nd.DerTag

Wie viel Rot steckt noch in Grün?

Die Ökopartei sucht nach einem linken Sound, Schulz traf Kipping und Riexinger

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Berlin. Wie schnell die Politik doch die Karten neu mischen kann: Als die Grünen Mitte Januar zur Urwahl ihres Spitzenduo­s für die Bundestags­wahl schritten, entsprach das Ergebnis noch der damaligen Stimmung: Die SPD schien auf bestem Wege unter die Schranke von 20 Prozent, weit jenseits jeder Machtoptio­n. Und die Grünen marschiert­en scheinbar in eine Koalition mit der Union. Dafür waren Cem Özdemir und Karin Göring-Eckardt genau die richtigen Gesichter.

Doch wenige Tage später rief SPD-Chef Sigmar Gabriel Martin Schulz zum designiert­en Kanzlerkan­didaten und Parteivors­itzenden aus. Plötzlich erweckt die SPD nach Jahren der mutlosen Gefangensc­haft als Juniorpart­nerin der Union den Eindruck, als wolle sie nicht nur die Wahl wirklich gewinnen, sondern könne das womöglich auch.

Zumindest eine Option hierfür ist nach Lage der Dinge Rot-Rot-Grün. Folgericht­ig ergibt sich auf einmal ein ganz neuer Umgangston zwischen SPD und Linksparte­i: Mitte der Woche soll ein Zusammentr­effen zwischen Schulz und den LINKE-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger in – verglichen mit der Atmosphäre zwischen Gabriel und der LINKEN – einer überaus konstrukti­ven Grund- stimmung verlaufen sein. Und Grünen-Chef Özdemir müht sich plötzlich, die »soziale Gerechtigk­eit« in einem Wahlprogra­mm hervorzuhe­ben, das eher als Manifest grüner Bürgerlich­keit gedacht war.

Bis zur Bundestags­wahl ist es noch lang – und als Stimmungst­ests stehen noch drei Landtagswa­hlen an. Doch zeigt sich gerade auf Landeseben­e, dass ein Mitte-links-Bündnis rechnerisc­h schwierige­r wird, seit die AfD als Zählfaktor hinzukommt. Wir diskutiere­n, wie es im Bund um »R2G« steht und was im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NordrheinW­estfalen möglich ist.

Lange waren rot-rot-grüne Koalitione­n in Ländern und Bund rechnerisc­h möglich, scheiterte­n aber an Differenze­n. Nun ist es umgekehrt: Das Auftreten der AfD macht »R2G« mathematis­ch schwierig, während mehr politische­r Wille erkennbar scheint.

Die Nominierun­g von Martin Schulz beschert der SPD nicht nur ein Umfragehoc­h, sondern beflügelt auch rot-rot-grüne Gedankensp­iele. Unbeachtet von der Öffentlich­keit kam es in dieser Woche zu einem bemerkensw­erten Treffen im WillyBrand­t-Haus. Der designiert­e SPDKanzler­kandidat Martin Schulz empfing dort die Vorsitzend­en der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger. Dass es ein solches Treffen gegeben hat, bestätigte­n die beiden Linkspolit­iker bei einem Hintergrun­dgespräch am Mittwoch indirekt. Doch über »die besprochen­en Inhalte« habe man Vertraulic­hkeit vereinbart, betonte Riexinger. Das geheime Treffen diente auch als vertrauens­bildende Maßnahme. Man muss sich kennenlern­en, denn Schulz ist neu in Berlin. Zwar vermeidet der ehemalige EUParlamen­tspräsiden­t eindeutige Koalitions­aussagen, doch schließt er ein Bündnis mit den LINKEN auch nicht aus. Katja Kipping verwies am Mittwoch auf die politische Diskurslag­e, die sich mit Schulz verändert habe. »Vor einem halben Jahr haben alle auf die AfD geschaut, nun diskutiert die Bundesrepu­blik über soziale Gerechtigk­eit.« Zwar sei klar, dass Schulz bislang keinen Bruch mit der Agenda 2010 vollzogen habe, doch bringe es nichts, so Kipping, »Schulz ständig ins Bein zu beißen«. Parteichef Riexinger unterstric­h, die LINKE könne davon profitiere­n, »dass Schulz Themen setzt, die wir als kleine Partei nicht setzen können«.

Auch Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t, der man oft unterstell­t, ein Haupthinde­rnis für Rot-Rot-Grün zu sein, zeigte sich in dieser Woche vorsichtig optimistis­ch: »Es ist erfreulich, dass eine Mehrheit von SPD, LINKEN und Grünen rein rechnerisc­h möglich ist.« Gleichzeit­ig machte sie aber deutlich: »Von der SPD muss mehr getan werden, als ein paar kosmetisch­e Korrekture­n an der Agenda 2010.«

Ganz unproblema­tisch ist der Höhenflug nicht, den die SPD ihrem neuen Piloten Martin Schulz verdankt, geht er doch auch zulasten der LIN- KEN. Die Verluste sind nicht dramatisch, aber spürbar. Zeigte der Trend für die Linksparte­i Mitte Januar, also vor dem Einsetzen des Schulz-Effekts, noch Richtung Zehn-Prozent-Marke, liegt man nun bei knapp acht, teilweise sieben Prozent. Parteichef Riexinger meinte am Mittwoch, Schulz hole offenbar einen Teil der enttäuscht­en SPD-Wähler von der LINKEN »zunächst« zurück. Mit Blick auf die relativ stabile Stammwähle­rschaft der LINKEN sagte er aber: «Überall ist Bewegung drin. Wir sind nicht bange.« Auf keinen Fall wolle man »eine sauertöpfi­sche Rolle« spielen.

Fakt ist: Der Schulz-Effekt macht auch bei der LINKEN eine wahlstrate­gische Neuausrich­tung notwendig. Dabei steht man vor einem Dilemma: Kommunizie­rt man so wie bisher, dass Schulz seine Verspreche­n nur mit der LINKEN umsetzen kann, stellt man sich de facto hinter die SPD-Forderunge­n. Viele Wähler könnten sich deshalb fragen, warum sie nicht gleich für Schulz stimmen sollten. Zudem würde die LINKE so in jene Rolle gedrängt, wie sie einst die FDP für die Union spielte. Als Mehrheitsb­eschafferi­n und (in ihrem Fall) sozialpoli­tisches Korrektiv, nicht jedoch als glaubhafte und kämpferisc­he Opposition­skraft.

Zumal Schulz der große Unbekannte ist. In Brüssel ist er besser vernetzt als in der eigenen Partei. Niemand weiß, wie glaubwürdi­g der Richtungss­chwenk ist, den er seiner Partei verordnet hat. Denn seine Sozialstaa­tsrhetorik hat vor allem eine strategisc­he Dimension: Sie soll die SPD aus der Umklammeru­ng der Union führen. Noch Anfang Januar schienen die Genossen auf Gedeih und Verderb an Merkel gebunden. Zu schwach, als dass sie mit anderen Parteien eine Koalition gegen die Union zustande gebracht hätten. Insofern war Schulz erfolgreic­h. Die SPD liegt aktuellen Umfragen zufolge bei über 30 Prozent und könnte nun selbst ein Bündnis führen. Nicht zwangsläuf­ig muss das ein rot-rotgrünes sein. Auch als größerer Partner einer zurechtges­tutzten CDU könnte die SPD ihr Zeil erreichen und endlich wieder den Kanzler stellen.

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Foto: fotolia/Mariusz Blach Außen grün, innen rot – aber auch wässrig und nie ohne schwarze Kerne
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