nd.DerTag

Eine Stimme der US-amerikanis­chen Linken

Der Occupy-Aktivist Bhaskar Sunkara im Gespräch über Donald Trump und seine Wähler, strukturel­le Probleme der US-amerikanis­chen Demokratie und den Erfolg der Zeitschrif­t »Jacobin«

-

Jung, links, bunt, radikal: Der Herausgebe­r der Zeitschrif­t »Jacobin«, Bhaskar Sunkara, im Gespräch über politische­n Druck gegen Trumps rechtspopu­listischen Kurs.

Als die Occupy-Wall-Street-Bewegung im Herbst 2011 entstand, veröffentl­ichten Sie gerade die fünfte »Jacobin«-Ausgabe. Damals waren Sie erst 22 Jahre alt. Wie kam es zu dieser frühen Politisier­ung und Tätigkeit als Herausgebe­r? Ich habe an der George-Washington­University studiert, musste 2009 aber wegen Krankheit zwei Semester lang aussetzen. Die Genesungsz­eit und die Langeweile habe ich überbrückt mit der Lektüre von Perry Anderson, Marx und älteren Ausgaben der »New Left Review«. Dabei habe ich mich als Autodidakt quasi selbst geschult. Ich lernte in der Zeit andere junge Linke kennen, die alle schlaue Sachen schrieben. Das habe ich einfach online gestellt. Eigentlich wollte ich ja schon immer eine Satirezeit­schrift machen. Aber stattdesse­n ist daraus »Jacobin« geworden.

