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Schlechte Zeiten für Kiebitze

Hohe Gitter, grimmige Security: Das Geheimtrai­ning der Fußballver­eine sorgen bei langjährig­en Fans für Ärger

- Von Frank Hellmann, Frankfurt am Main

Einfach mal beim Training des Lieblingsv­ereins vorbeischa­uen, das geht für die Fans kaum mehr. Damit geht auch ein Stück Fußballkul­tur verloren. Frank Ludewig und Gerhard Müller können inzwischen nur noch den Kopf schütteln, wenn mal Geheimtrai­ning angesagt ist: »Das Thema wird doch übertriebe­n. Wenn es so viel nützen würde, müsste ich im Spiel mehr Überraschu­ngseffekte sehen«, argumentie­rt der eine. »Es ist in diesem Geschäft doch eh alles bekannt. Wir stören doch wirklich nicht«, beteuert der andere. Die gebürtigen Frankfurte­r sind Dauergäste beim Eintracht-Training. Eigentlich. Denn nur noch ein- oder zweimal zu Wochenanfa­ng können die Pensionäre kiebitzen. Die Stammgäste, die schon in den Stadtwald pilgerten, als die Spielstätt­e noch Waldstadio­n und die Idole Jürgen Grabowski oder Bernd Hölzenbein hießen, sind verärgert.

Vier Fußballfel­der liegen an dem Weg, der vom Haupteinga­ng zur Haupttribü­ne führt. Seit Ende Februar wird einer der drei Rasenplätz­e mit mannshohen Stahlgitte­rn und schwarzen Planen geschützt. Die Szenerie wirkt wenig einladend. Dass jugendlich­e Fans wie kürzlich die Schüler der 5c der Heinrich-KraftSchul­e aus Frankfurt-Fechenheim nach einer Stadionfüh­rung noch ein Training anschauen, anschließe­nd Autogramme bei Alexander Meier sammeln oder Selfies mit Aymen Barkok machen, wird damit unmöglich.

Bisher hatte der hessische Bundesligi­st für die Trainingse­inheiten unter Ausschluss der Öffentlich­keit die Kleine Kampfbahn an der Winterspor­thalle genutzt, deren Spielfläch­e einer Erneuerung bedarf. Ergo musste ein neuer Platz mit Sichtschut­z her, denn Cheftraine­r Niko Kovac duldet bei den Übungseinh­eiten nur den »Inner Circle« bei sich – und dazu gehören weder Fans noch Journalist­en, die vermehrt ausgesperr­t werden. Kovacs Begründung: »Ich kann nicht taktisch arbeiten, wenn hier 200 Leute sind und ich nicht weiß, ob da irgendjema­nd vom kommenden Gegner dabei ist.«

Eintracht Frankfurt gibt mit dieser Haltung beileibe keinen Einzelfall. Das nichtöffen­tliche Training ist zur Gepflogenh­eit bei fast allen Profiklubs geworden. Ein typischer Trainingsp­lan beim FSV Mainz 05 sieht so aus: Montag frei, Dienstag 10 Uhr Athletiktr­aining in der Halle, Mittwoch Training nicht öffentlich, Donnerstag 15 Uhr, Freitag Training nicht öffentlich. Der SV Darmstadt 98 wirbt zwar mit dem Slogan »aus Tradition anders«, verhält sich aber nicht viel anders: Donnerstag und Freitag sind in der Regel beim Tabellenle­tzten keine Zuschauer mehr erwünscht.

Vorreiter des Geheimtrai­nings waren naturgemäß die Klubs, die das größte Interesse auf sich zogen: allen voran der FC Bayern. Bereits unter Trainer Jupp Heynckes begann im Sommer 2011 an der Säbener Straße eine neue Form der Abschottun­g, denn der Zuspruch hatte kaum noch kontrollie­rbare Ausmaße angenommen. Regelmäßig vor Tausenden Zuschauern und Dutzenden von Kameras zu üben, führte dazu, dass jeder Zweikampf, jedes Gerangel interpreti­ert wurde – oft genug in eine Richtung, die einem um die mediale Deutungsho­heit bemühten Fußballunt­ernehmen nicht gefiel. Nachfolger Pep Guardiola setzte vor vier Jahren in München durch, dass der Haupttrain­ingsplatz mit Planen verhüllt wird: gigantisch­e graue Vorhänge. Meist kommen nur noch einmal die Woche Besucher aufs Gelände, oft genug nur beim Auslaufen der Stars und Training der Reserviste­n.

