Effektiver Dialog Russland-Türkei
Putin lobt Zusammenarbeit mit Erdogan im syrischen Konflikt
Moskau. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Zusammenarbeit mit der Türkei im Syrienkrieg als effektiv gelobt. Einen so vertrauensvollen Dialog Russlands mit der Türkei zu Syrien habe niemand zuvor erwartet, sagte er bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Freitag in Moskau.
Russland und die Türkei hatten Ende Dezember eine Waffenruhe in dem Bürgerkriegsland vermittelt, in dessen Konflikt viele Staaten militärisch eingreifen. Zudem fanden auf ihre Initiative hin in Kasachstan Gespräche zwischen Regierungs- und Oppositionsvertretern statt.
Putin und Erdogan betonten russischen Agenturen zufolge, dass sich die noch vor wenigen Monaten zerrütteten Beziehungen ihrer Länder schnell wieder verbessert hätten. Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch türkisches Militär 2015 hatte zum Zerwürfnis geführt. Seit Sommer 2016 stehen die Zeichen aber wieder auf Entspannung und Zusammenarbeit.
Der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel macht aus seiner Wertschätzung für Willy Brandt kein Geheimnis. Jetzt kann er als Außenminister selbst Ostpolitik gestalten und besucht zum Amtsantritt Nachbarn. Ins Zentrum der russischen Hauptstadt schafft man es mit Blaulicht und im Pressebus einer Ministerkolonne am späten Mittwochabend vom Flughafen Wnukowo 2 in einer halben Stunde. Zurück ohne Blaulicht dauert es am Donnerstagabend deutlich länger. Der Zeitplan ist ohnehin ins Rutschen geraten. Der Antrittsbesuch des deutschen Außenministers
»Die Welt wird objektiv post-westlich.«
Sergej Lawrow
»Für mich ist ›westlich‹ keine geographische Markierung, sondern eine politische.«
Sigmar Gabriel
»Ich meine damit Westeuropa, die USA, Australien, Neuseeland, also den historischen Westen, der bereits seit Jahrzehnten die erste Geige bei internationalen Angelegenheiten spielte.«
Sergej Lawrow Sigmar Gabriel bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin beginnt später und dauert mit fast zwei Sunden länger als vorgesehen.
»Sigmar Gabriel versucht den russisch-deutschen Dialog zu retten«, titelt in ihrer Freitagsausgabe etwas dramatisch die »Nesawissimaja Gaseta«. Ungeachtet – oder gerade angesichts – aller Probleme ist ein Defizit an Austausch nicht zu erkennen. »Wir sind uns alle des derzeitigen Zustands unserer Beziehungen bewusst«, wird Präsident Putin später zitiert. »Unsere gemeinsame Aufgabe besteht darin, die Beziehungen vollständig zu normalisieren und die Schwierigkeiten zu überwinden, auf die wir stoßen.«
Aus Gabriels Delegation verlautet, das Gespräch sei angenehm, gut und konstruktiv gewesen. Die Einschätzung sollte mehr sein als eine diplomatische Floskel. Das dürfte auch für die Einladungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den künftigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier nach Moskau gelten.
Etwas Frühling herrscht schon an diesem 9. März in Moskau. Am Zugang zum Roten Platz lungern zwei Stalins und ein etwas gezauster Lenin auf touristische Kundschaft fürs gemeinsame Bild der Erinnerung. Zwischen Kreml, Basiliuskathedrale und GUM flanieren Besucher. Am legendären Kaufhaus hat ein Café Stühle draußen. Einige Pärchen sitzen dort unter einem mit roten Pappherzen geschmückten Kunstbaum.
Am Gästehaus des russischen Außenministers mitten in einem Moskauer Nobelviertel hingegen liegt noch Restschnee. Hier will der deutsche Abgesandte sondieren, »wie wir wieder zu einem Abrüstungsprozess in Europa kommen«. Mehrfach äußert er auf der Reise Berlin-Warschau-Moskau seine Sorge, es könne eine neue Aufrüstungsspirale in Europa in Gang kommen. Immer wieder wirbt er um Verständnis für die Interessenlage des anderen: »Was ist da eigentlich beim Gegenüber los?« Auch auf russischer und deutscher Seite seien viele Stereotypen zu überwinden, beider Verhältnis sei wichtig für Europa. Russland und Europa hätten eine gemeinsame Verantwortung für Frieden und Stabilität. »Wir brauchen dringend eine neue Initiative für Frieden und Sicherheit.«
Auf einer überfüllten Pressekonferenz nach den Gesprächen mit Lawrow bekräftigt Gabriel: »Wir brauchen die Kooperation mit Russland. »Das sehen auch die Amerikaner so.« Das wenigstens ist ein kleiner Fingerzeig. Denn Moskau habe vom deutschen Außenminister etwas über die neue Administration des Donald Trump erfahren wollen, meinen russische Kollegen. Doch da dürfte der Kreml leer ausgegangen sein. Wie in Washington die Richtungs- und sonstigen Kämpfe ausgehen, kann auch Berlin nicht wissen. Auf Eis liegen bleiben werden strategische Entscheidungen und Versuche zur Lösung wichtiger Probleme.
