Polens peinliche Posse auf dem EU-Gipfel
Ministerpräsidentin Szydlo boykottiert Erklärung / Dämpfer für Merkels »Europa der zwei Geschwindigkeiten«
Einige EU-Mitgliedsstaaten interpretieren den Vorschlag Merkels von einer EU mit zwei Geschwindigkeiten als »neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West«. Natürlich war Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo nach dem gescheiterten Erpressungsversuch ihres Landes auf dem EU-Gipfel nicht zufrieden. Mit aller Macht hatte sie gedroht: Wenn ihr Landsmann Donald Tusk von den 27 anderen Staats- und Regierungschefs für weitere zweieinhalb Jahre im Amt des EU-Ratspräsidenten bestätigt werden sollte, würde sie im Namen Polens alle folgenden Gipfelbeschlüsse blockieren. So eine Drohung hatte es noch nie gegeben, der Eklat war zum Greifen nah.
Doch dann umschiffte der EUGipfel die drohende Klippe Polen un- erwartet elegant. Zunächst wählten die 27 Tusk einfach wieder – nur Szydlo stimmte nicht für ihn. Und dann ließ der dadurch gestärkte Tusk seine Landsfrau mit ihrer Drohung gleichsam ins Leere laufen. Nachdem der offizielle Gipfel am vorgerückten Donnerstagabend zu Ende gegangen war, veröffentlichte Tusk kurz nach Mitternacht die Schlussfolgerungen. Doch da diese Schlussfolgerungen nicht im Namen des Gipfels veröffentlicht werden konnten, weil dafür die Zustimmung Polens tatsächlich ausgeblieben war, veröffentlichte Tusk die Beschlüsse einfach im Namen des Ratspräsidenten. Mit der Vorbemerkung, dass das Folgende von 27 Mitgliedstaaten befürwortet werde. Konsens unter allen Gipfelteilnehmern habe nicht erreicht werden können, aus Gründen, die nichts mit den Beschlüssen zu tun hätten.
Unterdessen hatte Szydlo auf der polnischen Pressekonferenz heftig geschimpft. »Wie kann es sein, dass 27 europäische Staats- und Regierungschefs nicht auf die Argumente eines Mitgliedstaats hören wollen, der berechtigte Gründe gegen einen Kandidaten für einen Posten hat«, fragte sie. »Warum respektieren wir uns nicht gegenseitig und hören aufeinander«, so Szydlo weiter. Und dann kamen noch Anschuldigungen, die sich unausgesprochen gegen Deutschland richteten. Der EU-Rat diene nur den Interessen einer kleinen Zahl von Staaten. Sie, Szydlo, habe andere Länderchefs daran erinnert, dass sie überrollt werden könnten.
Und damit war die Ministerpräsidentin wieder bei dem Thema, das ihrer nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) so lieb und teuer ist: Polen als das ewige Opfer der Mächtigen in Europa, als Spielball der übermächtigen Nachbarn Deutschland – jetzt unter dem Deckmantel der EU – und Russland. Kein Funke von Selbstzweifel, dass ihr eigenes Vorgehen nicht wirklich viel mit genau dem Respekt und Hören auf Andere zu tun hatte, das sie von ihren EU-Kollegen forderte. Selbst die Tatsache, dass die über die Visegrád-Gruppe mit Polen verbundenen Länderchefs von Tschechien, Slowakei und Ungarn Tusk ohne Probleme wählten, änderte nichts an Szydlos Sicht der Dinge.
Unter diesen Voraussetzungen schien das informelle Gipfeltreffen am Freitag ohne die Britin Theresa May unter schlechten Vorzeichen zu starten. Dort sollte es um die Zukunft Europas gehen. Inhaltliche Weichen für die Erklärung von Rom am 25. März sollten gefunden werden, mit der die EU ihre dann 60 Jahre alt werdende Gründungsakte feiern will. Schon im Vorfeld gab es unterschiedliche Posi- tionen. Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien halten viel von der Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten, die Visegrád-Gruppe ist dagegen. Aus Angst, zu einer EU zweiter Klasse zu werden.
Sehr konstruktiv seien die Gespräche verlaufen, sagte am Freitag Tusk. Das mag auch daran gelegen haben, dass Deutschlands Vorstellungen einen Dämpfer erhalten hatten. Denn anscheinend war die Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten auf wenig Gegenliebe gestoßen. Auch Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigten sich skeptisch, ob das ein guter Weg für die EU sein könnte. Einige Länder interpretierten den Vorschlag als Trennlinie und »neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West«, sagte Juncker. Was letztlich in der Erklärung von Rom geschrieben sein wird, darf mit Spannung erwartet werden.