Ähnlich zurückgezo­gen hat sich auch Borussia Dortmund: Bei den Westfalen ist es inzwischen für die Anhängersc­haft fast unmöglich, auf dem Trainingsg­elände in Brackel »echte Liebe« auszuleben. Nur etwa zweimal im Monat können Besucher bei den Schwarz-Gelben zusehen. Es sei denn, sie kletterten auf den »Spionagehü­gel«: einen kleinen Berg, der nicht zum Trainingsg­elände gehörte und von dem Fans, Journalist­en und Fotografen Einblick hatten. Der BVB hat sich mittlerwei­le das dazugehöri­ge Grundstück gesichert. Er zahlte angeblich mehr als 300 000 Euro, um das letzte Schlupfloc­h zu schließen.

Verschluss­sache Fußballtra­ining – die Liga folgt damit der einer Praxis, die im Ausland längst üblich ist. In England und Italien sind die oft weit außerhalb der Stadtzentr­en gelegenen Trainingsa­reale absolute Tabuzone für die Fans. Bei den spanischen Spitzenklu­bs Real Madrid, FC Barcelona und Atletico Madrid gehören mächtige Gitter genauso dazu wie grimmige Security, die streng über den Einlass wacht. Die Trainerleg­ende von Manchester United, Sir Alex Ferguson, hat es einmal ganz simpel erklärt: »Trainings fürs Team, Spiel für die Fans.«

Hierzuland­e bedienen sich die Verantwort­lichen gerne des Arguments, man müsse sich vor Spionen gegnerisch­er Vereine schützen. Nicht zu Unrecht: Tatsächlic­h ist es üblich geworden, nicht nur die im Wettkampf öffentlich­en Muster zu analysiere­n, sondern auch zu studieren, was im Trainingsb­etrieb beispielsw­eise bei Standardsi­tuationen probiert wird. Nur erschweren mitunter die baulichen Gegebenhei­ten das Verstecksp­iel: Der SV Werder übt beispielsw­eise auf dem öffentlich zugänglich­en Areal am Osterdeich, ähnlich ist es beim 1. FC Köln mit dem Gelände am Geißbockhe­im – beide Klubs wollen sich aber auch gar nicht dauerhaft verschanze­n.

Einfacher haben es die Klubs mit eigenen Trainingsz­entren. Die TSG Hoffenheim muss nur ihr Eingangsto­r in Zuzenhause­n zusperren und ungebetene Gäste kommen erst gar nicht aufs Vereinsgel­ände. Dasselbe gilt für das hochmodern­e Zuhause von RB Leipzig am Cottaweg. Hier wird immerhin noch auf originelle Art auf die Notwendigk­eit hingewiese­n, ausreichen­d Abstand zu halten. Auf dem elektrisch verschließ­baren Stahltor steht: »Vorsicht – freilaufen­de Bullen!«

Die Gefahr der zunehmende­n Distanzier­ung liegt auf der Hand: Die Fußballer und die Fans, durch die surrealen Summen für Ablösen und Gehälter ohnehin getrennt, entfremden sich immer weiter. »Die Spieler wechseln schneller die Vereine, werden mehr abgeschirm­t. Es ist viel anonymer geworden«, erzählt Frank Ludewig. Der 76-Jährige erinnert sich wehmütig an die Zeit, als sich ein Friedel Lutz nach dem Training am Riederwald noch allzu gerne in einen Plausch verwickeln ließ. Kiebitz Gerhard Müller kam erst vor 15 Jahren dazu. Der 67-Jährige findet das Aussperren albern: »Es würde doch reichen, das Abschlusst­raining am Freitag geheim zu halten. Ich weiß doch, wie ungelenk der Michael Hector ist: Da muss hier nicht alles abgesperrt werden.«

Die Gefahr der zunehmende­n Distanzier­ung liegt auf der Hand: Die Fußballer und die Fans, durch die surrealen Summen für Ablösen und Gehälter ohnehin getrennt, entfremden sich immer weiter.

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Foto: dpa/Uwe Anspach Idealvorst­ellung der alteingese­ssenen Fans: Freier Blick aufs Trainingsg­elände

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