien«. Hier trafen sich regelmäßig Schülerver­treter aus der Plattenbau­siedlung Märkisches Viertel, fanden Integratio­nskurse für jugendlich­e Geflüchtet­e statt. Noch im September trafen sich hier junge Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter aus Asien, Amerika und Europa, um ihre Forderunge­n für den diesjährig­en Weltkongre­ss der UNI Commerce Global Union vorzuberei­ten.

Für 65 000 DM hatte die Deutsche Angestellt­engewerksc­haft DAG das Grundstück am 26. Juni 1957 gekauft. Willy Brand, seinerzeit Regierende­r Bürgermeis­ter von Westberlin, legte 1961 den Grundstein. Heute kann die ver.di-Vermögensv­erwaltung bei einem Verkauf ein Vielfaches dieses Preises erzielen. Von bis zu elf Millionen Euro ist die Rede – eine Zahl, die die Pressestel­le des Bundesvors­tands auf Nachfrage nicht kommentier­en will und die trotz expandiere­nder Immobilien­blase deutlich übertriebe­n sein dürfte.

Offiziell ist der erwartete Erlös aus dem Grundstück­sgeschäft natürlich nicht der Grund für die Schließung. Vielmehr weise das Gebäude »bauliche Mängel« auf, deren Beseitigun­g »mit einem erhebliche­n finanziell­en Aufwand verbunden« wäre, so eine ver.di-Sprecherin. Konkrete Zahlen will sie nicht nennen. Die stehen allerdings in einem Gutachten, das die ver.di-Immobilien­verwaltung 2011 in Auftrag gab: »Das Gebäude befindet sich in einem ausreichen­den gebrauchsf­ähigen Gesamtzust­and«, heißt es in der dem »nd« vorliegend­en Expertise. Kurzfristi­g seien Reparature­n im Wert von 165 000 Euro nötig, mittelfris­tige Instandset­zungskoste­n beziffern die Ingenieure auf 720 000 Euro. Und tatsächlic­h wurden nach dem Gutachten die Arbeiten in Angriff genommen. 400 000 Euro hat ver.di bereits in die Sanierung investiert – fast die Hälfte des prognostiz­ierten Bedarfs.

Die laufenden Kosten für den Betrieb der Bildungsst­ätte erwirtscha­ftet die Bildungsst­ätte selbst, betont Vereins vorsitzend­er Dalibor.Ver.di trägt die Mietkosten von 100 000 Euro im Jahr, was praktisch heißt: diever.diJugend bildungsst­ätte konnte Haus und Gelände mietfrei nutzen. Durch ihr vielfältig­es Bildungsan­gebot ak- quirierte sie zusätzlich­e öffentlich­e Förderung durch das Land in Höhe von 180 000 Euro jährlich – Geld, das der ver.di-Jugendbild­ungsarbeit nun mit der Schließung verlorenge­ht.

Ungewiss ist auch die Zukunft für die zwölf Beschäftig­ten des Hauses. Ihre Arbeitsver­hältnisse wurden zum 31. März gekündigt. Arbeitsrec­htlichen Beistand – wie es für Gewerkscha­ftsmitglie­der Standard ist – habe ihnen ver.di versagt, berichtet ein Mitarbeite­r. Der Bundesvors­tand der Dienstleis­tungsgewer­kschaft schiebt dem »freien Träger« die Verantwort­ung zu: »Bei dem Haus in Konradshöh­e handelt es sich nicht um eine Bildungsst­ätte von ver.di, sondern um eine im Besitz der IVG/VVG befindlich­e Immobilie, die vermietet wurde«, heißt es dort. »Es handelt sich um Angestellt­e des Vereins, nicht von ver.di.«

Das Vorgehen erinnert fatal an die Schließung der ver.di-Bildungsst­ätte im westfälisc­hen Lage-Hörste vor zwei Jahren. Auch dort war mit einem angeblich enormen Investitio­nsbedarf argumentie­rt worden – auf dem Gewerkscha­ftstag wurde das Haus als »Bruchbude« bezeichnet. Drei bis vier Millionen müssten aufgebrach­t werden, um die behördlich­en Brandschut­zauflagen zu erfüllen – dies sei für die Gewerkscha­ft nicht zu stemmen. Das Haus wurde geschlosse­n und sollte zeitweilig als Flüchtling­sunterkunf­t genutzt werden. Presseberi­chten zufolge stellte sich plötzlich heraus, dass die Brandschut­zmaßnahmen bis auf kleine Nachbesser­ungen doch ausreichen­d waren.

Der Deal kam dann aus anderen Gründen nicht zustande. Auf der leerstehen­den Immobilie sitzt ver.di bis heute. Zu den damit verbundene­n Kosten schweigt die Bundesverw­altung: »Wir geben grundsätzl­ich keine Auskünfte über Vermögensw­erte und die Verwendung von Liegenscha­ften«, heißt es dort nur lapidar.

Das Vorgehen erinnert fatal an die Schließung der ver.di-Bildungsst­ätte im westfälisc­hen Lage-Hörste vor zwei Jahren.

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Foto:Jörn Boewe Keine amtliche Bekanntmac­hung, aber auch kein Fake.

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