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Langsamer Ausstieg

Japans Atomindust­rie liegt am Boden, ob sie noch mal aufstehen kann, ist ungewiss

- Von Felix Lill

Sechs Jahre nach der Atomkatast­rophe von Fukushima ist die Energiebra­nche in Japan offiziell kuriert. Tatsächlic­h wackelt sie gewaltig, weil überall die Kosten steigen. Seit Jahren strecken jeden Freitag Demonstran­ten vorm Büro des Premiermin­isters Shinzo Abe Schilder in die Luft: »Lebe wohl, Kernkraft!«, »Gegen das Atom!«, »Abe raus!« Dass in Japan dennoch weiterhin auf diese Weise Strom generiert wird, könnte als die ultimative Niederlage des Volkes gelten, schließlic­h stellt sich seit der Atomkatast­rophe von Fukushima mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g gegen die Kernkraft. Und dennoch wirkt auch der vermeintli­che Sieger – die japanische Atomindust­rie – ziemlich niedergesc­hlagen: Da ist ein mit Steuermitt­eln am Leben gehaltener Stromverso­rger, ein aufs Abstellgle­is manövriert­er Forschungs­reaktor, und ein Reaktorbau­er, der öffentlich über einen Rückzug nachdenkt. Es könnte rosiger aussehen für Japans doch so mächtige Atombranch­e.

Sechs Jahre sind vergangen, seit am 11. März 2011 vor Japans Nordostküs­te zuerst die Erde mit der Stärke von 9,0 auf der Richterska­la bebte und dann bis zu gut 20 Meter hohe Wellen über das Ufer hereinbrac­hen. Knapp 20 000 Menschen starben, 300 000 mussten an den Tagen und Wochen danach evakuiert werden. Denn durch Erdbeben und Tsunami havarierte in der Präfektur Fukushima das Atomkraftw­erk Fukushima Daiichi. In drei der sechs Reaktoren fand eine Kernschmel­ze statt, in einem vierten wäre dasselbe passiert, hätte er sich nicht gerade in der Wartung befunden. Es ist die größte Natur- und Technologi­ekatastrop­he, die Japan je erlebte. Und weil das volle Ausmaß noch immer nicht bekannt ist, sagen viele, dass das Unglück längst nicht überstande­n ist.

Auf den Schrecken und die Orientieru­ngslosigke­it, die die Katastroph­e in der Gesellscha­ft verursacht­e, antwortete die eineinhalb Jahre später neugewählt­e Regierung zunächst mit Gewissheit­en: Premiermin­ister Abe und seine rechtskons­ervative Liberaldem­okratische Partei versprache­n neues Wirtschaft­swachstum durch hohe Staatsausg­aben, lockere Geldpoliti­k, Strukturre­formen – und billige Energie in Form von Atomkraft. Angesichts des Schadens, den diese in einer ganzen Region angerichte­t hatte, war das keine beliebte Botschaft. Abe aber, der ansonsten nicht selten zu populistis­chen Haltungen neigt, blieb hart: Die Kernkraft sei alternativ­los.

Aus kurz- und mittelfris­tiger Perspektiv­e schien das sogar Sinn zu ergeben: Nachdem die Demokratis­che Partei vor ihrer Wahlnieder­lage Ende 2012 alle 54 Atomreakto­ren vom Netz genommen hatte, musste das Land plötzlich ein Viertel seines Energiemix­es importiere­n. Größtentei­ls kauften die Stromverso­rger Flüssiggas aus dem Mittleren Osten, so dass die Strompreis­e in die Höhe schossen und Japan in ein Handelsdef­izit rutschte. Zudem war eine Prämisse der Wachstumsp­olitik von Abe, die neue Investitio­nen provoziere­n und dadurch einen positiven Effekt auf das Lohnniveau hervorrufe­n sollte, möglichst billiger Treibstoff. Und da Japan die Förderung erneuerbar­er Energien über Jahrzehnte vernachläs­sigt hatte, war dies auf die Schnelle nur mit den schon vorhandene­n Atomreakto­ren machbar.

Im Sommer 2015 fuhr im Südwesten des Landes der erste Reaktor wieder hoch, mittlerwei­le befinden sich mehrere im Prüfverfah­ren der Aufsichtsb­ehörden, um wieder Kernspaltu­ngen vornehmen zu dürfen. Es ist sogar ein neues Kraftwerk in Bau, das zwar schon vor der Katastroph­e begonnen, dann aber auf Eis gelegt worden war. So sieht es zunächst nach einem Sieg des gut vernetzten »Atomaren Dorfs« aus, wie in Japan die Allianz aus überwiegen­d konservati­ven Politikeli­ten sowie Atomprofit­euren aus Wirtschaft und Wissenscha­ft genannt wird. »Das ›Atomare Dorf‹ ist zu groß zum Scheitern« und sei finanziell und politisch zu gut vernetzt, urteilte Jeff Kingston, Politikpro­fessor an der renommiert­en Temple Universitä­t in Tokio, noch im Sommer 2014.

Und doch mehren sich die Zeichen, dass die Atomenergi­e in Japan, wenn nicht am Ende, dann doch zumindest am Boden ist. Dabei geht es nicht nur um Tepco, den größten Stromverso­rger des Landes und Be- treiber des havarierte­n Atomkraftw­erks Fukushima Daiichi, der nur durch Steuermitt­el und eine Verstaatli­chung künstlich am Leben gehalten werden konnte. Der Multikonze­rn Toshiba, einer der größten Reaktorbau­er der Welt, der auch die Hälfte der in Japan stehenden Blöcke errichtet hat, musste zuletzt Abschreibu­ngen von sechs Milliarden US-Dollar vornehmen. Der Grund war die Atombranch­e, die für Toshiba ein Drittel der Umsätze ausmacht, sich zuletzt aber als teurer als erhofft herausstel­lte. Nun wird in der Chefetage über einen Atomaussti­eg nachgedach­t.

Und Ende des Jahres beschloss die Regierung auch, den prestigere­ichen Forschungs­reaktor Monju auszurangi­eren. Als der Schnelle Brüter vor 22 Jahren an der Westküste ans Netz ging, sollte er den Weg in die Zukunft weisen, letztlich sollte durch effiziente­n Umgang mit atomaren Ab- fallproduk­ten ein geschlosse­ner nuklearen Brennstoff­kreislauf gelingen. Aber der Reaktor machte immer wieder Probleme, hat die Steuerzahl­er bis jetzt rund neun Milliarden Euro gekostet. Zwar will Japan in Kooperatio­n mit Frankreich weiter an der Idee forschen. Aber das Vorhaben ist wackliger als je zuvor. Hinzu kommt die maximale Laufzeit von Atomreakto­ren, die 40 Jahre beträgt. Wenn also nicht laufend neu gebaut oder aufgerüste­t wird, ist die Atomkraft irgendwann automatisc­h ein Ding der Vergangenh­eit.

»Angesichts der aktuellen Stimmung ist es wohl schwierig, noch neue Reaktoren zu bauen«, sagte Nobuo Tanaka, ehemaliger Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur in Paris, vor einem guten Jahr. Die Stimmung hat sich nicht groß geändert. So könnte es sein, dass Japan doch einen Rückzug aus der Atomkraft vollzieht. Langsam, leise, aber vielleicht sicher.

 ?? Foto: AFP/Jiji Press ?? Wohin steuert Japans Atomindust­rie? Schalttafe­l im AKW Takahama, Präfektur Fukui
Foto: AFP/Jiji Press Wohin steuert Japans Atomindust­rie? Schalttafe­l im AKW Takahama, Präfektur Fukui

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