Davon werden einige den Medienvertretern kontrovers und sogar im Meinungsstreit präsentiert, wenn auch der Ton freundlich bleibt. So gratuliert Gabriel, erst seit ein paar Wochen deutscher Chefdiplomat, dem Amtskollegen zum 13. Dienstjubiläum als Außenminister. »Insofern bist Du mir überlegen«, räumt er ein. In Lawrows markantes diplomatisches Nichtgesicht, um das ihn jeder Pokerspieler beneiden dürfte, stielt sich erst ein Lächeln, dann nickt er. Beides kann irgendwie alles bedeuten.
Vorhaltungen des deutschen Kollegen weist Lawrow zurück. Nicht sein Land bedrohe die östlichen NATO-Mitglieder mit militärischer Übermacht. »Da haben wir eine andere Statistik.« Russland selbst werde »von NATO-Waffen, von NATOEinheiten umzingelt«, sagte der Außenminister. Das sei alles nicht gegen Russland gerichtet, heiße es. Doch »Bodentruppen kommen an unsere Grenze, auch deutsche«. Er verweist auf den »Staatsstreich eines Teils der nationalistischen ukrainischen Elite« und die Tatenlosigkeit der Garantiemächte des Kompromisses mit dem damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch, darunter die Bundesrepublik. Sie hätten »nicht einmal mit Kritik reagiert – das war ein Zeichen«. Heute übe sich Kiew in Kriegsrhetorik und die »Blockade des Donbass durch nazistische Bataillone« sei nicht hinnehmbar.
Gabriel seinerseits erklärt mit Blick auf die Übernahme der Krim, bei allem Respekt vor Moskauer Sorgen sei »die Verletzung von Grenzen in der Mitte Europas etwas, das wir nicht akzeptieren können«. In der Ukraine werde der Waffenstillstand trotz der Zusagen aller Seiten nicht eingehalten. Lawrows Kritik an der Blockade ergänzt er mit dem Hinweis auf Enteignung von Betrieben durch Separatisten. Die zentrale Voraussetzung für eine Konfliktlösung sei der Wille beider Seiten, die Vereinbarung von Minsk einzuhalten. Aber Gabriel klagt: »Nicht einmal Minimalstandards werden erfüllt.« Einig ist man sich, die OSZE-Mission zu stärken: »Sagt Lawrow, sagt Kiew. Also werden wir uns daran machen.«
Dann noch etwas wie großes Kino, Meinungsaustausch oder offener Streit? Als Russlands Außenminister auf das Ende der westlich dominierten Weltordnung verweist, mag das Sigmar dem »lieben Sergej« ungeachtet aller frischen diplomatischen Weihen nicht unwidersprochen lassen. Der soeben beschworenen »postwestlichen multipolaren Welt« setzt er die Versicherung entgegen, dass er alles tun wolle, dass »die Idee des Westens an universellen Werten von Menschenrechten, von Freiheit, Demokratie nicht posthum wird«. Lawrow präzisiert, er habe sich nicht auf den geographischen, sondern den historischen Westen bezogen. Die westlichen Partner lancierten auch Werte, die nicht von allen geteilt würden.
Einträchtige Partner sind beide Minister am Schluss. Auf die Frage nach Vorwürfen deutscher Medien, Russland könne sich in deutsche Angelegenheiten hacken, stellt Gabriel klar: »Die Regierung erhebt solche Vorwürfe nicht, und nur für die spreche ich.« Sein Amtskollege sekundiert heiter: »Ich denke, das ist richtig.«
In Warschau hat Minister Gabriel am Vorabend nachdrücklich geworben, gemeinsam ein starkes Europa zusammenzuhalten. Nur dann werde es in Washington, Peking und Moskau ernst genommen. Das sei Sache der kleinen und mittelgroßer Länder wie Polen und Deutschland.
Der Antrittsbesuch beim polnischen Amtskollegen Witold Waszczykowski findet im prachtvollen Łazienki-Palast statt, der nach dem Warschauer Aufstand 1944 von der Wehrmacht zerstört worden war. Der deutsche Minister betrachtet es heute trotz aller Schwierigkeiten als »ein großes Geschenk, in diesem Europa zusammenleben zu dürfen«. Beim Flug mit einer Bundeswehrmaschine von Warschau nach Krakow habe er empfunden: »Nichts ist selbstverständlich!« Das muss auch für den Regierungs-Airbus der Bundesluftwaffe gelten, der Donnerstagabend nach nicht einmal 36 Stunden Ostpolitik im Schnelldurchgang aus Moskau zur Rückkehr nach Berlin abhebt.