Die Unberührbare
Unterhaltsame Jammer-Literatur: Ronja von Rönnes Kolumnensammlung »Heute ist leider schlecht«
Der Jammerer ist ein Mensch, der es sich wirklich nicht leicht macht mit der Welt. Er könnte sich dem Eskapismus hingeben und einfach alles, was ihn stört, wegsaufen, aus Verzweiflung Hedonist oder Zyniker werden, aber dann würde ja dieses Vergnügen aufhören, alles infrage stellen zu dürfen, und immer gleichzeitig auch Teil des ganzen Elends zu sein. Wer jammert, will nicht, dass die Welt sich ändert. Leben nach dem Motto: Vom Zugucken geht die Welt zugrunde, aber wenigstens sieht es von hier sehr schön aus. Der Jammerer ist kein unglücklicher Mensch, dieses Missverständnis muss gleich zu Beginn aus dem Weg geräumt werden. Der Jammerer ist nur ein vom Leben Enttäuschter. Großartige Nörgler wie Sven Regener oder Sibylle Berg sind immer auch unterhaltsam. Die Autorin und Bloggerin Ronja von Rönne würde auch gerne eine gute Jammerautorin sein. Eigentlich ist sie dafür viel zu jung. Denn auch das gehört dazu: Man muss als guter Jammerer einiges von der Welt begriffen haben. Zu jung? Rönne würde widersprechen, so was behaupten nur Berufsfeuilletonnisten über 50.
Das Jammern hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine unglaubliche Metamorphose durchgemacht. Jammerer fristeten lange ein trauriges Nischendasein, weil es vor allem als größtes Talent der Ostdeutschen galt. Außenseiter sind zeitgenössische Jammerer längst nicht mehr. Jammern ist schick, gesellschaftlich hoch angesehen und vor allem als Sujet für die (Pop)-Literatur unerschöpflich. Ein Feld, auf dem man sich sprachlich und analytisch exponieren kann, ohne als bemitleidenswert, weil faul und passiv, zu gelten. Wer auf hohem Niveau jammern kann, wird Feuilletonist bei der »Welt«, gilt als Sprachrohr für irgendeine X-, Y-, ZGeneration, bekommt von angesehenen Verlagen Vorschüsse für neue Jammerbücher.
Rönne ist aktuell die angesagteste Nörglerin. In der kürzlich erschienenen Kolumnensammlung »Heute ist leider schlecht«, in der bereits veröffentlichte Texte aus der »Welt« und ihrem Blog »Sudelheft« noch mal abgedruckt sind, wird schon im Einband klar, wen der Verlag als stilprägend installieren will. Das Buch habe den »typischen Rönne-Sound«, heißt es. Anfangs klingt der zunächst so tranig wie das, was unten rauskommt, würde man eine Packung Schmelzkäse durch einen Trichter drücken: »Man darf vor den Dingen, vor denen man Angst hat, keine Angst haben.« Oder: »Zeit ist die kostbarste Ressource, über die wir verfügen.«
Weil Rönne Kolumnen über Panikattacken wegen Mahngebühren, Galerieeröffnungen und Unproduktivität schreibt, gilt sie als Sprachrohr ihrer Generation. Sie gibt zu, und das macht sie sympathisch (obwohl das alles nur gespielt sein kann, was sie gleich wieder unsympathisch macht), dass sie kein Sprachrohr sein will. Sie sagt, sie glaube sich die meiste Zeit noch nicht einmal selbst. Komplizierte Welt, einfache Ausreden. »RönneSound«. Koketterie, bei der nie sicher ist, ob der Menschenhass nun Rolle oder Haltung ist. Zwischenzeitlich steigt beim Lesen der Drang auf, besser mal wieder was von Thomas Bernhard zur Hand zu nehmen, dann ersparte man sich die Larmoyanz und könnte gleich die toxische Dosis nehmen. Aber Rönne ist clever. Auf eine totsterbensuninteressante Kolumne, die sich eineinhalb Seiten damit beschäftigt, dass alte Freunde treffen an Weihnachten eigentlich Zeitverschwendung ist, folgt ein böses Textchen, überschrieben mit den Worten »Conni hat Aids«. Ein garstiger Faustschlag in die Magengrube aller grundlos Heiteren – und deshalb ein fürchterlicher Spaß.
