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Die letzte Runde

Der NSU-Ausschuss im Bundestag schloss die Beweisaufn­ahme

- Von René Heilig

Mit der Befragung des obersten NSUAnklage­vertreters schloss der zuständige Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s am Donnerstag seine Beweisaufn­ahme ab. Anfang Juni soll ein Bericht vorliegen. Herbert Diemer ist seit 1988 beim Generalbun­desanwalt beim Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe. Im November 2011, kurz nachdem die rechtsextr­eme Terrorgrup­pe »Nationalso­zialistisc­her Untergrund« (NSU) aufgefloge­n war, übernahm Diemer die Ermittlung­en und vertritt seit Mai 2013 die Anklage gegen die NSU-Terroristi­n Beate Zschäpe und vier mutmaßlich­e Unterstütz­er der Mörderband­e.

Es ist also durchaus logisch, Diemer am Schluss der Beweisaufn­ahme im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s um seine Expertise zu bitten, zumal seine Behörde nicht nur gegen die in München Angeklagte­n ermittelt hat und – wie Diemer sagte – weiter ermittelt. Man hat weitere »acht oder neun Beschuldig­te« im Visier und bearbeitet ein Verfahren gegen Unbekannt, um weiteren Mitglieder­n des NSU auf die Spur zu kommen. Dass dies geschieht, ist so sicher wie die Existenz des Osterhasen.

Der Ausschuss konfrontie­rte den Zeugen mit zahlreiche­n offenen Fragen. Schlüssige Antworten bekamen die Abgeordnet­en nicht, denn Diemers Auftritt entsprach dem eines Staatsanwa­ltes am »Amtsgerich­t Hintermwal­d« vor der Pensionier­ung. Laut Diemer und seiner Anklagesch­rift bestand der NSU nur aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Böhnhardt und Mundlos ermordeten zehn Menschen, begingen 15 Überfälle und drei Bombenansc­hläge. Zschäpe garantiert­e eine bürgerlich­e Fassade der Untergrund­kämpfer. Mittäter? Gab es nicht, sagt Diemer. Sein wichtigste­r Beweis: Die Bekenner-DVD. Dass darauf behauptet wird »Wir sind ein Netzwerk von Kameraden...«, stört den Scheuklapp­en-Chefankläg­er nicht.

Diemer ist ein erfahrener Staatsanwa­lt. Dass der 63-Jährige am Ende seiner Karriere nicht vor Scham in den Erdboden versinkt ob der höchst mangelhaft­en Ermittlung­sarbeiten, muss einen Grund haben. Man darf, nein, man muss spekuliere­n. Nur mit wenig Fantasie kann man sich eine übergeordn­ete Eindämmstr­ategie vorstellen. Bereits im Februar 2012 konfrontie­rten Zschäpes Anwälte den Bundesgeri­chtshof mit einem Haftprüfun­gsantrag. Der wurde abgelehnt, doch die Justizbehö­rde bedeutete Diemer, nun fix anzuklagen. Der verstand den Wink und eilte sich.

Seltsam. In Deutschlan­d ist eine UHaft auf sechs Monate begrenzt, es sei denn, die Schwere der Tat und der Umfang der Untersuchu­ngen rechtferti­gen eine Fortdauer. Zschäpe saß damals gerade einmal drei Monate. Ob er lieber weiter ermittelt hätte? Der Zeuge Diemer geriet ins Schlingern. Deswegen habe man ja ein Verfahren gegen Unbekannt eröffnet, sagt er. Das läuft seit fünf Jahren – es gibt nicht eine einzige Anklage. Der Zeuge Diemer bestätigte am Donnerstag, dass seine Behörden die Ermittlung­en an sich gezogen hat, die in Geheimdien­stbereiche gingen. Das hätte für den Ausschuss Anlass genug sein müssen, um den Zeugen härter anzufassen: Mit wem wurde wann was besprochen? Wer klärte Streitfrag­en? Doch: Die Luft ist raus, der Ausschuss agiert ohne Biss. Die Abgeordnet­en ließen es dem Zeugen Diemer sogar durchgehen, dass er der Obfrau der Linksfrakt­ion, Petra Pau, eine »pathologis­che« Sicht auf dieses Thema vorwarf.

Wie wichtig aber ernsthafte Ermittlung­en bleiben, zeigte sich aber- mals an diesem Donnerstag. Am Rande spielte der ehemalige V-Mann »Primus« alias Ralf Marschner eine Rolle. Nicht Diemer, nicht das Bundeskrim­inalamt sondern Journalist­en hatten aufgedeckt, dass dieser »Primus« in seiner Zwickauer Abrissfirm­a möglicherw­eise Uwe Mundlos beschäftig­t hat und Beate Zschäpe zumindest Kundin in einem seiner Klamottenl­äden gewesen ist. Dichter dran konnte man kaum sein am untergetau­chten Terror-Trio. Doch die beiden polizeilic­hen Befragunge­n des vom Bundesamt für Verfassung­sschutz bezahlten und beschirmte­n VSpitzels, der sich in die Schweiz abgesetzt hat, konnten nicht zurückhalt­ender sein. Der aber war ganz und gar nicht zurückhalt­end. Noch im Jahr 2011 schrieb Marschner auf Facebook: »Heil NSU«.

Nun wollte der Ausschuss selbst die richtigen Fragen stellen und dazu in die Schweiz fahren. Doch – oh Wunder – die Eidgenosse­n lehnten ab. Deren Botschaft ist in Rufweite des Kanzleramt­es, doch von dort kam offenbar keine Unterstütz­ung für die Parlamenta­rier. Lieber betrügt die Regierung die Abgeordnet­en weiter bei der Aktenliefe­rung. Beispiel. Im Umfeld von NSU-Unterstütz­ern agierte auch der dubiose Brandenbur­ger V-Mann »Piatto« alias Carsten Szczepansk­i. Dass er Waffen für den NSU besorgen sollte, geht aus einer SMS hervor, die Jan Werner, ein Chemnitzer Unterstütz­er des Trios, im August 1998 an »Piatto« schickte. Das Landeskrim­inalamt in Thüringen hat Werner damals abgehört und alle SMS fortlaufen­d nummeriert. Es waren rund 2500. Doch ausgerechn­et in dem fraglichen Zeitraum, nachdem Werner gefragt hatte »Was ist mit dem Bums?«, sind 114 Kurznachri­chten nicht mehr auffindbar. Dass da eine Lücke klafft, ist Diemer und seinen »NSU-Umfeldermi­ttlern« nicht aufgefalle­n. Wie so vieles nicht.

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Foto: ddp images/Timur Emek

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