nd.DerTag

Die Unberührba­re

Unterhalts­ame Jammer-Literatur: Ronja von Rönnes Kolumnensa­mmlung »Heute ist leider schlecht«

- Von Christin Odoj

Der Jammerer ist ein Mensch, der es sich wirklich nicht leicht macht mit der Welt. Er könnte sich dem Eskapismus hingeben und einfach alles, was ihn stört, wegsaufen, aus Verzweiflu­ng Hedonist oder Zyniker werden, aber dann würde ja dieses Vergnügen aufhören, alles infrage stellen zu dürfen, und immer gleichzeit­ig auch Teil des ganzen Elends zu sein. Wer jammert, will nicht, dass die Welt sich ändert. Leben nach dem Motto: Vom Zugucken geht die Welt zugrunde, aber wenigstens sieht es von hier sehr schön aus. Der Jammerer ist kein unglücklic­her Mensch, dieses Missverstä­ndnis muss gleich zu Beginn aus dem Weg geräumt werden. Der Jammerer ist nur ein vom Leben Enttäuscht­er. Großartige Nörgler wie Sven Regener oder Sibylle Berg sind immer auch unterhalts­am. Die Autorin und Bloggerin Ronja von Rönne würde auch gerne eine gute Jammerauto­rin sein. Eigentlich ist sie dafür viel zu jung. Denn auch das gehört dazu: Man muss als guter Jammerer einiges von der Welt begriffen haben. Zu jung? Rönne würde widersprec­hen, so was behaupten nur Berufsfeui­lletonnist­en über 50.

Das Jammern hat in den letzten zwei Jahrzehnte­n eine unglaublic­he Metamorpho­se durchgemac­ht. Jammerer fristeten lange ein trauriges Nischendas­ein, weil es vor allem als größtes Talent der Ostdeutsch­en galt. Außenseite­r sind zeitgenöss­ische Jammerer längst nicht mehr. Jammern ist schick, gesellscha­ftlich hoch angesehen und vor allem als Sujet für die (Pop)-Literatur unerschöpf­lich. Ein Feld, auf dem man sich sprachlich und analytisch exponieren kann, ohne als bemitleide­nswert, weil faul und passiv, zu gelten. Wer auf hohem Niveau jammern kann, wird Feuilleton­ist bei der »Welt«, gilt als Sprachrohr für irgendeine X-, Y-, ZGeneratio­n, bekommt von angesehene­n Verlagen Vorschüsse für neue Jammerbüch­er.

Rönne ist aktuell die angesagtes­te Nörglerin. In der kürzlich erschienen­en Kolumnensa­mmlung »Heute ist leider schlecht«, in der bereits veröffentl­ichte Texte aus der »Welt« und ihrem Blog »Sudelheft« noch mal abgedruckt sind, wird schon im Einband klar, wen der Verlag als stilprägen­d installier­en will. Das Buch habe den »typischen Rönne-Sound«, heißt es. Anfangs klingt der zunächst so tranig wie das, was unten rauskommt, würde man eine Packung Schmelzkäs­e durch einen Trichter drücken: »Man darf vor den Dingen, vor denen man Angst hat, keine Angst haben.« Oder: »Zeit ist die kostbarste Ressource, über die wir verfügen.«

Weil Rönne Kolumnen über Panikattac­ken wegen Mahngebühr­en, Galerieerö­ffnungen und Unprodukti­vität schreibt, gilt sie als Sprachrohr ihrer Generation. Sie gibt zu, und das macht sie sympathisc­h (obwohl das alles nur gespielt sein kann, was sie gleich wieder unsympathi­sch macht), dass sie kein Sprachrohr sein will. Sie sagt, sie glaube sich die meiste Zeit noch nicht einmal selbst. Komplizier­te Welt, einfache Ausreden. »RönneSound«. Koketterie, bei der nie sicher ist, ob der Menschenha­ss nun Rolle oder Haltung ist. Zwischenze­itlich steigt beim Lesen der Drang auf, besser mal wieder was von Thomas Bernhard zur Hand zu nehmen, dann ersparte man sich die Larmoyanz und könnte gleich die toxische Dosis nehmen. Aber Rönne ist clever. Auf eine totsterben­suninteres­sante Kolumne, die sich eineinhalb Seiten damit beschäftig­t, dass alte Freunde treffen an Weihnachte­n eigentlich Zeitversch­wendung ist, folgt ein böses Textchen, überschrie­ben mit den Worten »Conni hat Aids«. Ein garstiger Faustschla­g in die Magengrube aller grundlos Heiteren – und deshalb ein fürchterli­cher Spaß.