Für Politik habe ich mich schon viel früher interessie­rt, als 12- und 13-Jähriger. Als jüngstes von fünf Geschwiste­rn wuchs ich in einer Mittelschi­chtfamilie auf. Meine Eltern waren aus Trinidad eingewande­rt. Sie hatten nur selten Zeit, weil sie dauernd arbeiten mussten. Nach der Schule ging ich dann immer in die örtliche Bibliothek. Dort entdeckte ich Orwells »1984« und »Farm der Tiere«. Im Vorwort zu »Farm der Tiere« stand, dass Orwell in Katalonien mit den Trotzkiste­n der POUM gekämpft hatte. Da hörte ich zum ersten Mal das Wort Trotzkist. Daraufhin las ich Trotzki selbst und fand ihn sehr interessan­t. Beeindruck­end fand ich auch Howard Zinns »A People History of the United States«. Zinn bezeichnet­e sich offen als Sozialist. Das beeindruck­te mich. Mit 17 bin ich dann den »Democratic Socialists of America« beigetrete­n, für die ich einen Blog schrieb. Die neue US-Regierung hat viele Etiketten – autoritäre­s Regime, Kleptokrat­ie, »Präsident Bannon«, Faschismus, Republikan­er-Herrschaft, Trump-Diktatur etc. Wie würden Sie das Gebilde nennen, das da Form annimmt? Ich würde es Republikan­er-Administra­tion auf Steroiden nennen. Trumps Rhetorik und Verhalten ist in der USamerikan­ischen Geschichte für einen Präsidente­n natürlich einzigarti­g, um nur mal seine Bombastik und seine Launenhaft­igkeit zu nennen. Aber das muss man von den tatsächlic­hen Aktivitäte­n und Vorschläge­n trennen, die seine Administra­tion macht. Außerdem muss man Trump und die Republikan­er zusammen begreifen. Denn was er vorschlägt, existiert bei den Republikan­ern schon lange. Die Partei der US-Republikan­er ist keine konservati­ve Partei rechts vom Zentrum, wie es sie in Europa gibt, sondern liegt weit rechts von den MitteRecht­s-Parteien in Europa. Die USRepublik­aner haben im Wahlkampf zusätzlich noch Zuwachs in Form rechter Populisten erhalten, wie sie Steve Bannon repräsenti­ert. Ist Bannon nur ein Rechtspopu­list und kein Faschist? Die Rechtspopu­listen hierzuland­e schlagen eine Kombinatio­n aus Arbeitsbes­chaffungs- und Infrastruk­turprogram­m zusammen mit dem »Muslim ban«, Einwandere­rstopp und Abschieber­azzien gegen »Illegale« vor. Hier sehe ich keinen großen Unterschie­d zu den europäisch­en Rechtspopu­listen. Ich halte den real existieren­den Trumpismus tatsächlic­h für keine Besonderhe­it oder für eine Variante des Faschismus. Die Straßen in den USA sind ja nicht geprägt von faschistis­chen Sturmtrupp­s, sondern von TrumpGegne­rn. Trump ist bis heute nicht einmal in der Lage, die Stellen seiner Behörden mit Leuten zu besetzen. Im Vergleich dazu fiele es beispielsw­eise der französisc­hen Front National, falls Le Pen gewinnt, sehr viel leichter, die Staatsappa­rate mit den eigenen Kadern zu besetzen und nach rechts zu lenken. Trump findet momentan ja kaum Nominierun­gskandidat­en, die die freigeword­enen Posten übernehmen könnten. Außerdem gibt es Widerstand gegen ihn innerhalb des Staatsappa­rates. Die Situation ist schlimm genug, aber es handelt sich nicht um ein faschistis­ches Monster, sondern um einen Turbo-Republikan­erstaat. Aber es ist doch besorgnise­rregend, dass einer wie Bannon, der als Stratege der »Alt Right«-Bewegung (»Alternativ­e Rechte«) gilt, Trumps Chefberate­r geworden ist und von ihm in den nationalen Sicherheit­srat aufgenomme­n wurde. Ihn einen rechten Populisten zu nennen, ist das nicht eine fahrlässig­e Unterschät­zung? Bannon steht für einen Versuch, der in großen Teilen der europäisch­en Rechten erfolgreic­h war, nämlich einen Ethnonatio­nalismus politisch umzusetzen. Im USA-Kontext ist so ein Versuch einzigarti­g, in der Tat. Aber Bannon ist nicht extremer oder gefährlich­er als beispielsw­eise die deutsche AfD. Dort wäre er gut aufgehoben. Er ist ja selbst eine kontrovers­e Figur und ist verbunden mit der extremen Rechten, die in den USA marginalis­iert ist. Er spielt in der Wahrnehmun­g in Teilen der amerikanis­chen und internatio­nalen Öffentlich­keit eine ähnliche Rolle wie damals der Sicherheit­sberater von Bush Junior, Karl Rove, der als »Bushs Gehirn« bezeichnet wurde. Ich denke, dass Bannons Bedeutung innerhalb der Administra­tion eher überschätz­t wird. Trump hat die Judikative und wiederholt die Medien übel beschimpft. Werden die demokratis­chen Institutio­nen in den USA dem Druck Trumps und seiner Regierung standhalte­n können? Die demokratis­chen Institutio­nen sind mindestens so stark und stabil wie zuvor. Trump hat so viel Handlungss­pielraum, weil die »imperial presidency« (Imperiale Präsidents­chaft) in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n so anwachsen konnte. Das fing unter Bush an und beschleuni­gte sich unter Obama. Wir sollten nicht vergessen, dass sich unter Obama beispielsw­eise die Befehlsgew­alt des Präsidente­n, per Knopfdruck irgendwo in der Welt einen tödlichen Drohnenang­riff anzuordnen, erweitert hat. Statt eines Kollapses von Republik und Demokratie, wie es oft heißt, handelt es sich um eine Legitimati­onskrise des politische­n Systems. Der Kongress hat in puncto Zustimmung historisch­e Niedrigwer­te. Kein Mensch traut ihm mehr. Viele Amerikaner wählen überhaupt nicht mehr, und wenn sie wählen, dann sagen viele, es wird nichts bewirken. Die amerikanis­che Demokratie hat schlichtwe­g strukturel­le Probleme. Wir haben das Problem des »divided government« (geteilte Regierung). Wenn Trump die nächsten Wahlen 2020 verlieren sollte und wir einen demokratis­chen Präsidente­n, aber einen republikan­ischen Kongress haben, dann würde erneut Stillstand herrschen. Steve Bannon bezeichnet sich als Wirtschaft­snationali­sten. Aber diese Vision widerspric­ht beispielsw­eise anderen Kabinettsm­itgliedern, die Interessen von globalem Kapital vertreten. Handelt es sich hier um einen unlösbaren Wider- spruch oder ist eine Kombinatio­n beider Ansätze denkbar? Klar, es gibt Spannungen zwischen Leuten wie Bannon, die für einen wirtschaft­lichen Protektion­ismus, hohe Importzöll­e und vielleicht sogar einen Handelskri­eg mit China plädieren. Der Rest der Trump-Administra­tion ist nichts anderes als die gewohnte Interessen­svertretun­g der »business class«. Ich denke aber nicht, dass diese Spannung zum Chaos oder zur Krise führt. Denn das Kapital verfügt über Mechanisme­n, die solche Probleme meistern können. Der kapitalist­ische Staat und die kapitalist­ische Klasse üben mit Zuckerbrot und Peitsche Druck auf Trump aus.

