Sieben Tage, sieben Nächte
Auf dem Nachhauseweg möchte auch der nd-Redakteur seine Ruhe haben. Er will ungestört hinüberdämmern vom Dienstlichen ins Private. Das ist ein legitimes Anliegen, das er aber selbst sabotiert, wenn er dabei, in der S-Bahn sitzend, im »neuen deutschland« blättert.
Ich betrachtete also diese und jene Seite, als sich ein Bürger gegenüber setzte, ein älterer, drahtiger Mann. Er sah die Zeitung, verdrehte den Oberkörper und legte den Kopf schräg, um etwas entziffern zu können. Ich wollte ihm schon den Feuilletonteil anbieten, da richtete er das Wort an mich: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
Der Mann war mit einer erstaunlich hellen Stimme begabt, die er nicht sonderlich anstrengen musste, um weithin verständlich zu sein. Eine Frau auf der anderen Seite des Wagengangs schaute aus den Augenwinkeln herüber. Ich nickte und raschelte geschäftig mit dem Blatt. »Wie«, fragte er, »berichtet das ›neue deutschland‹ über Trump?« Mit so etwas rechnet man nicht im öffentlichen Personennahverkehr, und so versuchte ich es ganz allgemein: »Kritisch natürlich.« – »Wie kritisch?« – »Na, kritisch was sein Auftreten betrifft, kritisch, was seine Politik betrifft«, tastete ich mich in Richtung Konkretes vor und fügte keck hinzu: »Oder wüssten Sie etwas an ihm, was man nicht kritisieren müsste?«
»Und wenn Clinton gewonnen hätte, dann würde das ›neue deutschland‹ weniger kritisieren?«, fragte er. »Nicht weniger, aber anders«, antwortete ich. Der Mann dachte einen Moment nach; dann stellte er feierlich fest: »Das Problem der Linken ist, dass sie von nichts eine Ahnung haben.« Die Frau auf der anderen Seite hob die Augenbraue. Ich beglückwünschte ihn zu der gelungenen rhetorischen Wendung. »Sehr gut«, sagte ich, »gleich am Anfang den anderen für blöd zu erklären, das erleichtert das Gespräch ungemein.«
»Was glauben Sie denn«, fuhr er unverdrossen fort, »warum so viele Amerikaner Trump gewählt haben?« Ich dachte über eine Antwort nach, da erklärte er schon: »Unter den amerikanischen Juden ist ein Machtkampf ausgebrochen.«
»Ach, die Juden«, sagte ich, »über diesen Quatsch müssen wir nicht weiter reden.« Er ließ nicht locker: »Obama hatte ein Problem mit Netanjahu, aber Trump versteht sich gut mit ihm. Dahinter stecken die verschiedenen Flügel der jüdischen Lobby.« Die Frau von der anderen Seite verdrehte die Augen. Ich erhob mich, denn ich musste umsteigen, und sagte: »Womöglich steckt dahinter, dass Trump der Nahostkonflikt reichlich egal ist. Aber darüber müsste man länger reden.«
So endete unser kleines verschwörungstheoretisches Kolloquium. Wir haben einander nicht beleidigt, es ist kein Blut geflossen, das Wort Lügenpresse wurde nicht benutzt. Und das ist doch schon eine ganze Menge.