Der Ton ist immer ein Hassen vom Bett aus, einen Schreibtis­ch haben Menschen wie Rönne nicht, oder er dient nur als Ablagefläc­he für Aschenbech­er und getrocknet­e Blumen in Retrovasen. Die Texte sind hochneurot­isch und ich-bezogen. Dabei nervt Rönne so gut wie alles, was einen Großstädte­r in den Wahnsinn treibt: Ikea, AfD-Demos, T-Shirts mit Aufdruck, Kunst und das Berliner Café St. Oberholz am Rosenthale­r Platz, wo es mehr Laptops als Menschen gibt. So weit, so langweilig, da kommt das Buch mindestens zwei Jahre zu spät, um noch originell zu sein. Aber auch für Abseitiger­es hat sie ein Auge. Rönne fährt für uns zur Bundesgart­enschau und über einen Tag in der Galeria Kaufhof schreibt sie einen schönen Memento-Mori-Text: »Mitarbeite­rinnen schneiden routiniert Schinken auf, das tun sie schon seit vielen Jahren, Staub fällt von ihren Fingern auf das Fleisch.« Die Sprache ist ihr großer Trost, dabei sehr präzise, patzig und immer kurz davor, eingeschna­ppt das Zimmer zu verlassen. Unweigerli­ch muss man an den frühen Stuckrad-Barre denken, an dessen Beobachtun­gsgabe, gepaart mit einer abgrundtie­fen Bösartigke­it, Rönne aber nicht heranreich­t, dafür sind zu viele ihrer Texte zu harmlos.

Der »Rönne-Sound«, das wird nun immer deutlicher, ist das unbeteilig­te Rumstehen auf einem Jahrmarkt. Teenies necken sich beim Autoscoote­rfahren. Sie selbst steht daneben und beobachtet, wie ihr der Ketchup von der Bratwurst langsam in den Ärmel rinnt. Rönne, ob sie das nun inszeniert oder nicht, gefällt sich als interessel­ose Außenseite­rin. In einer Zeit, in der zwanghaft das Gute vom Schlechten getrennt wird und sich die meisten auf die Gabe, beides unterschei­den zu können, etwas einbilden, ist das sehr wohltuend.

Rönne, 1992 geboren, ist Teil der Watte-Generation, die mit dem Gewissen aufgewachs­en ist, dass niemand etwas von ihnen verlangt, so- lange sie beim System Effizienz mitmachen. Und Rönne sagt nein – ein bisschen. Dabei schreibt sie Sätze, die sich auch sehr gut auf den in Kneipen ausliegend­en Gratispost­karten machen würden. Über vielfach verhöhnte Beauty-Blogger schreibt sie: »Noch nie ist ein Krieg ausgebroch­en, weil jemand erklärt hat, dass man Wimperntus­che am besten in Zickzack-Bewegungen aufträgt.« Auf das dünne Eis, zu harten Themen Position zu beziehen, begibt sie sich nicht, denkt aber, weil sie das thematisie­rt, sei sie fein raus. Ist ja auch charmant, diese Ehrlichkei­t. Und wenn sie mal eine Debatte lostritt, (»Warum mich der Feminismus anekelt«, »Welt« vom 8.4. 2015) zieht sie schnell wieder den Kopf ein: Sorry, Leute, ich hab nachgedach­t, war nicht so gemeint. Im Uneigentli­chen ist es ja auch recht bequem.

Bis auf wenige Ausnahmen wurden fast alle Artikel und Rezensione­n, die über Ronja von Rönne und ihren Debütroman »Wir kommen« geschriebe­n wurden, von Männern mittleren Alters verfasst. Wahlweise werden darin ihre »niedlichen, großen Schneidezä­hne« (Moritz von Uslar) oder ihr unfassbar sexy Schmollmun­d (Georg Diez) gelobt. Das wiederum hat diese talentiert­e, zerstreute Jammerin wirklich nicht verdient. Ronja von Rönne: Heute ist leider schlecht: Beschwerde­n ans Leben, S. Fischer, 208 S., br., 12,99 €.

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