Der Ton ist immer ein Hassen vom Bett aus, einen Schreibtisch haben Menschen wie Rönne nicht, oder er dient nur als Ablagefläche für Aschenbecher und getrocknete Blumen in Retrovasen. Die Texte sind hochneurotisch und ich-bezogen. Dabei nervt Rönne so gut wie alles, was einen Großstädter in den Wahnsinn treibt: Ikea, AfD-Demos, T-Shirts mit Aufdruck, Kunst und das Berliner Café St. Oberholz am Rosenthaler Platz, wo es mehr Laptops als Menschen gibt. So weit, so langweilig, da kommt das Buch mindestens zwei Jahre zu spät, um noch originell zu sein. Aber auch für Abseitigeres hat sie ein Auge. Rönne fährt für uns zur Bundesgartenschau und über einen Tag in der Galeria Kaufhof schreibt sie einen schönen Memento-Mori-Text: »Mitarbeiterinnen schneiden routiniert Schinken auf, das tun sie schon seit vielen Jahren, Staub fällt von ihren Fingern auf das Fleisch.« Die Sprache ist ihr großer Trost, dabei sehr präzise, patzig und immer kurz davor, eingeschnappt das Zimmer zu verlassen. Unweigerlich muss man an den frühen Stuckrad-Barre denken, an dessen Beobachtungsgabe, gepaart mit einer abgrundtiefen Bösartigkeit, Rönne aber nicht heranreicht, dafür sind zu viele ihrer Texte zu harmlos.
Der »Rönne-Sound«, das wird nun immer deutlicher, ist das unbeteiligte Rumstehen auf einem Jahrmarkt. Teenies necken sich beim Autoscooterfahren. Sie selbst steht daneben und beobachtet, wie ihr der Ketchup von der Bratwurst langsam in den Ärmel rinnt. Rönne, ob sie das nun inszeniert oder nicht, gefällt sich als interesselose Außenseiterin. In einer Zeit, in der zwanghaft das Gute vom Schlechten getrennt wird und sich die meisten auf die Gabe, beides unterscheiden zu können, etwas einbilden, ist das sehr wohltuend.
Rönne, 1992 geboren, ist Teil der Watte-Generation, die mit dem Gewissen aufgewachsen ist, dass niemand etwas von ihnen verlangt, so- lange sie beim System Effizienz mitmachen. Und Rönne sagt nein – ein bisschen. Dabei schreibt sie Sätze, die sich auch sehr gut auf den in Kneipen ausliegenden Gratispostkarten machen würden. Über vielfach verhöhnte Beauty-Blogger schreibt sie: »Noch nie ist ein Krieg ausgebrochen, weil jemand erklärt hat, dass man Wimperntusche am besten in Zickzack-Bewegungen aufträgt.« Auf das dünne Eis, zu harten Themen Position zu beziehen, begibt sie sich nicht, denkt aber, weil sie das thematisiert, sei sie fein raus. Ist ja auch charmant, diese Ehrlichkeit. Und wenn sie mal eine Debatte lostritt, (»Warum mich der Feminismus anekelt«, »Welt« vom 8.4. 2015) zieht sie schnell wieder den Kopf ein: Sorry, Leute, ich hab nachgedacht, war nicht so gemeint. Im Uneigentlichen ist es ja auch recht bequem.
Bis auf wenige Ausnahmen wurden fast alle Artikel und Rezensionen, die über Ronja von Rönne und ihren Debütroman »Wir kommen« geschrieben wurden, von Männern mittleren Alters verfasst. Wahlweise werden darin ihre »niedlichen, großen Schneidezähne« (Moritz von Uslar) oder ihr unfassbar sexy Schmollmund (Georg Diez) gelobt. Das wiederum hat diese talentierte, zerstreute Jammerin wirklich nicht verdient. Ronja von Rönne: Heute ist leider schlecht: Beschwerden ans Leben, S. Fischer, 208 S., br., 12,99 €.