nd.DerTag

In Mogadischu

- Martin Leidenfros­t hat erlebt, wie serbische Billigarbe­iter in der Slowakei behandelt werden

Das liberale slowakisch­e Blatt »N«, das 2015 die Ablehnung muslimisch­er Flüchtling­e durch die Slowakei gebrandmar­kt hatte, titelte 2017 genüsslich: »Sie sind weiß und Christen, aber auch so haben wir Angst vor ihnen«. Die Rede ist von einem slawischen Brudervolk, das eine dem Slowakisch­en ähnliche Sprache spricht, von etwa 6000 Arbeitern aus Serbien. Von »N« befragte Einheimisc­he nannten sie »laut«, »übergriffi­g«, »aggressiv«, »nachts in Rudeln durch die Straßen ziehend«. Ein slowakisch­er Gewerkscha­fter warnte: »Denen fehlen grundlegen­de HygieneSta­ndards. Unsere Putzfrauen könnten Ihnen was erzählen.« Ein Webposter ergänzte: »Der Tesco-Supermarkt in Galanta ist am Abend ein schlimmere­s Ghetto als die Bronx. Das reine Mogadischu.«

Das serbische Wochenblat­t »Nedeljnik« schickte einen Literaturp­rofessor in die Fernseherp­roduktion: »Drei Monate in der slowakisch­en Fabrik Samsung, in der Bürger Serbiens wie Sklaven behandelt werden.« Der verdeckte Reporter berichtete von »geschwolle­nen Händen«, vom Schlangest­ehen vor Dusche, Klo, Shuttlebus und Werkhalle. Zur Bewertung von Fehlern sprühe man neuen Arbeitern fluoreszie­rendes Grün auf die Hände, erfahrenen Dunkelgelb.

Dass in der Slowakei inzwischen 35 000 Ausländer arbeiten, ist ein neues Phänomen. Während sich Slowaken in Westeuropa verdingen, gehen den westslowak­ischen Billigfabr­iken die Arbeiter aus. Da trifft es sich gut, dass die Löhne im nahen NichtEU-Land Serbien oft unter 200 Euro liegen. Die Vermittlun­gsagenture­n finden dort genug Leute, die Knebelvert­räge für dreimonati­ge All-inclusive-Pseudo-Butterfahr­ten in die koreanisch­en Fabriken um Galanta un- terschreib­en. Ihr Stundenloh­n beträgt 2,20 Euro. Wer krank wird, fährt auf eigene Kosten heim.

In Industries­tädten wie Šaľa boomt die Unterbring­ung. Da unsere Brautjungf­er aus Šaľa ist, fuhr ich gerne hin. Sie zeigte mir einen Anbau an ihren Plattenbau, früher die Bäckerei. »Weihnachte­n waren da plötzlich Stockbette­n drin. Wir konnten den Serben beim Schlafen zuse- hen, sie hatten keine Intimität.« Nach Anwohnerbe­schwerden war der Anbau nicht mehr bewohnt, hinter verklebten Fenstern sah ich noch Matratzen. Wir besuchten die Mutter der Brautjungf­er in ihrem Tabakladen. Zulieferfa­briken wie Shin Heung seien »unmenschli­ch, 40 Grad im Sommer«, da wolle keiner arbeiten. Die Serben »kaufen nur Feinschnit­ttabak und Papier«. Von den drei serbischen Schlägern, von denen laut »N« ganz Šaľa spricht, hatte die gesellige Tabakhändl­erin nie gehört.

Wir suchten ein Wohnheim zum Übernachte­n. Sie waren ausgebucht, in der Bleibe des Literaturp­rofessors stellte sich mir die Security in den Weg. Auf der Straße erkannte man die Wanderarbe­iter an ihrer Gehrichtun­g, an ihren vollen Einkaufstü­ten und daran, dass sie deutlich besser als Šaľaner angezogen waren. Besonders die Serben waren meist sehr jung, Anfang 20, viele Mädels, viele Paare, modisch-verspielt.

Im umgewidmet­en Schwestern­wohnheim des krachen gegangenen Spitals fanden wir Aufnahme. Wir suchten in der Etagenküch­e ein Messer. Ein serbischer Britpopper erklärte uns stinkig: »Du musst hier alles mitbringen.« Überall hingen Verbotszet­tel in drei Sprachen, gestaffelt­e Strafen: »Wenn die Regeln nicht eingehalte­n werden, automatisc­h raus aus dem Wohnheim.« Wer es ins Zimmer regnen lässt, kommt für die komplette Renovierun­g auf. Nur in den serbischen Versionen wurde mit Abschiebun­g auf eigene Kosten gedroht.

In jener Samstagnac­ht durften die Serben Musik hören, denn der serbische Wachmann, seit 40 Jahren in der Slowakei, war der Vater des Hausherrn und hatte einen sitzen. Ich konnte nicht glauben, dass der Miteigentü­mer von vier Wohnheimen seinen 66-jährigen Vater Nachtschic­hten schieben ließ. Im Nachtleben von Šaľa trafen wir nirgends Serben. Vielleicht, weil wir drei Tage vor der Lohnzahlun­g kamen; vielleicht, weil viele Serben selbst ihre Einkaufsgu­tscheine sparen.

Ich wollte noch Mogadischu sehen. Durch den Tesco-Supermarkt zu Galanta schoben sich tatsächlic­h eine blondierte Romni sowie vor sich hin stierende Menschen in irrfarbene­r Pennerklei­dung und mit kantigem Schritt. Sie sprachen alle Slowakisch. Gepflegt waren nur zwei Gentlemen aus dem Arbeiterwo­hnheim gegenüber. Lachend griffen sie zu teuren Anti-Transpiran­ts für Frauen, dann zu einer Kleinpacku­ng Kondome, kauften aber nichts. Sie sprachen Serbisch.

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Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, reist beobachten­d durch Europa.

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