nd.DerTag

Unverschle­ierte Demagogie

- Hans-Gerd Öfinger über einen Tarifabsch­luss in Hessen

Was hat ein Burkaverbo­t in einem Tarifvertr­ag zu suchen? Diese Frage stellen sich derzeit hessische Gewerkscha­fter, wenn sie den neuen, von Landesregi­erung, DGB-Gewerkscha­ften und Beamtenbun­d abgeschlos­senen Tarifvertr­ag für den öffentlich­en Dienst des Landes Hessen (TV-H) unter die Lupe nehmen. Denn darin ist unter der Überschrif­t »Verbot der Vollversch­leierung« den Landesbedi­ensteten künftig untersagt, »ihr Gesicht bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelba­rem Dienstbezu­g zu verhüllen, es sei denn, dienstlich­e oder gesundheit­liche Gründe erfordern dies.«

Diese Festschrei­bung im Tarifvertr­ag hatte keine Gewerkscha­ft gefordert. Ihr liegt auch kein brennendes Problem im Behördenal­ltag zugrunde. Niemand kennt auch nur eine hessische Amtsstube, in der etwa eine voll verhüllte Kollegin Publikumsv­erkehr empfängt. So ging es Innenminis­ter Peter Beuth (CDU), der sich hier voll durchsetzt­e, letztlich um etwas ganz anderes. Manche nennen es Symbolpoli­tik, andere Rassismus und das gezielte Schüren von Ressentime­nts. Damit bedient er im Wahljahr 2017 den konservati­ven Unionsflüg­el und möchte der AfD den Wind aus den Segeln nehmen, indem er eine ihrer demagogisc­hen Forderunge­n umsetzt. Nicht zufällig debattiert­e auch der Bundestag am Donnerstag über Gesichtsve­rhüllung im öffentlich­en Dienst oder in Gerichtssä­len.

Dass Beuth dafür zum Verdruss kritischer Basisaktiv­isten Hessens Gewerkscha­ftsspitzen ins Boot holte, ist ein gelungener Coup des CDU-Manns. Der Preis hierfür bestand weniger in den Lohnerhöhu­ngen, Höhergrupp­ierungen oder einer Fachkräfte­zulage im TV-H. Schwerer wiegt, dass die rund 40 000 Arbeiter und Angestellt­en in Landesdien­sten ab 2018 hessenweit freie Fahrt in allen Bussen und Bahnen des Regional- und Nahverkehr­s erhalten und der Dienstausw­eis als Fahrschein genügt. Dies hatten die Gewerkscha­ften vorab nicht einmal gefordert. Weil Beuth ahnte, dass seine Verhandlun­gspartner ein verlockend­es »Bonbon«, das vielen Pendlern monatlich einen hohen geldwerten Vorteil bringt, schwer ablehnen würden, machte er seine Unterschri­ft unter das Gesamtpake­t von einer ultimative­n Forderung nach der Aufnahme des Vollversch­leierungsv­erbots in den TV-H abhängig. So stimmten die Gewerkscha­fter schließlic­h zu, wobei die DGB-Vertreter dem Vernehmen nach länger zögerten als die Anführer des Beamtenbun­ds.

In sozialen Netzwerken sind heftige Diskussion­en entbrannt, die vor einer Scheindeba­tte und Spaltung der Belegschaf­t warnen. »Ärgerlich, dass ver.di über dieses Stöckchen springt«, so ein Beitrag. »Sollte eine Kollegin vollversch­leiert arbeiten möchten, könnte ver.di Hessen den Mut beweisen, diese rechtswidr­ige Regelung vor dem Arbeitsger­icht zu Fall zu bringen«, hofft eine Gewerkscha­fterin.

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