Politikverbot für Erdogan
Es ist schon mehr als ärgerlich. Da lebt das vergrößerte Deutschland ein mustergültiges demokratisches System vor und dann will der Türke das nicht kopieren. Stattdessen maßen sich die Parteiführer der stimmenstärksten AKP an, die Verfassung in Richtung Präsidialautokratie ändern zu wollen; und das, ohne um Erlaubnis in Brüssel oder Berlin vorstellig zu werden.
Über den Putschversuch vom 15. Juli 2016 wollen wir hier im Westen nichts mehr hören. Außer dahingehend, dass er nun als Vorwand für Verhaftungswellen dient. So etwas wäre hierzulande undenkbar. Wegen ein paar Fliegerangriffen auf das Kanzleramt und einer um sich schießenden Panzerbrigade verlöre man doch nicht gleich die politische Contenance. Staatsfeinde interviewende Journalisten wären in einer solchen Situation in der EU durch Presseund Meinungsfreiheit geschützt; freilich auch dann, wenn diese Angriffe auf staatliche Repräsentanten befehligen. So viel Fairness muss schon verlangt werden können!
Nun will ich mit meiner politischen Überzeugung nicht hinterm Berg halten: Yeni Türkiye, die Neue Türkei unter Recep Tayyip Erdogan, ist ein zwischen rechtskonservativ und radikalislamisch oszillierendes Gebilde, ihr Umgang mit den Kurden ist inakzeptabel; die Säuberungswellen erinnern an schlimme Zeiten der Diktatur. Doch rechtfertigt das Redeverbote für AKP-Politiker in Westeuropa?
Ja, wenn sie sich mit ihnen auf eine Stufe begeben und ein Unrecht mit einem anderen Unrecht vergolten werden soll. Nein, wenn Demokratie nicht nur ein Schönwetterbetrieb sein soll. Was denken sich eigentlich die Verbotsschreier dabei, jenen das Wort zu verbieten, deren Meinung sie nicht hören wollen?
Wirklich erschaudern lässt einen die Breite der Allianz, die Rede- und Auftrittsverbote von AKP-Parteigängern fordert. Die AfD kommt ja kaum mehr durch, zu laut drängen sich Stimmen von CDU/CSU, SPD, den Grünen und den LINKEN in den Vordergrund. Sie alle – also die ganz große Koalition – wollen, dass zum Schutz unserer Demokratie und zum Schutz der hier lebenden Türken niemand von der falschen Seite über die geplante Verfassungsänderung in der Türkei informiert wird.
Die radikalen Ösis legen – peinlich wie so oft – noch eins drauf. Kanzler Christian Kern (SPÖ) forderte unlängst ein EU-weites Vorgehen, um türkischen Ministern das Wort zu verbieten, sowie den sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche. Sein aus den Reihen der ÖVP stammender Innenminister Wolfgang Sobotka hat sogar in Windeseile einen Gesetzesentwurf zusammengestellt, mit dem Politikern aus Nicht-EU-Staaten öffentliche Auftritte untersagt werden können. Soll so in Zukunft eine politisch korrekte Ausländerfeindlichkeit auf EU-Ebene aussehen?
Unbedarft Gutmeinende könnten einwenden, dass es unabhängig vom politischen Inhalt wohl nicht angehe, dass in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden türkische Innenpolitik betrieben würde. Es werde ja auch nicht bei der österreichischen Community in Deutschland Wahlkampf betrieben, erklärte der neu im Amt befindliche österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen. Aber die Verbotsforderung kommt ja gerade nicht unabhängig vom politischen Inhalt. Und dann wäre noch daran zu erinnern, dass die Millionen von türkischen MigrantInnen, die in den europäischen Zentrumsländern arbeiten, seit den 1960er Jahren als billige AusländerInnen importiert wurden. Die Integrationsbemühungen kamen später; und sie scheiterten, wie ersichtlich ist. Sollen deshalb die Türkinnen und Türken in EU-Europa nur jenen zuhören dürfen, die den hiesigen Behörden genehm sind?
Vom Redeverbot für Repräsentanten der Türkei bis zur Unterdrückung unliebsamer innenpolitischer Stimmen könnte der Weg kürzer sein als gedacht. Demokratiegefährdung und Menschenrechtsverletzung sind stark interpretierbare Begriffe. Ihre Instrumentalisierung in den Kriegen von Jugoslawien bis nach Afghanistan ist in schlechter Erinnerung.