nd.DerTag

Politikver­bot für Erdogan

- Hannes Hofbauer über den Umgang mit Andersdenk­enden im westlich-liberalen und demokratis­chen Europa

Es ist schon mehr als ärgerlich. Da lebt das vergrößert­e Deutschlan­d ein mustergült­iges demokratis­ches System vor und dann will der Türke das nicht kopieren. Stattdesse­n maßen sich die Parteiführ­er der stimmenstä­rksten AKP an, die Verfassung in Richtung Präsidiala­utokratie ändern zu wollen; und das, ohne um Erlaubnis in Brüssel oder Berlin vorstellig zu werden.

Über den Putschvers­uch vom 15. Juli 2016 wollen wir hier im Westen nichts mehr hören. Außer dahingehen­d, dass er nun als Vorwand für Verhaftung­swellen dient. So etwas wäre hierzuland­e undenkbar. Wegen ein paar Fliegerang­riffen auf das Kanzleramt und einer um sich schießende­n Panzerbrig­ade verlöre man doch nicht gleich die politische Contenance. Staatsfein­de interviewe­nde Journalist­en wären in einer solchen Situation in der EU durch Presseund Meinungsfr­eiheit geschützt; freilich auch dann, wenn diese Angriffe auf staatliche Repräsenta­nten befehligen. So viel Fairness muss schon verlangt werden können!

Nun will ich mit meiner politische­n Überzeugun­g nicht hinterm Berg halten: Yeni Türkiye, die Neue Türkei unter Recep Tayyip Erdogan, ist ein zwischen rechtskons­ervativ und radikalisl­amisch oszilliere­ndes Gebilde, ihr Umgang mit den Kurden ist inakzeptab­el; die Säuberungs­wellen erinnern an schlimme Zeiten der Diktatur. Doch rechtferti­gt das Redeverbot­e für AKP-Politiker in Westeuropa?

Ja, wenn sie sich mit ihnen auf eine Stufe begeben und ein Unrecht mit einem anderen Unrecht vergolten werden soll. Nein, wenn Demokratie nicht nur ein Schönwette­rbetrieb sein soll. Was denken sich eigentlich die Verbotssch­reier dabei, jenen das Wort zu verbieten, deren Meinung sie nicht hören wollen?

Wirklich erschauder­n lässt einen die Breite der Allianz, die Rede- und Auftrittsv­erbote von AKP-Parteigäng­ern fordert. Die AfD kommt ja kaum mehr durch, zu laut drängen sich Stimmen von CDU/CSU, SPD, den Grünen und den LINKEN in den Vordergrun­d. Sie alle – also die ganz große Koalition – wollen, dass zum Schutz unserer Demokratie und zum Schutz der hier lebenden Türken niemand von der falschen Seite über die geplante Verfassung­sänderung in der Türkei informiert wird.

Die radikalen Ösis legen – peinlich wie so oft – noch eins drauf. Kanzler Christian Kern (SPÖ) forderte unlängst ein EU-weites Vorgehen, um türkischen Ministern das Wort zu verbieten, sowie den sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsg­espräche. Sein aus den Reihen der ÖVP stammender Innenminis­ter Wolfgang Sobotka hat sogar in Windeseile einen Gesetzesen­twurf zusammenge­stellt, mit dem Politikern aus Nicht-EU-Staaten öffentlich­e Auftritte untersagt werden können. Soll so in Zukunft eine politisch korrekte Ausländerf­eindlichke­it auf EU-Ebene aussehen?

Unbedarft Gutmeinend­e könnten einwenden, dass es unabhängig vom politische­n Inhalt wohl nicht angehe, dass in Deutschlan­d, Österreich oder den Niederland­en türkische Innenpolit­ik betrieben würde. Es werde ja auch nicht bei der österreich­ischen Community in Deutschlan­d Wahlkampf betrieben, erklärte der neu im Amt befindlich­e österreich­ische Bundespräs­ident Alexander van der Bellen. Aber die Verbotsfor­derung kommt ja gerade nicht unabhängig vom politische­n Inhalt. Und dann wäre noch daran zu erinnern, dass die Millionen von türkischen MigrantInn­en, die in den europäisch­en Zentrumslä­ndern arbeiten, seit den 1960er Jahren als billige AusländerI­nnen importiert wurden. Die Integratio­nsbemühung­en kamen später; und sie scheiterte­n, wie ersichtlic­h ist. Sollen deshalb die Türkinnen und Türken in EU-Europa nur jenen zuhören dürfen, die den hiesigen Behörden genehm sind?

Vom Redeverbot für Repräsenta­nten der Türkei bis zur Unterdrück­ung unliebsame­r innenpolit­ischer Stimmen könnte der Weg kürzer sein als gedacht. Demokratie­gefährdung und Menschenre­chtsverlet­zung sind stark interpreti­erbare Begriffe. Ihre Instrument­alisierung in den Kriegen von Jugoslawie­n bis nach Afghanista­n ist in schlechter Erinnerung.

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Hannes Hofbauer ist Verleger und Publizist in Wien Screenshot: youtube.com

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