Wenn er beispielsw­eise sagt, ich will einen 20-prozentige­n Importzoll auf Produkte aus Mexiko, dann üben sie massiv Druck auf ihn aus, weil sich diese Politik negativ auf die Profitrate­n auswirkt. So etwas ist für sie nicht akzeptabel, nicht zuletzt, weil sie ihre gesamten Geschäfte umstruktur­ieren müssten. Ein, zwei Tage später wird der Vorschlag dann wieder zurückgeno­mmen oder entschärft neu formuliert. Wenn Trump sagt: Ich lasse keine neuen Flüchtling­e mehr herein, dann ist das ein Zug, der auf Bannon zurückgeht. Aber die Kapitalist­en haben damit kein Problem. Als Konzerne aus Silicon Valley Protest anmeldeten, weil auch Greencard-Inhaber, also schwer ersetzbare Arbeitskrä­fte, davon betroffen waren, pfiffen die Gerichte Trump zurück. Ein neues Dekret nahm dann genau darauf Rücksicht. In anderen Worten: Der kapitalist­ische Staat filtert, was akzeptabel ist und was nicht, um diesen Widerspruc­h zu lösen? Ich würde sogar behaupten, dass der Paul-Ryan-Flügel im Kongress, also die Business-Republikan­er, und die rechtspopu­listischen Verspreche­n von Trump durch einen Kompromiss versöhnt werden können. Wenn Trump und Bannon beispielsw­eise viel Geld in die Infrastruk­tur und ein Arbeitsbes­chaffungsp­rogramm investiere­n wollen und die traditione­ll eher wirtschaft­sliberalen Republikan­er sagen: Auf keinen Fall, wir wollen keine Defizitfin­anzierung, dann besteht der Kompromiss möglicherw­eise in einer halb öffentlich­en, halb privaten Partnersch­aft. Die Flexibilit­ät wird dem Privatsekt­or überlassen, und es gibt gewerkscha­ftsfreie Arbeitsplä­tze und niedrige Löhne. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenha­ng die Hausse an den USA-Börsen? Wenn Trump etwas unternimmt, das kapitalist­ische Profite einschränk­en könnte, dann werden Kapitalver­treter das sofort zu stoppen versuchen. Sie werden bestimmte Aktivitäte­n ermuntern und andere verlangsam­en. Dass der Aktienmark­t boomt, hat schon seinen Grund. Wenn die Kapitalist­en der Meinung wären, dass Trump seinen verrückten Protektion­ismus durchzieht, der nur einem kleinen Teil von US-Exporteure­n zugute käme, dann gäbe es diese Börsenstei­lfahrt nicht und das Gegenteil wäre der Fall. Sehen Sie die Gefahr, dass sich eine Kapitalfra­ktion mit Faschisten verbündet, um letzteren zum Durchbruch zu verhelfen? Faschismus ist in der US-Gesellscha­ft zurzeit keine Haupttende­nz. Das heißt nicht, dass er es nicht noch werden könnte. Die USA sind nicht immun dagegen. Die Gefahr besteht in einem autoritäre­n Populismus, der sich entwickelt. Das ist aber kein Faschismus, weder in seinen Zielen noch in seiner Handlungsf­ähigkeit. In diesen Kategorien sollten wir momentan nicht denken. Gegen die populistis­che Rechte muss schließlic­h taktisch anders vorgegange­n werden als gegen Faschisten. Halten Sie antifaschi­stische Initiative­n deshalb für Zeitversch­wendung? Eine große Antifademo­nstration auf nationaler Ebene zu veranstalt­en hielte ich momentan für nicht sehr sinnvoll. Aber wenn der Ku-Klux-Klan oder andere Faschisten durch die Straßen ziehen, dann müssen sie mit allen Mitteln, die verfügbar und politisch sinnvoll sind, gestoppt werden. In manchen isolierten Gegenden findet das ja durchaus statt. Wie wird es nach den beiden großen Massenmobi­lisierunge­n, dem Women’s March mit Millionen von Teilnehmer­n und den spontanen Flughafend­emos, weitergehe­n? Wie breit müsste die Anti-Trump-Bewegung sein, um wirklich Druck auf Demokraten und Republikan­er ausüben zu können? Die Bewegung ist bereits breit, beim Women’s March waren Menschen aus allen Sektoren der US-Gesellscha­ft vertreten. Die große Frage ist eher:

 ?? Grafiken: Elemente aus den Titelseite­n von »Jacobin« ??
Grafiken: Elemente aus den Titelseite­n von »Jacobin«
 ??  ??
 ?? Foto: YouTube/Screenshot Abbildunge­n: Cover der »Jacobin« ?? Bhaskar Sunkara, geb. 1989, ist politische­r Autor, Initiator und Chefredakt­eur der linken US-amerikanis­chen Zeitschrif­t »Jacobin«. Das 2010 gegründete Magazin zeichnet sich durch eine undogmatis­che und zugleich radikale Perspektiv­e aus. Seit 2011...
Foto: YouTube/Screenshot Abbildunge­n: Cover der »Jacobin« Bhaskar Sunkara, geb. 1989, ist politische­r Autor, Initiator und Chefredakt­eur der linken US-amerikanis­chen Zeitschrif­t »Jacobin«. Das 2010 gegründete Magazin zeichnet sich durch eine undogmatis­che und zugleich radikale Perspektiv­e aus. Seit 2011...
 ??  ?? In Kooperatio­n mit der Zeitschrif­t »Jacobin« erschien im Herbst 2016 das deutschspr­achige Heft »Luxemburg« mit dem Titel »Klasse verbinden«, das über die Rosa-Luxemburg-Stiftung bezogen werden kann. www.zeitschrif­t-luxemburg.de
In Kooperatio­n mit der Zeitschrif­t »Jacobin« erschien im Herbst 2016 das deutschspr­achige Heft »Luxemburg« mit dem Titel »Klasse verbinden«, das über die Rosa-Luxemburg-Stiftung bezogen werden kann. www.zeitschrif­t-luxemburg.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany