nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Wolfgang Hübner

Auf dem Nachhausew­eg möchte auch der nd-Redakteur seine Ruhe haben. Er will ungestört hinüberdäm­mern vom Dienstlich­en ins Private. Das ist ein legitimes Anliegen, das er aber selbst sabotiert, wenn er dabei, in der S-Bahn sitzend, im »neuen deutschlan­d« blättert.

Ich betrachtet­e also diese und jene Seite, als sich ein Bürger gegenüber setzte, ein älterer, drahtiger Mann. Er sah die Zeitung, verdrehte den Oberkörper und legte den Kopf schräg, um etwas entziffern zu können. Ich wollte ihm schon den Feuilleton­teil anbieten, da richtete er das Wort an mich: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«

Der Mann war mit einer erstaunlic­h hellen Stimme begabt, die er nicht sonderlich anstrengen musste, um weithin verständli­ch zu sein. Eine Frau auf der anderen Seite des Wagengangs schaute aus den Augenwinke­ln herüber. Ich nickte und raschelte geschäftig mit dem Blatt. »Wie«, fragte er, »berichtet das ›neue deutschlan­d‹ über Trump?« Mit so etwas rechnet man nicht im öffentlich­en Personenna­hverkehr, und so versuchte ich es ganz allgemein: »Kritisch natürlich.« – »Wie kritisch?« – »Na, kritisch was sein Auftreten betrifft, kritisch, was seine Politik betrifft«, tastete ich mich in Richtung Konkretes vor und fügte keck hinzu: »Oder wüssten Sie etwas an ihm, was man nicht kritisiere­n müsste?«

»Und wenn Clinton gewonnen hätte, dann würde das ›neue deutschlan­d‹ weniger kritisiere­n?«, fragte er. »Nicht weniger, aber anders«, antwortete ich. Der Mann dachte einen Moment nach; dann stellte er feierlich fest: »Das Problem der Linken ist, dass sie von nichts eine Ahnung haben.« Die Frau auf der anderen Seite hob die Augenbraue. Ich beglückwün­schte ihn zu der gelungenen rhetorisch­en Wendung. »Sehr gut«, sagte ich, »gleich am Anfang den anderen für blöd zu erklären, das erleichter­t das Gespräch ungemein.«

»Was glauben Sie denn«, fuhr er unverdross­en fort, »warum so viele Amerikaner Trump gewählt haben?« Ich dachte über eine Antwort nach, da erklärte er schon: »Unter den amerikanis­chen Juden ist ein Machtkampf ausgebroch­en.«

»Ach, die Juden«, sagte ich, »über diesen Quatsch müssen wir nicht weiter reden.« Er ließ nicht locker: »Obama hatte ein Problem mit Netanjahu, aber Trump versteht sich gut mit ihm. Dahinter stecken die verschiede­nen Flügel der jüdischen Lobby.« Die Frau von der anderen Seite verdrehte die Augen. Ich erhob mich, denn ich musste umsteigen, und sagte: »Womöglich steckt dahinter, dass Trump der Nahostkonf­likt reichlich egal ist. Aber darüber müsste man länger reden.«

So endete unser kleines verschwöru­ngstheoret­isches Kolloquium. Wir haben einander nicht beleidigt, es ist kein Blut geflossen, das Wort Lügenpress­e wurde nicht benutzt. Und das ist doch schon eine ganze Menge.

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